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Chronik des Verfassungsschutz

Verfassungsschutz auf Abwegen

von Jürgen Seifert, Humanistische Liga

Fünf Jahrzehnte Fehlentwicklung der Ämter für Verfassungsschutz

Die britischen Auswanderer nach Nordamerika lockte nicht nur die Weite dieses Kontinents. Sie waren Flüchtlinge, die in der Neuen Welt gegenüber den Kämpfen und Kriegen wegen Fragen der Religion, des Glaubens und der Gesinnung in ihrer Heimat jetzt ein Land suchten, in dem keine staatliche oder re­ligiöse Instanz das Recht haben sollte, religiöses Verhalten oder auch nur das Äußern einer Meinung zu unterbinden oder zu bestrafen. Die in der Verfassung der Vereinigten Staaten garan­tierte Religions- und Meinungsfreiheit, die jede Gesinnung toleriert, wurde zu einem Beispiel für die Bundesrepublik Deutschland: Neben die Garantie der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und neben die Freiheit des religiösen oder welt­anschaulichen Bekenntnisses (Art. 4) und der Meinungsfreiheit (Art. 5) wurde in das Grundgesetz das Verbot der Benachteili­gung der religiösen und politischen Anschauung (Art. 3 Abs. 3) aufgenommen.

Auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen (Art. 87 GG) und gesetzlichen Grundlagen des Verfassungsschutzes gibt es keine Bestimmung, durch die Verfassungsschutzbehörden er­mächtigt werden, diese Freiheitsgarantie einzuschränken. Die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden ist eindeutig auf die «Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschut­zes» beschränkt. Gegenüber den frühen Warnungen, man könne Menschen auch in ein «Stacheldrahtverhau des Verdach­tes » sperren, erklärte der Staatssekretär im Bundesinnenminis­terium, Ritter von Lex, 1950 bei der Verabschiedung des Verfassungsschutzgesetzes: Der Verfassungsschutz «hat Nachrich­ten zu sammeln. Wenn bei diesem Sammeln von Unterlagen sich ergibt, dass irgendwo strafbare Tatbestände vorliegen», dann habe er diese Erkenntnisse weiterzugeben. Zugleich war klar, dass die Verfassungsschutzbehörden dem jeweils zuständi­gen Innenminister des Bundes die Unterlagen liefern sollten, um Vereinigungen, «die sich gegen die verfassungsmäßige Ord­nung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung rich­ten», nach Art. 9 Abs. 1 GG zu verbieten, oder die zuständigen Bundesorgane mit dem Material versehen sollten, das ausreicht, beim Bundesverfassungsgericht den Antrag zu stellen, eine politische Partei für verfassungswidrig zu erklären (Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG).

Das ist ein halbes Jahrhundert her und hat heute nur noch wenig mit der tatsächlichen Praxis der Verfassungsschutzbehör­den zu tun. Im Klima des Kalten Krieges wurde aus den USA die übelste Praxis der McCarthy-Ära übernommen. Die Verfas­sungsschutzbehörden etablierten sich (ohne Rechtsgrundlage) zu einer Instanz, die sich für berechtigt hält, Gesinnungen zu überprüfen und Verrufserklärungen abzugeben.

Daran haben auch die Versuche einer Einschränkung durch die Entscheidung des BVerfG über dasVerbot der KPD am 17. August 1956 nichts geändert. Ausdrücklich unterschied das Ge­richt zwischen einer «verfassungsfeindlichen Zielsetzung» und einer «verfassungsfeindlichen Betätigung». Das Gericht hat ferner ausdrücklich festgestellt: «Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht aner­kennt.» Entscheidend sei vielmehr eine «verfassungsfeindliche Betätigung». Eine solche Betätigung müsse nachgewiesen werden als «eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung », und dieses Verhalten müsse «grundsätzlich und dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet sein (BVerfGE, Bd. 5, S. 85 ff.; insbesondere S. 141).

Diese Grundsätze wurden jedoch für die Arbeit der Verfas­sungsschutzbehörden nie relevant. Nach dem Verbot von Par­teien «rechts» und «links» genügte für das Beobachten und Registrieren einer Person allein die frühere Zugehörigkeit in einer verbotenen politischen Partei und eine neue politische Be­tätigung, die automatisch den Verdacht begründete, für eine verbotene «Nachfolgeorganisation» tätig zu sein. Aus dieser Phase stammen die Dateien der Verfassungsschutzbehörde über die bloße Mitgliedschaft in Organisationen. Jeder Kommunist oder Neonazi, der sich nicht ins Privatleben zurückzog, konnte damit individuell und ohne die Notwendigkeit einer Begrün­dung zum Objekt der Observation und Registrierung werden. Das galt im gleichem Umfang für alle, die sich in Organisatio­nen betätigten, die als Ersatzorganisationen angesehen wurden. Der BGH hatte durch eine faktisch alles zulassende Definition dafür jede Grenze beseitigt.

Gustav Heinemann hat als Justizminister wesentlich dazu beigetragen, die Rechtsgrundlagen dieser juristischen Praxis aufzuheben, aber die Verfassungsschutzbehörden blieben bei ihrer Praxis. Sie drangen darauf, dass Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder 1972 den «Ra­dikalen-Beschluss» fassten, der später zu einem «Extremisten-Erlass» uminterpretiert wurde. Erneut mussten die Grundsätze des BVerfG zurücktreten, damit Bewerber von den Verfassungs­schutzbehörden (über die bloße Zugehörigkeit zu «verfas­sungsfeindlichen» Organisationen hinaus) als Angehörige einer verfassungsfeindlichen Bestrebung und damit als ungeeignet für eine Einstellung in den öffentlichen Dienst eingestuft werden konnten. Verwaltungsgerichte, bis hin zum Bundesverwal­tungsgericht, haben diese Praxis gerechtfertigt.

Die beiden Kriterien des BVerfG, «verfassungsfeindliche Zielsetzung» und «verfassungsfeindliche Betätigung», ver­schwanden damit nicht nur für die Beamten der Verfassungs­schutzbehörden als Kriterien, sondern auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit.

Diese Entwicklung wurde dadurch verstärkt, dass das BVerfG im Jahr 1975 zu der Feststellung kam, dass der im Rah­men der «Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministers des Innern publizierte Bericht <Verfassungsschutz ’73>» weder ein «admi­nistratives <Einschreiten> gegen die NPD » darstelle noch durch « die Veröffentlichung dieses Berichts eine Verfassungswidrig­keit der NPD rechtlich geltend gemacht» würde (BVerfGE, Bd. 40, S. 292). Bei der Einstufung als «Partei mit verfassungsfeind­licher Zielsetzung und Betätigung» handele «es sich […] um Werturteile, die der Bundesminister des Innern in Erfüllung sei­ner verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitlich demokrati­sche Grundordnung zu schützen, und im Rahmen seiner daraus fließenden Zuständigkeit für die Beobachtung verfassungs­feindlicher Gruppen und Aktivitäten abgegeben hat. An diese Werturteile sind keinerlei rechtliche Auswirkungen geknüpft.» (ebd. S. 293)

Da die in den Verfassungsschutzberichten genannten Orga­nisationen, insbesondere die DKP, wie die NPD auch, eine Klage vor dem BVerfG scheuten, blieb diese fragwürdige Rechtskon­struktion bestehen. Was unter der «Verantwortung» der zuständigen Minister veröffentlicht wurde, war einer gericht­lichen Kontrolle entzogen. Damit wurde es möglich, dass die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien (« verfas­sungsfeindliche Zielsetzung» und «verfassungsfeindliche Betä­tigung» in einer «aktiv kämpferischen Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung») weitgehend auf eine «verfassungsfeindliche Zielsetzung» reduziert wurden, und zwar ausschließlich im Rahmen einer administrativen Ab­stimmung zwischen Bund und Ländern.

Das hat dazu beigetragen, dass viele Verfassungsschutzbe­hörden ihre Arbeit (außerhalb ihres gesetzlichen Auftrags) hauptsächlich in der «Bekämpfung» derjenigen sehen, die sie selbst als «Verfassungsfeinde» definieren. Weniger die «Samm­lung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes» stand im Vordergrund, sondern die ideologische Bekämpfung und «Zersetzung». Dafür steht der Ausspruch eines früheren Leiters der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde: «Wir haben doch letztlich die <Republikaner> zur Strecke ge­bracht.»

Das Ausmaß dieser Abkehr von den gesetzlich zugewiesenen Aufgaben wurde deutlich, als die Bundesregierung 2000 aus politischen Gründen den Antrag auf ein Verbot der Nationalde­mokratischen Partei (NPD) prüfte. Weil das im GG vorgesehene Verfahren vor dem BVerfG zum Verbot einer Partei seit Jahrzehnten aus Gründen politischer Opportunität faktisch nicht praktiziert wurde, haben die Verfassungsschutzbehörden ihren spezifischen « staatsanwaltlichen» Auftrag verlernt. Sie waren jedenfalls nicht in der Lage, dem Bundesinnenminister unver­züglich die erforderlichen Unterlagen sowohl für eine «verfas­sungsfeindliche Zielsetzung» wie auch für eine «verfassungs­feindliche Betätigung» vorzulegen. Die Behörden benötigten Monate, bis das Material so durchgearbeitet war, dass es Aus­sicht dafür bot, vor dem BVerfG bestehen zu können.

Das Versagen der Ämter für Verfassungsschutz in einer Situa­tion, in der sie wirklich gefragt waren, bestätigt das, was Kriti­ker der Verfassungsschutzberichte seit Jahrzehnten gesagt ha­ben: Die Behörden haben sich – außerhalb ihres gesetzlichen Auftrags – in ideologischen Bekämpfungsstrategien verloren.

Feindbild Antifaschismus
Es war ein langer und schwieriger politischer Prozess, in dem die Bundesrepublik Abschied nahm von der vielen lieb gewor­denen Formel, der Feind stehe «links». Seit über fünf Jahrzehn­ten gehörte das Bild zum vorherrschenden Selbstverständnis der Bundesrepublik und ihrer «Sicherheitsexperten», die neue Republik müsse sich in gleicher Weise nach «links» wie nach «rechts» verteidigen. So bedurfte 1951 der Antrag der Bun­desregierung, die neonazistische «Sozialistische Reichspartei» (SRP) zu verbieten, als Ausgleich des zwei Tage später gestellten Antrags auf Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Nach «rechts» war zwar (schon mit Blick auf das Aus­land) eine klare Frontstellung erforderlich. Doch der eigentliche Feind stand von nun an «links».

Das Bild vom Hauptfeind Kommunismus überlebte den Un­tergang der DDR. Noch in der unterschiedlichen Behandlung von «Skinheads» und «Punks» im letzten Jahrzehnt blieb diese Einstellung erhalten: Für viele Verfassungsschützer (und Poli­zisten) waren «Skinheads» hinzunehmen; die unorganisierten «Punks» dagegen erschienen ihnen als eine substanzielle Be­drohung.

Warum hat man in den Sicherheitsapparaten das Feindbild vom «linken Hauptfeind» vielfach nicht aufgegeben? Sachbe­arbeiter wollten verhindern, dass ihr Arbeitsbereich in seiner Bedeutung geschmälert wird. Sodann hat man Warnungen vor «rechten» Aktivitäten nie ganz ernst genommen und die Proteste von «linker» Seite dagegen stets mit dem Zusatz versehen, gegen «vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten» vorzugehen. Damit wurde zugleich versucht, ihnen die Legiti­mation abzusprechen. Schließlich leben auch innerhalb der Verfassungsschutzbehörden politische Grundeinstellungen des Kalten Krieges fort.

Für einige dieser Spezialisten wurde zum zentralen Problem: Wie ist zu verhindern, dass diejenigen, die seit Jahren vor einer neuen Zunahme des Rechtsextremismus als Antifaschisten ge­warnt hatten, durch die neue politische Frontstellung gegen «rechts» legitimiert werden? Zudem hatte die heute kaum noch bestrittene Tatsache, dass einige Verfassungsschutzbehörden auf dem rechten Auge lange Zeit blind waren, dazu beigetragen, diejenigen Gruppierungen zu stärken, die ihre politische Posi­tion bereits in ihren Namen aufgenommen haben: «Antifa ». Es ist nicht zu leugnen, dass erst deren Aktivitäten (beispielsweise im Umkreis von Göttingen und durch die Aktionen gegen die «Wiking-Jugend» in Niedersachsen) staatliche Instanzen dazu gebracht haben, gegen « Gewalt von rechts » einzuschreiten.

Als ein wichtiger Versuch, mit diesem Problem fertig zu werden, ist eine Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem Jahre 1992 anzusehen. Durch diesen Text wurde ein Satz des Wissenschaftlers Hans Helmut Knütter zum Orientie­rungspol gemacht: «Nachdem der <real existierende Sozialis­mus> zusammengebrochen und moralisch diskreditiert ist, bleibt seinen ehemaligen Anhängern der Kampf gegen den Rechtsextremismus als Daseinsraison und Rechtfertigung der politischen Existenz.» Alle diejenigen, die den Kampf gegen Rechtsextremismus als vordringlich ansahen, wurden so indi­rekt (oder potenziell) zu «Anhängern des real existierenden So­zialismus» gestempelt. Vermutlich hat kaum einer beim Verfas­sungsschutz überhaupt noch bemerkt, dass auf diese Weise der Gründungsakt, das heißt der Neuanfang der deutschen Demo­kratie nach 1945, infrage gestellt wurde.

Voraussetzung dafür, im Nachkriegsdeutschland als politi­sche Partei zugelassen zu werden, war – nicht nur in der sowje­tisch besetzten Zone – eine «antifaschistische» Grundhaltung. Noch heute ist Art. 139 GG ein Zeugnis des Versuchs einer « Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus » durch die Alliierten. Nicht nur SPD und KPD ver­banden ihren grundsätzlichen «Antifaschismus» mit einer Kri­tik am Kapitalismus, auch Christdemokraten waren in diesem Sinn « antifaschistisch». So beginnt das «Ahlener Programm» der CDU aus dem Jahr 1947 mit dem Satz: « Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinte­ressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.» Ohne die­ses Programm, das bei der Schaffung des Grundgesetzes noch galt, wäre die Sozialisierungsbestimmung (Art. 15 GG) nicht Be­standteil der Verfassung geworden. Gewiss, die kapitalistische Produktionsweise wird heute von einer überwiegenden Mehr­heit nicht als ein Problem angesehen. Geblieben ist jedoch eine Verfassung, die nach wie vor durch Abgrenzung gegen die NS-Vergangenheit bestimmt ist und durch wirtschaftspolitische Neutralität.

Ob und in welchem Umfang das Grundgesetz und seine Ge­schichte Orientierungspol der Arbeit in der Berliner Verfas­sungsschutzbehörde ist, das kann hier dahingestellt bleiben. Problematisch ist jedoch das Weltbild dieser Behörde. Für einige Sachbearbeiter steht fest: Die «Autonomen» sind der eigentliche Verfassungsfeind. So meint eine Broschüre über die «Antifa» (s. Literaturverweis) nur noch, Gewissheit vermitteln zu müssen. Das führt zu dem tautologischen Satz: «<Antifa­schismus>, in der von Linksextremisten instrumentalisierten Form, [hat] eine klare, gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung» (S. 16).

Wenn jemand behaupten würde, «Beten», in der von Extre­misten «instrumentalisierten Form», habe eine klare, gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Zielset­zung, würde kaum ein Leser einen solchen Satz durchgehen lassen. Unerlässlich wäre der konkrete Nachweis darüber, wie und in welcher Weise diese «Instrumentalisierung» erfolgt. Bei dem Fremdwort « Antifaschismus» ist das anders. Möglicherweise haben die für die Broschüre Verantwortlichen doch gemerkt, dass die gemachte Aussage (selbst dann, wenn man sie «für po­litisch richtig» hält) angreifbar ist. So wurde versucht, den zen­tralen Satz durch einen vorangestellten, elf Seiten langen Text über «Antifaschismus» zu stützen. «Antifaschismus» wird dabei reduziert auf den Kampf von Kommunisten gegen den ita­lienischen Faschismus (den Nationalsozialismus), auf Stalins Formel von der SPD als «Sozialfaschisten», auf die Volksfront­bündnisse gegen Hitler und den «Antifaschismus in der DDR». Dieser ideologische Schnellkurs erfüllt einen einzigen Zweck: Beim Leser soll der Eindruck erweckt werden, Antifaschismus stehe in der Tradition des Kommunismus und sei auch heute noch nur eine Sache von Kommunisten. Scheinbar wird ein Nachweis geliefert. Auf einem anderen Blatt steht, dass diese Darlegung die deutsche Nachkriegsgeschichte ausklammert und deshalb wissenschaftlich nicht haltbar ist.

Möglicherweise hat man sich in der Behörde doch noch daran erinnert, dass man verpflichtet ist, Nachweise dafür zu lie­fern, dass eine «verfassungsfeindliche Betätigung» vorliegt. So greift man zurück auf eine Broschüre des Bundesamtes über «Militante Autonome». Dort wird die «antifaschistische Selbsthilfe» der Autonomen problematisiert. Der Berliner Text übernimmt diesen Ansatz (S. 31). Doch eine neue Überschrift setzt einen anderen Akzent: «Angriffe auf Personen» (S. 40). Die «Autonomen» sind – das wird damit suggeriert – Terroris­ten. Dieses Material dient dann zur Unterfütterung der agitato­rischen Schlussparole: «Für die autonome <Antifa> ist Antifa­schismus lediglich ein Deckmantel für Gewalt» (S. 58). Um diese Parole geht es dem Verfasser, deshalb kommt sie dann auch in den Titel der Broschüre.

Damit scheint das Bild vom Hauptfeind «links» wieder per­fekt zu sein. Aber ganz sicher ist sich der Verfasser offenbar noch immer nicht. So holt er aus zu einem großen Rundumschlag und nimmt noch weitere Zitate der « Autonomen» auf. Doch diese Sätze haben nichts, absolut nichts mit einer verfas­sungsfeindlichen Zielsetzung zu tun. So wird zitiert: «Wir sind für ein antiautoritäres Schulsystem, in der Schüler nur das lernt, was er lernen will» (S. 24).

Hier wird deutlich: Der Berliner Verfassungsschutz will nicht aufklären, sondern das Feindbild «die Autonomen» aufbauen. Es geht nur noch um eine ideologische Aufrüstung von Polizei und Bevölkerung.

Erfreulich an solchen amtlichen Berichten ist, dass das eigene Motiv nicht verschwiegen wird: «Fatal wäre es », heißt es, «wenn militante <Antifas>, weil sie sich gegen <Rechts> richten, auf Sympathie stoßen und […] als legitime Bündnispartner im Kampf gegen Rechtsextremismus anerkannt werden würden» (S. 58). Zugleich muss noch einmal betont werden: «Antifa­schismus hat sich zu einem ernsthaften Bedrohungsmoment für die innere Sicherheit entwickelt» (S. 58).

Jungdemokraten/Junge Linke im Verfassungsschutzbericht
20. Juli 1999: Die Waffen im Kosovo-Krieg schweigen seit einem Monat wieder. Die Bundeswehr hält es für richtig, an diesem Tag ein öffentliches Gelöbnis durchzuführen. Die Ze­remonie nimmt ihren Anfang, da entkleidet sich eine kleine Gruppe jugendlicher Pazifisten und protestiert vor laufenden Kameras mit Sprüchen auf Regenschirmen gegen Krieg und gegen diese Feier. Die Jugendlichen lassen sich ohne Widerstand festnehmen – im Januar 2001 werden sie von einem Berliner Gericht freigesprochen.

Da viele von ihnen einer Organisation angehören, steht im Verfassungsschutzbericht 1999 der Satz: «Zu einem ständigen Partner von Linksextremisten in Aktionsbündnissen, aber auch bei militanten Störungen staatlicher Veranstaltungen haben sich die <Jungdemokraten/Junge Linke> entwickelt.» Im weite­ren Text wird der Gruppe eine «sozialrevolutionär begründete Ablehnung der freiheitlichen Grundordnung» vorgeworfen, sie folge der «marxistischen Lehre» von «gesellschaftlichem Überbau» und «sozialökonomischer Basis»; schließlich habe die «Junge Linke Hannover » sich in einem Beitrag als « kommunis­tische Organisation» bezeichnet und auch geschrieben, es gehe ihr darum, «aufzuklären [!], um die Erkenntnis zu verbreiten [!], dass Staat und Kapital sich abschaffen lassen und abge­schafft werden müssen».

Keiner der Vorwürfe belegt eine verfassungsfeindliche Ziel­setzung. Auch das Lesen von Marx, die Berufung auf Marx oder die Vorstellung «dass Staat und Kapital sich abschaffen lassen …» begründet keine solche Zuordnung. Es steht in der Bundesrepublik jedem zu, sich als «Sozialrevolutionär» oder «Kommunist» zu bezeichnen oder Staat oder Kapital infrage zu stellen. Ich will es mir ersparen, hier all die Mitglieder von Bundesregierungen aufzuzählen, die im Laufe ihres Lebens ähn­liche Worte gebraucht haben.

Es wird zudem deutlich, dass von dem Verfassungsschutzbe­richt die relevanten Unterscheidungen zwischen Staat und Ver­fassung sowie zwischen politischer und sozialer Umwälzung verwischt werden. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes sollte (das belegt die Entstehungsgeschichte) lediglich dem Schutz von Verfassungsgrundsätzen dienen. Es sollte keinen «Staats­schutz» geben und keine Instanz, die über die Zulässigkeit gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen entscheidet. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich noch einmal die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes betont. Die Grundrechte garantieren, dass Bürgerinnen und Bürger die­ses Landes Pazifisten sind und diese Grundhaltung auch öffent­lich in der Form eines «Antimilitarismus» vertreten können.

Auch in der einzig relevanten Frage einer verfassungsfeind­lichen Betätigung ist der Bericht nicht präzise. Erwähnt werden «Aktionsbündnisse mit Linksextremisten», «militante Störun­gen» einer staatlichen Veranstaltung, Besetzung eines Kreis­wehrersatzamtes, ein örtliches Engagement im Rahmen der «Anti-EXPO-Arbeit», Aktionscamps und Beteiligung an «Kampagnen». Das bedeutet, die «Jungdemokraten/Junge Linke» machen von Art. 9 GG Gebrauch und verbinden das Demonstrationsrecht mit Aktionen des zivilen Ungehorsams. Diese Organisation verhält sich zwar kämpferisch (zuweilen auch aggressiv), aber der Verfassungsschutzbericht liefert kei­nen einzigen Hinweis darauf, dass ein solches Verhalten «ten­denziell» und «dauernd» auf eine Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bzw. gegen die tragenden Prin­zipien dieser Grundordnung gerichtet ist.

Unberücksichtigt bleibt auch die Frage, ob die Äußerung der «Jungen Linken Hannover» dem Gesamtverband zugerechnet werden kann, zumal sich die Bundesorganisation inzwischen von dem umstrittenen Text distanziert hat. Ich habe in dem Han­noveraner Szene-Organ «RAZZ» die Vorgeschichte überprüft und den gesamten Text gelesen. Der Schreibstil unterscheidet sich von üblichen Pamphleten. Hier ist theoretische Weiterbil­dung gefragt, nicht aber eine Verrufserklärung des Verfassungs­schutzes. Ich habe Verständnis dafür, dass junge Leute einfach dort schreiben, wo ihnen Platz zur Verfügung gestellt wird. Sie müssen nichts von den Kategorien einer «Kontaktschuld» wis­sen, die den Blickwinkel des Verfassungsschutzes blind machen.

Die Jungdemokraten, einst Jugendorganisation der FDP, machten 1982 den Schwenk von der sozial-liberalen Koalition zum Kanzler Helmut Kohl nicht mit und wurden von der da­maligen Parteiführung der FDP weiter nach links gedrängt. Im Rahmen der deutschen Einheit vereinigten sie sich 1992 mit der im Osten beheimateten «Jungen Linken». Dass in einer solchen Organisation einige Personen mit der PDS sympathisieren (oder Mitglied sind), kann man sich vorstellen. Dazu braucht es kei­nen Verfassungsschutz. Die Organisation bekam Mittel aus dem Bundesjugendplan. Seit der Erwähnung im Verfassungs­schutzbericht stößt dies auf Schwierigkeiten.

Otto Schily, Bundesminister des Innern, hat – soweit bekannt geworden ist – bisher auf keinen Protestbrief geantwortet. Er hat nur seinen Staatssekretär Claus Henning Schapper um eine Antwort an Burkhard Hirsch, von dem eine der Stellungnah­men stammt, gebeten. In diesem Brief vom 12. September 2000 heißt es: «Mit Ihren Ausführungen sprechen Sie verschiedene Aspekte an, die die Frage der Grenzziehung zwischen radikalen politischen Meinungsäußerungen und Gefährdung von tragenden Prinzipien der Verfassungsordnung berühren. Der Bundes­minister des Innern will sich die darauf zu gebende Antwort nicht leicht machen, was allerdings noch weitere Überlegungen und Gespräche erfordert.» Eine Antwort sollte bis Mitte De­zember 2000 erfolgen. Bei Redaktionsschluss dieses Textes lag eine solche noch immer nicht vor.

Deshalb ist es geboten, daran zu erinnern, dass es sich bei den Äußerungen in den Verfassungsschutzberichten nicht um Verwaltungsentscheidungen der beteiligten Instanzen handelte, sondern (siehe oben) um «Werturteile, die der Bundesminister des Innern im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, […] abzugeben hat.» (BVerfGE, Bd. 40, S. 293)

Wenn Staatssekretär Schapper in seinem Schreiben an Burkhard Hirsch von weiteren «Uberlegungen und Gesprächen» spricht, die der Bundesminister in dieser Angelegenheit zu füh­ren habe, und wenn der Bundesminister des Innern vier Monate danach noch immer schweigt und damit den Grundrechtsschutz der Betroffenen von der Abstimmung mit seinen Beamten und der Einigung bzw. den Absprachen der Verfassungsschutzbehör­den des Bundes und der Länder abhängig macht, dann heißt dies, dass Schily selbst nicht frei entscheidet, sondern sein «Werturteil» einem bürokratischen Einigungsprozess unterord­net. Für diese Deutung spricht auch, dass die Verfassungsschutzberichte von anderen Verwaltungsinstanzen nicht mehr als «Werturteil» angesehen werden, sondern (siehe die Entziehung staatlicher Förderungsmittel) als Aussage, die staatliche Sank­tionen überhaupt erst bewirkt.

Das Zögern des Bundesministers des Innern macht deutlich, dass aus einem Werturteil inzwischen ein Verwaltungshandeln geworden ist. Deshalb muss es zulässig sein, vor Verwaltungs­gerichten gegen solche Einstufungen zu klagen.

Nur auf diese Weise können die Ämter für Verfassungsschutz dazu gebracht werden, Grundrechte zu achten.

Der im März 2001 publizierte Verfassungsschutzbericht 2000 des Bundesinnenministers übrigens verzichtet auf die Er­wähnung der Jungdemokraten/Junge Linke.

Literatur:
Bundesamt für Verfassungsschutz, Hg., Militante Autonome. Charakteris­tika, Strukturen, Aktionsfelder, Köln, Juli 1999.
Bundesministerium des Innern, Hg., Verfassungsschutzbericht 1999, Berlin 2000.
Landesamt für Verfassungsschutz [Berlin], Hg., «Antifa heißt Angriff. An­tifaschismus als Deckmantel für Gewalt», in: Durchblicke, Jg. 6, Nr. 10, 1999.
Hans Helmut Knütter, Die Linke und der Rechtsextremismus, in: Bundes­minister des Innern, Hg., Verfassungsschutz — Rechtsentwicklung — Be­kämpfung des Extremismus, Bonn 1992, S. 78.
 

Wie der BND sich über die Systempresse rechtfertigt

Späh-Affäre – Ein BND-Insider packt aus

Ein Ex-BND-Mann, der anonym bleiben will (was für ein Zufall), kritisiert die Debatte über die Späh-Affäre als „völlig realitätsfern“ – und verteidigt die Zusammenarbeit mit den USA.

Über das, was der Bundesnachrichtendienst mit Suchprogrammen wie XKeyscore macht, gibt es völlig realitätsferne Vorstellungen. In Deutschland funktioniert der Datenschutz. Wir haben einen sehr guten Datenschutz. Wir haben auch Geheimdienste, die sich an Recht und Gesetz halten.

Hat sich jemand schon einmal gefragt, warum in Deutschland nie abgehörte Telefonate von Politikern an bestimmte Medien durchsickern, als innenpolitisches Kampfmittel? So wie zum Beispiel in Frankreich oder Italien? Die deutschen Dienste machen so etwas nicht. Die sind nicht politisiert, und die lassen sich auch nicht missbrauchen.

Es ist sehr aufschlussreich zu sehen, wie gern manche Kritiker der Geheimdienste in Medien und auch Politik Abhörmitschnitte auswerten, die nach deutschem Recht illegal wären. Zum Beispiel die irischen Banker, die sich in der Bankenkrise über Deutschland lustig zu machen schienen. Da haben einige sehr gern zugegriffen und hineingehört.

Wir brauchen Programme wie XKeyscore nicht für solche illegalen Aktivitäten, sondern für unseren gesetzlichen Auftrag. Der lautet, die äußere Sicherheit der Bundesrepublik und besonders auch das Leben unserer im Ausland eingesetzten Soldaten zu schützen. Suchprogramme kommen zum Einsatz bei Themen wie Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Komponenten. Oder bei der Terrorabwehr. Oder bei Sicherheitslagen in Krisenregionen, wie zum Beispiel in Afghanistan.

„9/11“: Wir konnten beweisen, dass es al-Qaida ist

Für die Erfüllung dieser wichtigen Aufgaben sollten die besten Programme – von wem sie auch immer stammen – gerade gut genug sein. Diese Programme sind zum Beispiel für die Gewinnung eines zutreffenden Lagebildes in Afghanistan unentbehrlich. Sie helfen, die ganze Lebenswelt des Gegners zu verstehen und Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen. Wir haben verfolgen können, wie sich ihr Leben und Denken vor Ort abspielt.

Wir haben frühzeitig gemerkt, wenn sich etwas zusammenbraute, und warum. Es war doch kein Zufall, dass der Sektor, in dem die Bundeswehr die Verantwortung hatte, vergleichsweise ruhig war. Dass wir zum Glück nur relativ wenige Opfer unter den Soldaten und Helfern zu beklagen hatten. Durch die Arbeit des BND konnten wir zahlreiche Anschlagspläne rechtzeitig entdecken und gegen die Verantwortlichen vorgehen.

Gezielte Überwachung allein ist aber nicht das A und O erfolgreicher Aufklärung zum Schutz deutscher Bürger und deutscher Interessen. Der BND verlässt sich nie nur auf ein einziges Instrument. Das wurde zum Beispiel unmittelbar nach dem 11. September 2001 sichtbar. In den ersten Stunden nach dem Angriff rätselten alle über eine Vielzahl denkbarer Urheber. Der Bundesnachrichtendienst aber bekam einen Hinweis auf Osama Bin Laden. Der Hinweis kam nicht aus Suchprogrammen wie XKeyscore. Solche Suchprogramme allein sind ein wichtiges Hilfsmittel, können aber den menschlichen Faktor nicht ersetzen.

Binnen weniger Stunden konnten aufgrund von Hinweisen noch am 11. September 2001 die Telefonate und Mails durchforstet werden, die mit dem Angriff auf New York in Verbindung standen. Wir haben nicht wahllos in diesen Heuhaufen gegriffen, der ja minütlich anwuchs. Wir hatten aufgrund des Hinweises eine präzise Frage, und wir konnten mit dem Suchprogramm deshalb ganz bestimmte Kommunikationswege aus diesem Riesenberg herausfiltern. Wir konnten analysieren, was in diesen Kommunikationswegen in der Zeit des Angriffs passierte. Wer wen kontaktierte, und warum. Noch am 11. September haben wir so entdeckt: Es war tatsächlich al-Qaida. Das konnten wir beweisen.

Datenabschöpfen in Syrien-Konflikt hilfreich

Für solche Fragestellungen braucht man Analysefähigkeiten, Kombinationsgaben, Einfühlung, Intuition, einen glücklichen Einfall oder nicht selten auch die Hilfe eines puren Zufalls, und alles das besitzen Computer nicht oder können es nicht steuern. Sie können zwar Daten verknüpfen, aber nur schematisch nach streng logischen Gesichtspunkten.

Man muss in der Aufklärungstätigkeit aber oft Punkte verknüpfen können, zwischen denen in Bits und Bytes ausgedrückt keine gerade Linie verläuft. Das Beispiel des sogenannten Una-Bombers in den USA ist dafür ein interessantes Exempel. Der hochintelligente Wissenschaftler Theodore Kaczynski, der als Einsiedler Bomben baute und sie an amerikanische Forschungseinrichtingen schickte, verzichtete bewusst auf jegliche Kommunikationstechnologie. Es gab nur seine Bekennerbriefe.

Mit ihnen hätte ein Computersuchprogramm nichts anfangen können, denn es gab kein schriftliches Vergleichsmaterial. Seinem Bruder aber fielen irgendwann einige charakteristische Sprachwendungen auf, und er informierte das FBI, die ihn schließlich nach einer 18 Jahre währenden Fahndung festnehmen konnte.

Ich kann mir vorstellen, durch Abhören und Datenabschöpfen wird heute zum Beispiel unter die Lupe genommen, was der Zirkel um Baschar al-Assad denkt. Was innerhalb der dortigen Opposition passiert. Das ist alles für unsere Sicherheit wichtig. Wir brauchen ein wirklich zutreffendes Lagebild im Nahen Osten. Der Bürgerkrieg spielt sich an der Südostgrenze der Nato ab, dicht bei der EU.

China rüstet im Cyberwar gewaltig auf

Der BND kann aber längst nicht alles machen. Die Investitionen reichen nicht aus, das neue Berliner Hauptquartier täuscht darüber hinweg. In der digitalen Welt mitzuhalten kostet Unsummen. Natürlich kann Deutschland das nicht alles bezahlen. Wir müssen deshalb zu vernünftiger Kooperation in der Lage sein. Nicht nur mit den USA.

Manche europäischen Länder, bei denen man es kaum vermuten würde, sind bei bestimmten technischen Mitteln sehr weit vorn. Auch deshalb, weil die Politik unverständlicherweise dabei zuschaut, wie Deutschland wichtige digitale Produktionskapazitäten verliert. Server konnten wir früher in Deutschland einkaufen. Heute nicht mehr. Das ist ein Sicherheitsrisiko.

Ein Risiko ist es auch, zu übersehen, welche Konsequenzen andere Länder aus der Weltlage ziehen. China zum Beispiel hat nach dem Sturz Saddam Husseins massiv in seine Cyberwar-Kapazitäten investiert. Die haben die Rolle des Cyberspace beim Blitzkrieg gegen Saddam analysiert und enorme Summen in den Bereich investiert.

China rückt bei seinen Cyberwar-Fähigkeiten allmählich an die USA heran. Das ist für Deutschland wichtig. Wir müssen technisch vorne bleiben. Asien ist für uns sehr bedeutsam, wirtschaftlich, aber ebenso politisch. Die Wirtschaftslage dort, die schwelende Konfrontation in der Südchinesischen See.

Eine unselige deutsche Tradition wird sichtbar

In der Politik haben sich in der aktuellen Diskussion nur Otto Schily und Wolfgang Schäuble deutlich vor die Dienste gestellt. Die Bundesregierung verhält sich erstaunlich zurückhaltend. Leider ist es eine unselige deutsche Tradition, die Sicherheitsbehörden mit Untersuchungsausschüssen zu überziehen und mit der Kritik an Sicherheitsbehörden in Wahlkämpfen zu punkten. Trotzdem erwartet man Höchstleistungen von ihnen.

Es gibt natürlich nationale Präferenzen bei unseren Partnern, die wir nicht teilen. Amerika zum Beispiel klärt mit hoher Priorität die Einhaltung „fairer Wettbewerbsregeln“ auf. Die Ergebnisse dienen dann als Grundlage für Ermittlungen des Justizministeriums gegen die betroffenen Firmen. Da dabei nicht US-Firmen im Fokus stehen, richten sich die Aufklärungsaktivitäten vor allem gegen Nicht-US-Firmen. Im Ergebnis ergeben sich dadurch Wettbewerbsvorteile für US-Firmen. Die Verfahren gegen Siemens und Daimler in den USA sind dafür ein beredtes Beispiel.

Es ist auch vollkommen abwegig zu erwarten oder gar zu fordern, die US-Dienste müssten sich Deutschland gegenüber jetzt „erklären“. Jede Seite tut, was in ihrem Interesse liegt, im Rahmen ihrer Gesetzeslage. Die NSA schuldet für ihre Aufklärung weder dem BND noch der deutschen Regierung Rechenschaft. Es ist international völlig unüblich, dass sich Dienste wechselseitig über die Gesamtheit ihrer Aktivitäten unterrichten.

Völkerrechtlich ist Spionage global toleriert

Auf der anderen Seite herrscht der generelle Grundsatz, dass eine Kooperation zwischen Partnern im konkreten Fall nicht zu Lasten des betreffenden Landes stattfindet. Für die USA ist die „information superiority“ von hoher strategischer Bedeutung. Fragen an die US-Dienste zu stellen ist zunächst einmal Aufgabe des amerikanischen Parlaments. Die Vorstellung, man könne doch als Gegengewicht einen europäischen Geheimdienstverbund schaffen, ist unrealistisch. Dazu sind wichtige europäische Länder nicht bereit.

Wir vergessen gern, dass die Traditionen auch der Dienste dort andere sind. Das britische GCHQ zum Beispiel ist nicht etwa nur geprägt durch den Nordirlandkonflikt. Es ist vor allem geprägt von der Erfahrung, dass die Dechiffrierung des deutschen „Enigma“-Codes Großbritannien im Zweiten Weltkrieg gerettet hat. Die deutschen U-Boote waren 1940/41 dicht davor, Großbritanniens Lebensadern abzuschneiden, und die USA waren noch nicht im Krieg.

Die Niederlage gerade eben noch verhindert zu haben ist ein Kern des Stolzes des GCHQ. Heute handelt der Dienst im Kampf gegen den Terrorismus mit einem solchen Bewusstsein. In Sicherheitsfragen steht Großbritannien fest an der Seite der USA und der ehemaligen Weltkriegsverbündeten Kanada, Australien und Neuseeland.

Es ist überhaupt ein großes Missverständnis, wenn jemand annimmt, Überwachung, Datenabschöpfung und Spionage seien als solche schon illegal. Im Kern ist das kein Rechtsverstoß. Völkerrechtlich sind die Abschöpfung von Daten und die Spionage weltweit toleriert. Es ist unsinnig anzunehmen, Deutschland könne seinen hohen Datenschutzstandard einfach irgendwo einklagen oder erfolgreich das Völkerrecht entsprechend ändern.

Deutschland ist ideale Operationsbasis für Kriminelle

Sobald Daten unseren nationalen Rechtsbereich verlassen, sind sie auf hoher See. Wir nutzen das im Rahmen unseres gesetzlichen Auftrags ebenfalls. Amerikaner, Briten und Franzosen tun das auch, nach ihren Präferenzen. Die sind nicht so, dass man dort ziellos deutsche Privatleute durchschnüffelt. Das ist Unfug, so etwas zu unterstellen.

Wir haben Beziehungen zu etlichen Diensten in aller Welt. Wir brauchen solche geräuschlose Zusammenarbeit auch mit Staaten, in denen Terror stattfindet und in denen sich Terroristen aufhalten, dringend. Ohne eine derartige Zusammenarbeit ist eine wirksame Terrorabwehr nicht möglich. Diese internationale Zusammenarbeit ist immer wichtiger geworden.

Im Licht solcher Situationen ist die Aufregung über die Fähigkeiten der NSA ziemlich grotesk. Die Amerikaner sagen das intern auch ganz offen. Ihr Deutschen, sagen sie, verlasst euch bei eurer Terrorabwehr auf die Kooperation mit dem Ausland, und dann beschwert ihr euch plötzlich darüber, was das Ausland technisch kann.

Im Übrigen haben die Amerikaner in Deutschland erhebliche eigene legitime Interessen zu schützen. Die amerikanischen Einrichtungen in Deutschland, die hier aufgrund von Verträgen und Abkommen existieren, müssen natürlich gesichert werden. Unvergessen ist schließlich, dass die Anschläge gegen das Pentagon und gegen das World Trade Center auch auf deutschem Boden vorbereitet wurden.

Der deutsche Datenschutz funktioniert, aber es gibt auch eine deutsche Prinzipienreiterei, die in Sicherheitsfragen ein großes Problem ist. Die ganze organisierte Kriminalität von Vietnam bis Italien hat Deutschland inzwischen als Operationsbasis entdeckt. Deutschland ist inzwischen ein ideales Operationsgebiet. In keinem anderen Land der Welt können kriminelle Organisationen in geschlossenen Räumen so ungestört Verabredungen treffen. Wir haben die Wohnraumüberwachung faktisch abgeschafft.

Föderalismus wurde im Fall NSU zum Problem

Und Deutschland leistet sich neben diesem Verbot auch noch einen Föderalismus, der sicher seine Vorteile hat, aber zu einem Risiko wird, wenn die Behörden nicht vernünftig miteinander kooperieren.

Die Taten des NSU zum Beispiel bestanden aus Morden an Migranten, an einer Polizistin und aus Banküberfällen. Banküberfälle aber darf das Bundeskriminalamt nicht untersuchen, das ist Ländersache. Deshalb fehlte dem BKA die Übersicht darüber, dass die rechtsextremistischen Mörder nach einem bestimmten Schema vorgingen – einige Morde, Pause, Banküberfall, wieder einige Morde, wieder Pause, wieder Banküberfall. Wichtige Informationen über die Banküberfälle kamen beim BKA gar nicht an.

Ein einzelner aufmerksamer Ermittler auf Landesebene hat einen möglichen Zusammenhang gesehen, aber das wurde nicht Teil der Gesamtakte auf Bundesebene. Auch deshalb hat man so lange die Morde als Milieutaten der organisierten Kriminalität verfolgt. Die NSU-Mörder hatten ja sehr darauf geachtet, dass das dem Anschein nach so aussah. Nur die immer gleiche Pistole Marke Ceska passte nicht ins Bild. Das tut die organisierte Kriminalität nicht, immer dieselbe Waffe verwenden. Das wurde intern auch thematisiert. Aber es fehlte ein Anknüpfungspunkt für eine andere Ermittlungsspur. Wie gesagt, die Banküberfälle waren wegen bundesstaatlicher Zuständigkeitsabgrenzungen nicht Teil des Lagebilds.

Ein Versuch, das später zu ändern und die Datenbanken übergreifend zugänglich zu machen, scheiterte. Das war und ist ein großer Fehler. Eine umfassende Datenbank, in die alle Ermittlungsbehörden ihre Erkenntnisse eingespeist hätten, wäre bei der Aufklärung sehr hilfreich gewesen. Aber wenn man den IT-Systemen die falsche Frage stellt, in diesem Fall nach organisierter Kriminalität, weil die Datenbestände voneinander abgeschottet sind und andere Hypothesen nicht stützen – dann bekommt man auch nicht die richtige Antwort.

Die Kritik von Snowdens Unterstützern ist selektiv

Ist Edward Snowden ein Held oder ein Verräter? Wir wissen noch viel zu wenig über ihn. Klar scheint zu sein, dass er kein klassischer „Whistleblower“ ist, jemand, der langjährig loyal mitarbeitet und dann bei einer bestimmten Frage oder Entwicklung Bauchschmerzen bekommt. Snowden ist gezielt in die NSA gegangen, mit dem Wunsch, dort Informationen zu sammeln. Und wer so etwas vorhat, kann trotz aller Vorkehrungen weit kommen, wenn er gezielt vorgeht.

Viele sagen, er sei ein Bürgerrechtler. Es gibt auch eine Sichtweise, die darauf verweist, dass Snowden drei Tage vor einem Gipfeltreffen des US-Präsidenten mit dem Präsidenten Chinas an die Öffentlichkeit gegangen ist – einem Gipfel, auf dem die amerikanische Seite Chinas Computerspionage zum großen Thema machen wollte. Und Snowden tat das ausgerechnet in Hongkong, auf chinesischem Territorium. War das eine Aktion, um Obama beim wichtigsten Gipfelthema den Wind aus den Segeln zu nehmen? Ich will das nicht beurteilen, aber es gibt noch viele ungeklärte Fragen. Es gab kürzlich auch die Meldung, Snowden wolle sich einer KGB-Veteranenvereinigung anschließen. Wir wissen noch zu wenig.

Es ist aber schon eigenartig, wie selektiv die Unterstützer Snowdens als Kritiker der Geheimdienste auftreten. Sie hören gern in belauschte Bankertelefonate hinein, die in Deutschland völlig illegal wären, das hatte ich schon erwähnt. Sie ergötzen sich an Abhörprotokollen bei Silvio Berlusconi. Aber dieselben Kritiker finden nichts dabei, dass man in Deutschland dem Finanzamt praktisch das eigene Leben offenlegen muss. Dass die deutschen Finanzämter rein auf Verdacht, ohne jeden Durchsuchungsbeschluss, jedes Privatkonto einsehen und prüfen dürfen, wird ohne jede Kritik hingenommen.

Augenblickliche NSA-Diskussion verstellt den Blick

Die Angst der Kritiker davor, ihre Privatsphäre und ihre Entscheidungsfreiheit im Alltag zu verlieren, ist übertrieben, und sie ist vor allem einseitig. Das Internet hat die Bevölkerung aus nachrichtendienstlicher Sicht völlig fragmentiert. Noch Anfang der 90er-Jahre reichte eine Fangschaltung am Festnetztelefon, und dann war die Überwachung hundertprozentig. Einen anderen privaten Kommunikationsweg als die Festleitung gab es in den meisten Fällen noch nicht. Kam dann der langjährige Dorfpolizist dazu, der natürlich vieles wusste, dann war die Sozialkontrolle nahezu perfekt. Heute gibt es keine Dorfpolizisten mehr, die wenigen Kreispolizisten haben keine Verbindung zum Alltagsleben der Bevölkerung.

Und die Bevölkerung kommuniziert auf etlichen technisch sehr anspruchsvollen Wegen – Digitalfestnetz, Digitalhandy, E-Mail, soziale Netzwerke, Twitter. Alle mit komplizierten eigenen Standards. In der Realität hat deshalb die Möglichkeit der individuellen Überwachung eher ab- als zugenommen. Chinas Führung merkt gerade, welche Wucht die sozialen Netzwerke trotz aller Überwachungs- und Zensurversuche entfalten. Und Chinas Führung hat die technische Souveränität über Chinas Internet.

In einer globalisierten Welt rücken uns die Krisenherde immer näher. Organisierte Kriminalität, Terrorismus und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen kennen keine nationalen Grenzen. Deutschland braucht effiziente Geheimdienste und eine enge Kooperation mit unseren Verbündeten, auch den USA.

Und es geht kein Weg daran vorbei, sensible Daten besser zu schützen, sei es innerhalb der Regierung als auch in Wirtschaft und Verwaltung. Die augenblickliche NSA-Diskussion verstellt den Blick darauf, dass wir uns umfassend schützen müssen, vor allem auch gegen Ausspähungen aus Ländern, die nicht unsere Verbündeten sind.

Quelle: Welten, 05.08.13

Chronik des Verfassungsschutzes

Deutscher Top-Geheimdienstler kritisiert Snowden

Edward Snowden behauptet, die NSA spioniere deutsche Unternehmen aus. Verfassungsschutz-Chef Maaßen hält dagegen: Es gebe keine Hinweise auf Wirtschaftsspionage. Die Grünen kritisieren Maaßens „steile Thesen“.

Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen bezeichnet die Aussagen von Edward Snowden zur Wirtschaftsspionage als abwegig.  „Ich gehe davon aus, dass die Amerikaner sich an amerikanisches Recht halten. Und das sieht nicht vor, Industriespionage durch amerikanische Dienste zu betreiben“, sagte Maaßen im Interview mit dem Handelsblatt (Mittwochausgabe).

Snowden hatte in einem ARD-Interview gesagt. „Es gibt keinen Zweifel, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben. Wenn es bei Siemens Informationen gibt, von denen sie meinen, dass sie für die nationalen Interessen von Vorteil sind, nicht aber für die nationale Sicherheit der USA, werden sie der Information hinterherjagen und sie bekommen.“

Maaßen hält dagegen: „Die Vorstellung, ein US-Automobilbauer steuere einen Auftrag über das Weiße Haus an die NSA mit dem Satz: Sorgt mal dafür, dass ich den aktuellen Bauplan für den Porsche Cayenne bekomme, ist abwegig“.

Der Top-Geheime äußerte grundsätzlich Zweifel an der Glaubwürdigkeit Snowdens. „Die Dokumente des NSA-Enthüllers Snowden sind voller Hinweise, aber ohne Beweise“. Der Verfassungsschutz sei allen Vorwürfen nachgegangen. „Wir haben weder valide Erkenntnisse, dass die Amerikaner Breitbandkabel in Deutschland anzapfen, noch ob aus der US-Botschaft in Berlin das Handy der Kanzlerin abgehört worden ist“, sagte Maaßen.

Bei den Grünen stoßen die Äußerungen von Maaßen auf Kritik. Die Hinweise von Snowden auf Wirtschaftsspionage seien ernst zu nehmen. „Wie der Präsident des Verfassungsschutzes den Vorwurf der Wirtschaftsspionage pauschal vom Tisch wischen will, erinnert fatal an den Versuch des ehemaligen Kanzleramtschefs Ronald Pofalla, der die Affäre vorzeitig und fälschlicherweise für beendet erklärte“, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz Handelsblatt Online. „Wir erwarten von Herrn Maßen belastbare Belege für solch steilen Thesen.“

„Versagen der Spionage-Abwehr“

Sollte sich der Verdacht der Wirtschaftsspionage mit geheimdienstlichen Mitteln bestätigen, stelle sich „natürlich die Frage des Versagens der Spionageabwehr und der Untätigkeit der Bundesregierung über die Zeit von nunmehr neun  Monaten“, sagte von Notz weiter. „Diese Fragen nicht pauschal platt zu machen, sondern ihnen seriös auf den Grund zu gehen, wird eine Kernaufgabe des Untersuchungsausschusses zum NSA-Skandal“, betonte der Grünen-Politiker.

Laut dem Geheimdienstchef wisse man auch nicht, wie das Handy abgehört worden sei. „Ob aus der Botschaft – oder ob vielleicht über ein Kabel, das durch die USA führt, Daten mitgeschnitten worden sind“. Die Verfassungsschützer wüssten noch nicht einmal definitiv, dass die Kanzlerin abgehört worden sei. „Ansonsten hätte der Generalbundesanwalt – denke ich – ein Ermittlungsverfahren eingeleitet“, sagte Maaßen.

Quelle: Handelsblättchen 5.2.2014
 

Berliner V-Mann als Neonazi

Der frühere Neonazi Nick Greger behauptet, dass ihn im Herbst 2013 zwei Berliner Beamte aufforderten, keine Auskünfte zum früheren V-Mann „Piatto“ des Brandenburger Verfassungsschutzes zu geben. Sollte vertuscht werden, dass es einen weiteren Neonazi-Spitzel des LKA gibt?

Die Verwicklungen in der neuen V-Mann-Affäre im Berliner Landeskriminalamt werden immer dubioser. Ausgelöst wurde sie offenbar durch eine Panne des Berliner LKA vor dem sächsischen Untersuchungsausschuss zum NSU-Mördertrio im Oktober. In dessen Folge wurde der frühere Neonazi Nick Greger, wie er in einem Interview behauptet, im Herbst 2013 von zwei Berliner Beamten in Thüringen besucht und von diesen aufgefordert worden zu sein, keine Auskünfte zum früheren V-Mann „Piatto“ des Brandenburger Verfassungsschutzes zu geben.

Sollte weiterer Neonazi-Spitzel vertuscht werden?

Angaben der Linksfraktion im sächsischen Landtag lassen die Aussage der früheren LKA-Vertrauensperson Greger zumindest plausibel erscheinen.

Demnach waren zwei LKA-Staatsschutzbeamte im Oktober 2013 als Zeuge in den NSU-Untersuchungsausschuss geladen. Sie sollten Auskunft über den Berliner V-Mann Thomas S. geben. S. war von 2000 bis 2011 Vertrauensperson (VP) des Berliner LKA, platziert im NSU-Umfeld, das war 2012 bekannt geworden.

Doch über Thomas S. konnte der VP-Führer gar nicht sagen, weil er für zwei andere V-Personen in Sachsen zuständig gewesen sei. Damit räumte der Beamte ein, dass das Berlin LKA weitaus mehr Spitzel in der sächsischen Neonaziszene platziert hatte als bislang bekannt – nämlich mindestens drei.

Der Untersuchungsausschuss fragte schließlich beim LKA nochmals nach den Namen der VP-Führer von Thomas S. an. Im Ergebnis räumte das LKA an, dass es mindestens sechs VP-Führer für S. gab. Von vier VP-Führern nannte das LKA die Namen, die Namen zweier weiterer Neonazis fielen unter Geheimnisschutz.

Die Linke hat nun den Verdacht, dass die Beamten Greger wegen des Patzers im sächsischen Landtag besucht haben. Möglicherweise, so der Verdacht, sollte vertuscht werden, dass es einen weiteren Neonazi-Spitzel des LKA gibt. Warum Aussagen Gregers zum V-Mann „Piatto“ möglichst verhindert werden sollten, warum Akten mit Verweisen auf Piatto oder ihn selbst angeblich geschwärzt wurden, dafür gibt es nur Indizien.

Es gab Pläne, ein militärisches Schulungszentrum einzurichten

Greger war im Jahr 2000 in Berlin verurteilt worden, weil er zusammen mit Carsten S. alias „Piatto“ einen Sprengstoffanschlag auf politische Gegner vorbereitet hatte. Piatto war im direkten Umfeld des Neonazi-Terrortrios Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) tätig und lieferte Hinweise zum NSU-Trio, dessen Untertauchen, der Suche nach Waffen, geplanten Banküberfällen und einer Flucht nach Südafrika. Mit den Hinweisen hätte das Neonazi-Trio frühzeitig gestoppt werden können, die Behörden erkannten aber die Brisanz nicht.

Und auch bei Greger gibt es eine Südafrika-Spur. Er war 2000 im Gefängnis angeworben und 2003 abgeschaltet worden. Nach seiner Haft ging er nach Afrika, lebte auch einige Zeit in Südafrika. Dort machte er bei der rechtsterroristischen Gruppe mit, die für mehrere Bombenanschläge verantwortlich gemacht wird. Es gab enge Verbindungen deutscher Neonazis nach Südafrika und Pläne, ein militärisches Schulungszentrum einzurichten.

Quelle: Tagesspiegle 29.1. 2014
 

Militanter Ex-Neonazi soll Berliner V-Mann sein

Berlin hat eine neue Spitzelaffäre: Ein militanter Neonazi aus Thüringen ist offenbar ein V-Mann des Berliner LKAs. Die Abgeordneten fordern jetzt von CDU-Innensenator Henkel Aufklärung – der schimpft stattdessen auf die Opposition.

Berlin hat einen neuen V-Mann- Skandal, jedenfalls aus Sicht der drei Oppositionsparteien Grüne, Linke und Piraten. Am Montag wurde im Berliner Abgeordnetenhaus publik, dass der ehemalige militante Neonazi Nick Greger aus Thüringen offensichtlich eine „VP“ (Vertrauensperson) des Berliner Landeskriminalamts (LKA) ist. Die Thüringer Linkspartei machte zudem öffentlich, dass zwei Beamte des Berliner Landeskriminalamts nach Thüringen gereist waren, um Greger zum Schweigen über den Brandenburger V-Mann „Piatto“ im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufzufordern. Dies soll Greger in einem am 4. Dezember bei Youtube veröffentlichten Video selbst mitgeteilt haben.

„Wenn alles stimmt, ist es ein Skandal“

Greger war im Jahr 2000 in Berlin verurteilt worden, weil er zusammen mit Carsten S. alias „Piatto“ einen Sprengstoffanschlag auf politische Gegner vorbereitet hatte. Piatto war im direkten Umfeld des Neonazi-Terrortrios Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) tätig und lieferte Hinweise zum Untertauchen des NSU, die von den Behörden bekanntlich nicht in ihrer Tragweite erkannt worden waren. Greger wäre als LKA-Spitzel dichter am NSU dran gewesen als die „VP 562“, über die im vergangenen Jahr monatelang gestritten worden war. Die „VP 562“ hatte im Jahr 2002 Informationen über die Terrorgruppe geliefert, die das LKA aber nicht weitergab. In dem Video soll Greger behaupten, die LKA-Beamten hätten ihm versichert, Akten mit Verweisen auf Piatto oder ihn selbst „so gut es ging“ geschwärzt zu haben. „Wenn das alles stimmt, ist es ein Skandal“, sagte die grüne Abgeordnete Clara Herrmann.

Details über V-Mann Greger machen die Runde, zusammengefasst von der thüringischem Linkspartei. In ihrem Dossier heißt es, dass Greger im Jahr 2000 in Berlin verurteilt worden war, weil er zusammen mit dem aus dem NSU-Untersuchungsausschuss bekannten V-Mann Carsten S., alias „Piatto“, einen Sprengstoffanschlag auf politische Gegner vorbereitet hatte. 2003 flüchtete Greger nach Südafrika, kehrte 2005 nach Deutschland zurück und stieg mit dem Aussteigerprojekt „Exit“ nach eigenen Angaben aus der Szene aus. Danach soll er sich in einem Tempelritterorden engagiert und den militärischen Kampf gegen vermeintliche Islamisten propagiert haben, heißt es in dem Dossier weiter. Sogar beim norwegischen Attentäter Anders Breivik habe er für seinen islamfeindlichen Orden geworben. Stoff für einen ganzen Roman. Die Thüringer Linkspartei hat der Landesregierung jetzt eine detaillierte Anfrage gestellt, welche Erkenntnisse in Thüringen über den ehemaligen Berliner und dessen Arbeit als V-Mann vorlägen.

„Charakterloser Oppositionspolitiker“

So weit ist die Berliner Politik noch nicht. Die neuen Erkenntnisse über Greger führten am Montag jedoch zu einer lautstarken Debatte im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Selbst Innensenator Frank Henkel (CDU) wurde laut („charakterloser Oppositionspolitiker“), Henkel und der grüne Innenexperte Benedikt Lux schrien sich längere Zeit an.

Die Opposition wirft dem Innensenator vor allem vor, nicht von sich aus Öffentlichkeit und Abgeordnete über den Thüringer Fall informiert zu haben – trotz mehrerer Versprechen, an die vor allem Udo Wolf von der Linkspartei erinnerte. Dabei soll die Polizei das Video schon seit Dezember kennen. Dies bestätigte Polizeipräsident Klaus Kandt nach der Sitzung dem Tagesspiegel. Er selbst kenne das Video erst seit Freitag, also dem Tag der Veröffentlichung durch die Thüringer Linkspartei. Dem Vernehmen nach habe Staatsschutz-Chef Oliver Stepien das Video schon im Dezember gesehen. Unklar blieb, ob die Polizei den Innensenator darüber informiert hatte.

Kandt bestätigte den Abgeordneten, dass LKA-Beamte in Thüringen bei der V-Person waren. Was dort besprochen worden sei, wisse er nicht. Weitere Angaben zu dem Fall wollten Henkel und Kandt nicht machen.

„Wir kennen die Dinge, dürfen nur nicht darüber reden“

„Was für eine Sitzung“, twitterte die Abgeordnete Herrmann nach dem Innenausschuss. Es war auf jeden Fall die lauteste Sitzung seit Jahren. Die Stichworte NSU und V-Mann erregen die Parlamentarier – die gleichen Stichworte, die im vergangenen Jahr die endlosen Diskussionen um den Berliner V-Mann 562 bestimmten.

„Katastrophe dieser Innensenator“

Und Polizei und Innensenator schweigen nun zu den Vorwürfen, berufen sich auf den weitgehenden Vertrauensschutz den ein V-Mann genießt. Fakten dürfen sie nicht nennen, beteuern Polizeipräsident Kandt und Henkel. Bekanntlich wird V-Leuten zugesichert, nie ihre Identität preiszugeben, weil nur so Kriminelle oder Extremisten zur Zusammenarbeit geworben werden können. Kandt zeigte sich aber zuversichtlich, dass „noch diese Woche“ die Zusage durch die Staatsanwaltschaft aufgehoben werde. Sie versprechen, dass die Abgeordneten am Donnerstag im sogenannten Geheimschutzraum die Akten einsehen dürfen. Die Opposition legt das als Mauern, Versagen oder Desinteresse aus.

Polizeipräsident Kandt sagte dem Tagesspiegel nach der Sitzung „Wir kennen die Dinge, dürfen nur nicht darüber reden.“ Nach seiner Einschätzung hat der Fall eine „geringe Dimension“ als der Streit um den V-Mann 562 vor einem Jahr. Es müsse auch nicht jedes Wort in dem Video stimmen, meinte der Polizeipräsident. Dem Senator riss in der vierstündigen Sitzung einfach der Geduldsfaden. „Sie wollen das einfach nicht verstehen“, schreit Henkel die Opposition an. Es folgt ein kurzes Tohuwabohu. Henkel ist kaum zu verstehen als er dann sagt: „Ihre Politik hier auf den Rücken dieser armen Mordopfer ist widerlich und erbärmlich.“ Nun wird das Geheul noch lauter. „Puls auf 180“ twittert der Pirat Christopher Lauer. Und Lux schreibt: „Katastrophe dieser Innensenator“.

Quelle: Tagesspiegle 27.1.2014
 

V-Mann hilft NSU-Terrorzelle

Ein V-Mann des Verfassungsschutzes soll versucht haben, den mutmaßlichen NSU-Terroristen bei ihrem Weg in den Untergrund zu helfen. Die Aussage von Tino Brandt könnte noch in diesem Jahr erfolgen – und für weitere brisante Geschichten sorgen.

Ein früherer V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes gerät im Fall der Terrorzelle NSU immer stärker ins Zwielicht. Tino Brandt habe ihm einen Mann vermittelt, der Reisepässe für die untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe besorgen sollte, sagte am Donnerstag der Jenaer Rechtsextremist André K. als Zeuge im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München.Der Mann habe nach zwei, drei Wochen die Pässe auch geliefert, doch sie seien „leer“ gewesen. Er habe mit Brandt darüber gesprochen, sagte André K.

Später seien dann die Pässe aus dessen Auto verschwunden.

Der Zeuge berichtete auch, Brandt habe ihn nach Berlin zu dem NPD-Funktionär Frank Schwerdt geschickt, weil man sich „Gedanken gemacht hat“, die Untergetauchten außer Landes zu bringen. André K. fragte Schwerdt nach entsprechenden Kontakten. Für die Fahrt nach Berlin habe ihm Brandt sein Auto gegeben, sagte der Zeuge.

Brandt war bis zum NPD-Vize aufgestiegen

Die Aussage stärkt den Verdacht, der V-Mann sei in die Hilfe für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eingebunden gewesen. Tino Brandt wurde von 1994 bis zu seiner Enttarnung 2001 vom Thüringer Verfassungsschutz als Spitzel geführt. Dafür bekam er insgesamt 200 000 D-Mark. Der V-Mann baute allerdings auch die rechtsextreme Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz“ auf und war von 2000 bis 2001 Vizechef der NPD in Thüringen. Im Juli hatte zudem im Prozess ein Beamter des Bundeskriminalamts ausgesagt, nach Angaben des Angeklagten Holger G. habe Brandt die Neigung zu Gewalt bei Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bestärkt.

Mundlos und Böhnhardt verübten nach dem Gang in den Untergrund im Januar 1998 zehn Morde und weitere schwere Verbrechen.

Der frühere V-Mann soll noch in diesem Jahr als Zeuge im NSU-Prozess aussagen. Da könnten noch mehr brisante Geschichten beleuchtet werden.  Der Tagesspiegel hatte im Dezember 2011, einen Monat nach dem Ende des NSU, aufgedeckt, dass die Behörde über Tino Brandt versucht hatte, den drei Untergetauchten 2500 D-Mark zukommen zu lassen – in der Hoffnung, sie würden sich mit dem Geld falsche Pässe ausstellen lassen und würden dann beim Grenzübertritt erwischt.

Wie André K. ins Visier der Ermittler geriet

Ob das Geld die drei erreichte, ist allerdings unklar. Einen Teil der Summe soll Brandt an André K. gegeben haben, damit er es an die drei weiterreicht. André K. äußerte sich dazu im Prozess nur vage: das 1998 kursierende Gerücht, „es sei Geld im Umlauf“, sei nicht wahr gewesen. Er habe dann darum gebeten, ihn aus der „Sache“,also der Unterstützung für die drei, „rauszuziehen“. Wen er gebeten habe, sagte K. nicht.

Er habe danach nichts mehr von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gehört. Strafrechtlich ist die Unterstützung von André K. für den NSU im Jahr 1998 verjährt.

Im Februar geriet André K. jedoch ins Visier der Bundesanwaltschaft, die ihn in die Liste der Beschuldigten im NSU-Komplex aufnahm. Bei den Ermittlungen hatte sich herausgestellt, dass ein Handy, das K. nutzte, ausgerechnet am 4. November 2011 in einer Funkzelle in Eisenach registriert wurde. An dem Tag hatten Mundlos und Böhnhardt in der thüringischen Stadt eine Filiale der Sparkasse beraubt und wurden auf der Flucht von der Polizei überrascht. Im Fluchtfahrzeug, einem Wohnmobil, erschoss Mundlos dann Böhnhardt und anschließend sich selbst.

Vor Gericht sagte André K. nun, er habe an dem Tag mit seinem Vater einen Pick-up gekauft und sei auf der Rückfahrt nach Jena in Eisenach auf die Autobahn gefahren. Die Geschichte ist offenbar nicht zu widerlegen. Im Prozess teilte kürzlich ein Vertreter der Bundesanwaltschaft mit, das Ermittlungsverfahren gegen André K. sei „materiell einstellungsreif“.

Quelle Tagesspiegle 21.11.2013
 

 

Bekenntnisse eines NRW V-Mannes

Er war der berühmteste V-Mann der Republik: Wolfgang Frenz sorgte einst dafür, dass das NPD-Verbot scheiterte. Heute schildert er Unfassbares aus seiner Zeit mit dem Verfassungsschutz.Wenn derzeit über V-Männer gesprochen wird und über ihre dubiose Rolle, kommt er ebenso ins Spiel wie in der Endlosdebatte um ein NPD-Verbot: Dabei kennt seinen Namen kaum jemand. Wolfgang Frenz, 75, Heilpraktiker aus Solingen, ist der Mann, der 2002 das NPD-Verbot zum Scheitern brachte. Nachdem das Bundesinnenministerium einräumen musste, dass er als Kronzeuge im Verbotsverfahren auf der Lohnliste des Verfassungsschutz gestanden hatte, war das Beweismaterial gegen die NPD wertlos geworden.Frenz redet gern über seine Zeit als V-Mann. In seiner Praxis, die in einem Kellergeschoss liegt, riecht es muffig. Der ehemalige Verfassungsschutz-Spitzel ist ein kleiner, dicker Mann. Er trägt eine blaue Hose, dazu ein blaues Hemd, das am Kragen fleckig ist. Mit seinem weißen Rauschebart könnte er glatt ohne Verkleidung als Weihnachtsmann durchgehen.Frenz verschanzt sich hinter seinem Schreibtisch, der viel zu groß ist für den kleinen Kellerraum. Im Winter 1959/1960 habe er zum ersten Mal Kontakt zum Verfassungsschutz aufgenommen, erzählt er. Die Synagoge in der Kölner Roonstraße war damals mit Hakenkreuzen beschmiert worden. Frenz war 23 Jahre alt und das jüngste Mitglied der Deutschen Reichspartei (DRP) im Landesvorstand Nordrhein-Westfalen. Aus freien Stücken habe er sich – mit dem Segen der Parteiführung – dem Verfassungsschutz angedient, um zu ermitteln, ob die Täter aus den eigenen Reihen stammten. Warum war er bereit, die eigenen Kameraden zu verraten? „Ich war jung und der Verfassungsschutz hatte für mich was von James Bond.“

Der Anruf des „Meinungsforschers“

Ein Jahr später, so erzählt Frenz weiter, habe eines Tages sein Telefon geklingelt. Der Anrufer habe sich als Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstitut vorgestellt. „Er sagte, er wolle mal meine Meinung hören über die politischen Entwicklungen.“ Frenz habe eingewilligt und den Mann zu sich bestellt. Es seien dann zwei Herren erschienen, die sich als „Delta und Weber“ vorgestellt und als Verfassungsschützer geoutet hätten. „Die sagten, wir hätten doch damals so gut zusammengearbeitet und ob wir die bewährte Zusammenarbeit nicht fortsetzen könnten.“Auf der nächsten Vorstandsitzung habe er den Landeschefs der DRP vom Angebot der Schlapphüte erzählt. Der Landesvorsitzende sei keinesfalls überrascht gewesen, behauptet Frenz, sondern habe ihm sogar zugeraten, mit dem Verfassungsschutz zu kooperieren. Und zwar des Geldes wegen. „Die Honorare, die das Amt zahlte, sollten nach Abzug der eigenen Kosten, in die DRP-Landeskasse fließen, um den chronischen Geldmangel der Partei zu lindern.“

Der Herr „Hansen“

Bald darauf, so erinnert sich Frenz, habe er dann seinen „Führungsmann“ vom Verfassungsschutz kennengelernt, der sich als „Hansen“ vorgestellt habe – natürlich ein Deckname. Er selbst sei auf den Decknamen „Wermter“ getauft worden. Fortan habe er sich regelmäßig mit Hansen getroffen und dafür ein Honorar von 400 Mark im Monat kassiert. Der Mann vom Verfassungsschutz habe sich vor allem für den Einfluss der ehemaligen Sozialistischen Reichspartei auf die DRP interessiert. „Wir verabredeten, uns in vierzehntägigen Abständen in Gartenwirtschaften rund um Wuppertal zu treffen.“Im November 1964 wurde die NPD gegründet. Frenz war ein Mitglied der ersten Stunde. „Mit Gründung der NPD wurde ich für den Verfassungsschutz interessanter“, sagt er mit unverhohlenen Stolz. „Das war nicht nur daran zu sehen, dass mein Honorar von 400 Mark sprunghaft auf 800 Mark monatlich anstieg. Auch die Restaurants wurden besser.“ Zwei Mal wöchentlich habe er sich mit den Herren „Schadow und Richter“ vom Verfassungsschutz getroffen – „in feinen Spezialitätenrestaurants“. Die Herren hätten sich vor allem für „die Aufschlüssellung der Mitgliederzugänge aus DRP und anderen Parteien wie CDU, FDP und GDP (Gesamtdeutsche Partei, d. Red.)“ interessiert. „Die NPD war ja keine verbotene Partei. Es gab auch keine Geheimnisse, die man hätte verraten können“, sagt Frenz. Deshalb habe er den Schlapphüten ein paar Rundschreiben mitgegeben. „Die waren dann immer ganz glücklich.“Der NPD-Landesvorstand sei eingeweiht gewesen, behauptet der ehemalige V-Mann. Die Partei sei schließlich auf das Geld vom Verfassungsschutz angewiesen gewesen. „Ich musste damals 153 DRP-Kreisverbände in die NPD überführen“, erzählt Frenz. „Das Ganze musste doch finanziert werden. Die DRP war klamm. Und die NPD hatte kein Geld. „Wenn sie so wollen, hat der Verfassungsschutz die Grundfinanzierung der NPD in NRW geleistet.“ Inzwischen sei sein Honorar auf 1000 Mark monatlich gestiegen. Dafür habe er zum Zeitpunkt der Parteigründung einen Vollzeitjob geleistet.

Die Steuertricks eines Agenten

Die Herren vom Verfassungschutz hätten ihm auch schon mal mit technischen Geräten ausgeholfen wie einer Schreibmaschine oder einem Kopierer. Alles Dinge, die die NPD laut Frenz nicht besaß. Doch auch als NPD-Spitzel habe er nur Belanglosigkeiten weitergegeben. „Die wollten wissen, wie sich die Mitgliedschaft der NPD zusammensetzt. Wir bekamen ja bedeutende Mitglieder anderer Parteien. Da gab es Vorverhandlungen vor dem Übertritt, sowas hat die interessiert. Im Grunde bekamen die nur öffentlich zugängliche Informationen.“Mit den Jahren habe er immer mehr Geld an die NPD abführen können, erzählt Frenz. Im Bundestagswahlkampf 1967 habe er der Parteiführung in Hannover 10.000 Mark überwiesen. Und auch der Heimatkreisverband in Solingen kriegte schon mal so eine Summe. Frenz will seine Honorare versteuert haben. „Ich war der einzige Agent, der seine Honorare bei der Steuer angegeben hat.“ Darüber hinaus habe er sich von der NPD natürlich Spendenquittungen ausstellen lassen. Diese habe er widerum bei seiner Einkommenssteuererklärung angegeben. „Dadurch konnte ich meine Einkommenssteuer erheblich mindern“, sagt Frenz und grinst.

Gesellige Rotweinrunden mit „Siegfried“

Der Umgang mit den Verfassungsschützern sei immer freundschaftlicher geworden. Führungsmann Kunze sei für ihn bald „Siegfried“ gewesen. „Wir haben uns richtig angefreundet. ‚Siegfried‘ war passionierter Sportangler. Er brachte mir das Angeln an der Wahnbachtalsperre bei und veranlasste, dass ich die Fischereiprüfung ablegte. Gelegentlich gingen wir zusammen ins Kino oder ins Restaurant. Siegfried hatte eine besondere Leidenschaft für hübsche Frauen. Unsere Treffs fanden deswegen auch in Restaurants statt, wo hübsche Bedienungen anzutreffen waren.““Siegfried“ habe ihn auch zu Hause besucht. Dabei muss es sehr gesellig zugegangen sein. „Da Siegfried wie auch ich guten Rotwein liebte, trafen wir uns gelegentlich abends bei mir zu Hause, wo ein gut sortierter Rotweinkeller auf uns wartete. Manchmal waren auch seine Frau mit Tochter dabei. Meine Frau freundete sich auch mit der Familie an und oft endeten diese Begegnungen mit einem handfesten Besäufnis. Seinen Job nahm Siegfried nicht ernst. Ich hatte den Eindruck, dass er nicht mich, sondern ich ihn führte.“Er habe „Siegfried“ vor allem „viel Papier“ überlassen. Er sei ein „bekannter Vielschreiber für die Partei“ gewesen, schildert Frenz, und habe pro Monat oft 20 bis 30 Manuskripte für die NPD-Landeszeitschrift „Deutsche Zukunft“ abgeliefert. Kein großer Akt für Frenz. „Ich wusste ja: In drei Wochen werden sie ohnehin veröffentlicht.“

Auch ein V-Mann bekommt Weihnachtsgeld

Ein anderer Verfassungsschützer – Deckname „Richter“ habe unter Migräneanfällen gelitten und sich von ihm in seiner Praxis behandeln lassen. „Da ich ihm keine Rechnungen auf seinen Klarnamen ausstellen konnte, verfiel er auf den Ausweg, mir Sonderprämien zukommen zu lassen.“Frenz hatte eine mittlerweile gut gehende Praxis als Heilpraktiker, kriegte seine 1000 Mark im Monat vom Verfassungsschutz plus Spesen – und sogar Weihnachtsgeld. „50 Prozent vom normalen Honorar.“ Zum Geburtstag hätten die Herren vom Verfassungsschutz selbstverständlich auch gratuliert. „Die wussten ja, dass ich begeisterter Jäger bin und haben mir Bildbände und andere Jagdliteratur geschenkt.“ Frenz lacht. „Weil ich solange beim Verfassungsschutz war, 36 Jahre, gab es unter meinen Führungsleuten Diskussionen, ob ich nicht inzwischen pensionsberechtigt wäre.“Als passionierter Jäger leistet sich Frenz sogar eine Jagd im Taunus. Vor hohen Feiertagen, so erzählt er, habe er die Herren vom Verfassungsschutz mit Wild versorgt. Und Frenz erzählt noch mehr unfassbare Anekdoten, die an den Verfassungsschützern zweifeln lassen. Einmal habe einer mit Decknamen „Jansen“ seine Aktentasche in einem indischen Lokal vergessen. Per Autotelefon habe „Jansen“ ihn angefleht, die Tasche verschlossen für ihn zu verwahren. „Natürlich war ich neugierig und schaute mir die Unterlagen an. So kam ich an den Klarnamen des Mannes.“

1995 – Frenz wird „abgeschaltet“

Zwei Mal sei er im Laufe der Jahre Opfer von Anschlägen geworden, erzählt Frenz weiter. 1980 hätten Unbekannte versucht, sein Wohnhaus anzuzünden. Beim zweiten Anschlag hätten Antifaschisten den Innenraum seines Wagens mit Mitrofarbe ausgesprüht. Beim Verfassungsschutz habe man sich Sorgen gemacht um ihn, den „Top-Agenten“. Deshalb habe „Siegfried“ ihn fürsorglich gefragt, ob er nicht Kameras und Bewegungsmelder an Haus und Praxis montieren wolle. „Aber das wollte ich nicht. Das wäre ja aufgefallen. Und ich hatte ja noch meine Praxis als Heilpraktiker. „Siegfried“ riet ihm zu einer Waffe, die er dem Verfassungsschutz in Rechnung stellte. Er habe sich für etwa 300 Euro eine Walther gekauft. Nach seinem Ausscheiden habe er die Waffe behalten dürfen.Auf die Dauer wurde den Wächtern der demokratischen Ordnung dann aber wohl gewahr, dass ihr V-Mann außer ohnehin veröffentlichten Artikeln nicht viel liefert. 1995 wurde Frenz vom Verfassungsschutz „abgeschaltet“. Seine Positionen waren zu extrem. Im Amt habe man ihm „fehlende Nachrichtenehrlichkeit“ vorgeworfen. „Mir wurde ein Abfindungsentgelt von 10.000 Mark gezahlt und ich musste eine Erklärung unterschreiben, über die 36-jährige Zusammenarbeit auch für die Zukunft absolutes Stillschweigen zu bewahren.“ Anschließend gab es noch ein rechtliches Nachspiel. Frenz wollte vom Land Nordrhein-Westfalen 40.000 Mark Schadenersatz. Die Enttarnung habe seiner Praxis geschadet, die Bücher des Heilpraktikers verkauften sich auch nicht mehr. Die Klage wurde im Dezember 2003 vom Landgericht Düsseldorf (Az. 2b O 122/03) abgewiesen.Aus der NPD ist Frenz rausgeflogen. Udo Vogt, bis vor kurzem Parteichef, hat stets bestritten, von Frenz Spitzeltätigkeit gewusst zu haben. Die NPD sei seine politsche Heimat geblieben, sagt der Solinger. „Man kann das Kind, das man selbst in die Welt gesetzt hat, nicht verleugnen“. Noch heute habe er „viele Freunde“ in der NPD. „Viele sagen: Ach, Du bist der, der die NPD gerettet hat.“Das Landesamt für Verfassungschutz in Düsseldorf hat die Angaben von Frenz weder bestätigt noch dementiert.

Quelle: Sterne 22. 11.2011

BND liefert Kriegsgrund für Einmarsch in Irak

Rafid Ahmed Alwan oder auch Rafid Ahmed Alwan El Dschanabi ( DMG Rāfid Aḥmad ʿAlwān, Rafid Ahmed Alwan al-Janabi), auch unter dem Pseudonym Curveball bekannt, ist ein Deutscher irakischer Herkunft, der in Deutschland Asyl beantragte. Er behauptete, an irakischen Programmen zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen beteiligt gewesen zu sein. Sein bürgerlicher Name wurde erst Anfang November 2007 enthüllt. Obwohl alle seine Aussagen erlogen waren, diente er der Bundesrepublik Deutschland als Informant, die seine Äußerungen an die US-Regierung weitergaben. Als Belohnung für die Lügen gabs die Staatsbürgerschaft für Deutschland.

Alwan kam 1999 nach Deutschland und beantragte Asyl. Hier sprach der Ingenieur mit dem BND. Er gab an, Experte für chemische Kampfstoffe und Direktor einer Anlage zu deren Produktion in Djerf al Nadaf zu sein. Auch von mobilen Anlagen zur Produktion chemischer Kampfstoffe erzählte er. Er weigerte sich mit amerikanischen Geheimdiensten zu reden. Die Aussagen Alwans zu den angeblichen Massenvernichtungswaffen wurden von der Bush-Regierung für die Begründung des Kriegs herangezogen und seine Bekundungen von Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat als Beleg für unerlaubte Waffenprogramme Bagdads angeführt. Der damalige Europachef der CIA Tyler Drumheller behauptet, er habe zuvor CIA-Chef George Tenet vor der Unzuverlässigkeit der Quelle gewarnt.

Der Iraker al-Janabi, auf dessen Behauptungen sich 2003 wesentlich die amerikanischen Annahmen stützten, der Irak verfüge über chemische und biologische Massenvernichtungswaffen, hat 2011 eingestanden, dass seine Aussagen frei erfunden waren. Janabi sagte der britischen Zeitung „The Guardian“, er habe durch die Befragungen der Geheimdienste die Chance erhalten, „etwas zu fabrizieren, um das irakische Regime zu stürzen“. Er sei stolz darauf, dass er der Grund dafür gewesen sei, den Irak der Demokratisierung näher zu bringen. In Wahrheit ging es ihm jedoch um die Erlangung der Staatsbürgerschaft.

Alwan arbeitete offiziell seit dem 1. Januar 2001 als freiberuflicher Mitarbeiter für die Münchner Firma Thiele und Friedrichs Marketing GbR, ein mutmaßliches Tarnunternehmen des BND. Alwan bekam von dieser Firma eine monatliche Zahlung in Höhe von 3000 Euro und einmalig eine Kaution in der Höhe von 2130 Euro für eine Wohnung in Karlsruhe. Ende 2008 wurde der Arbeitsvertrag, der offenbar eine Laufzeit von mehr als zehn Jahren hatte, gekündigt.Alwan klagte dagegen erfolgreich vor dem Arbeitsgericht München und soll die Nachzahlung von 2000 Euro erreicht haben. Genauere Informationen sind nicht verfügbar, da der Prozess zwischen Alwan und der Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des §172 Nr.1 des Gerichtsverfassungsgesetzes unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

Alwan wurde 2008 die deutsche Staatsbürgerschaft zugesprochen.

Gunter Pleuger, ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, bestätigte, dass die Informationen ursprünglich aus Deutschland kamen. Eine offizielle Warnung, dass die Informationen möglicherweise nicht richtig sind, gab es von seiner Seite nicht.2011 bezichtigte der ehemalige BND-Chef August Hanning die USA, sie hätten „den BND für ihre Begründung des Irak-Krieges missbraucht“. Mehrere ehemalige hochrangige BND-Mitarbeiter bestätigten, die CIA mehrmals auf verschiedenen Kanälen davor gewarnt zu haben, sich auf die Aussagen von Curveball zu verlassen. Hanning habe seine Bedenken sogar in einem Schreiben an Tenet formuliert.

Alwan wurde nach zahlreichen Warnungen, unter anderem vom Bundesnachrichtendienst, in einer Burn Notice als unzuverlässige Quelle eingestuft. Er galt als Alkoholiker und Lügner, die US-Behörden wurden für die Zusammenarbeit mit einem derart unzuverlässigen Informanten hart kritisiert. Sämtliche Aussagen waren erlogen, mit dem Hintergrund persönlichen Nutzen daraus zu ziehen. Er gab sich als hochrangiger Mitarbeiter mit Hintergrundwissen aus, war aber lediglich ein Dieb und Taxifahrer, der durch ein abgebrochenes Chemie-Studium über einiges Wissen verfügte. In der Presse wurde er u.a. als „der Mann, der die Welt in einen Krieg log“ bezeichnet. Im Jahr 2011 gestand Rafid Ahmed Alwan El-Dschanabi, der dem Bundesnachrichtendienst unter dem Codenamen Curveball die Informationen über vermeintliche Biowaffen und geheime Massenvernichtungsanlagen geliefert hatte, gegenüber dem britischen Guardian, dass seine Angaben hierzu gelogen waren. El-Dschanabi begründet seine Lügen damit, dass er die Chance gehabt hatte, „etwas zu fabrizieren, um das Regime zu stürzen“.

Fünf Jahre nach dem US-Einmarsch im Irak entbrannte eine neue Debatte über das Versagen der Geheimdienste. Ehemalige US-Offizielle behaupten, der BND habe mit seinen Informationen über angebliche rollende Biowaffenlabore eine der zentralen Rechtfertigungen für den Waffengang geliefert.

„Saddam Hussein weitere Monate oder Jahre im Besitz von Massenvernichtungswaffen zu lassen, ist keine Option – nicht in einer Welt nach dem 11. September“: Die Kriegsrede, die der damalige US-Außenminister Colin Powell vor den Vereinten Nationen im Februar 2003 hielt, ist inzwischen berüchtigt. In Sachen Biowaffen berief er sich maßgeblich auf Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND). „Ihr Deutschen tragt zumindest eine Mitschuld“, sagt Powells damaliger Stabschef Larry Wilkerson heute.

Die Informationen waren falsch, und sie stammten von einer einzigen Quelle mit dem Codenamen „Curveball“, einem heute 41-jährigen irakischen Ingenieur, der – beginnend im Jahr 2000 – dem BND in mehr als 50 Sitzungen detailreich über das angebliche mobile Biowaffen-Programm berichtet hatte. Der BND habe die Informationen zu „Curveball“ „nicht zufällig geliefert, da wurde jedes Wort auf die Waage gelegt“, sagt Wilkerson, er könne „den Deutschen in dieser Misere keinen Freibrief ausstellen“.

Auch der ehemalige US-Chef-Waffeninspektor im Irak, David Kay, kritisiert den BND für seinen Umgang mit „Curveball“ deutlich: Der deutsche Geheimdienst sei „offensichtlich selbst nicht willens oder in der Lage“ gewesen, die „Quelle richtig einzuschätzen“, und habe durch seine Weigerung, „Curveball“ durch die CIA befragen zu lassen, auch verhindert, dass andere das für ihn übernehmen. „Das war unehrlich, unprofessionell und verantwortungslos“, sagt Kay.

Anders als etwa die amerikanische CIA, die „Curveball“ bereits 2004 als „Betrüger“ einstufte, hat der BND nie offiziell eingeräumt, einem Lügner aufgesessen zu sein. Der Dienst schützt seinen Informanten noch immer und will „aus grundsätzlichen Erwägungen“ auch keine Fragen zur Sache beantworten. Die Bundesregierung verweist auf einen Brief des damaligen BND-Präsidenten August Hanning vom 20. Dezember 2002 an CIA-Chef George Tenet. Die „Curveball“-Erkenntnisse, schrieb Hanning darin, „wurden im Kern als plausibel und glaubhaft beurteilt, können jedoch nicht bestätigt werden“. Der damalige deutsche Uno-Botschafter Gunter Pleuger sagt: „Für mich war das vollkommen eindeutig eine Warnung, und ich bin davon ausgegangen, dass die ‚Curveball‘-Informationen danach nicht mehr von den Amerikanern verwendet werden würden.“

Dem SPIEGLE ist es jetzt erstmals gelungen, „Curveball“ in Süddeutschland ausfindig zu machen, wo er mit seiner Familie derzeit auf seinen deutschen Pass wartet. Im September 2007 haben die deutschen Behörden seiner Einbürgerung bereits grundsätzlich zugestimmt. Er bestreitet gegenüber dem SPIEGLE, den BND angelogen zu haben: „Ich habe nie gesagt, dass der Irak Massenvernichtungswaffen hat.“

 
 

Der BND und die Plutonium-Affäre

Bei der Plutonium-Affäre handelt es sich um die Hintergründe des im Jahr 1994 vom Bundesnachrichtendienst (BND) veranlassten illegalen Transports von mehr als 360 Gramm radioaktiven Plutoniums mit einer Maschine der Lufthansa von Moskau nach München.Im August 1994 wurden der Kolumbianer Justiniano Torres Benítez und die beiden Spanier Julio Oroz Eguia und Javier Bengoechea Arratibel von der bayerischen Polizei am Flughafen München bzw. in einem Münchner Hotelzimmer festgenommen. Der am 10. August 1994 mit einer Boeing 737 der Lufthansa aus Moskau kommende Torres Benítez führte im Gepäck 363,4 Gramm radioaktives Plutonium mit sich, welches bereits zu mehr als 87 % zu waffenfähigem Plutonium-239 angereichert war. Weiterhin wurden bei Torres Benítez mehr als 400 Gramm des zum Bau von Wasserstoffbomben notwendigen Lithium-6 gefunden.Torres Benítez, Oroz Eguia und Bengoechea Arratibel wurden daraufhin wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt.

Während BND-Präsident Konrad Porzner noch kurz vor Prozessbeginn im April 1995 dementierte, den Plutoniumschmuggel initiiert zu haben,enthüllte das Nachrichtenmagazin Der Spiegle im gleichen Monat den Bundesnachrichtendienst als Auftraggeber. Der BND beabsichtigte im Rahmen der sogenannten Operation Hades den Nachweis zu führen, dass weltweit mit zum Bau von Atomwaffen geeignetem Plutonium Handel getrieben wurde. Hauptkritikpunkt am Vorgehen des BND war, dass die Operation Hades ohne zwingenden Grund ein Scheingeschäft provozierte, in dessen Verlauf Plutonium unter Außerachtlassung aller Sicherheitsvorkehrungen nach Deutschland geschmuggelt wurde. Die Affäre zog als Konsequenz einen Untersuchungsausschuss des Bundestages im Mai 1995 nach sich.

Vor dem Plutonium-Untersuchungsausschuss berichtete der spanische BND-V-Mann Rafael Ferreras Fernandez (genannt „Rafa“), das Bindeglied zu den Zwischenhändlern und dem BND-Residenten und BKA-Mitarbeiter Peter Fischer-Hollweg in Madrid, dass mit Wissen des BND am 10. August 1994 Plutonium via Lufthansa von Moskau nach München geschmuggelt wurde, um auf dem Münchner Flughafen einen politisch nutzbaren Fahndungserfolg vor den Wahlen in Bayern und der Bundestagswahl zu inszenieren.

Zusätzlich gab Ferreras Fernandez an, vor den Gerichtsverhandlungen in München „massiv“ durch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes bedrängt worden zu sein, um dort die Unwahrheit zu sagen. So habe er um das Leben seiner Frau und seines Kindes fürchten müssen.Im Juli 1998 kam der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass „der BND weder in München noch in seiner Residentur in Madrid diesen Plutoniumfall eingefädelt [habe].

Ferner habe der BND das Bundeskanzleramt sach- und zeitgerecht informiert. Dieses habe dann seine Rechts- und Fachaufsicht ordnungsgemäß ausgeübt. Es habe keine rechtswidrige Einflussnahme aus dem Bereich des Kanzleramts auf Entscheidungen der an diesem Fall beteiligten Behörden gegeben.“ Weiterhin hätte die „bayerische Polizei mit der Münchner Staatsanwaltschaft das behördliche Handeln bestimmt.“ Die Herkunft des Plutoniums konnte nie abschließend geklärt werden, einzig wurde festgestellt, dass es nicht aus Westeuropa stamme.

Quelle: Wikipedia, Spiegle, 1995, Heft 17, Titelgeschichte
 
 

Bayerischer Verfassungsschutz kooperiert mit Waffenhändler

In einem Bericht der Illustrierten Bunten vom September 1992 hatte sich Manfred Eder als Waffenhändler und Gelegenheitsagent geoutet und über seine Geschäfte geplaudert. “Ständig informiert über seine Umtriebe“ so Eder, war das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Bisweilen sei er erst „auf Bitten“ der Verfassungsschutzbeamten tätig geworden. Vor allem die Ostgeschäfte seien unter der Regie des Verfassungsschutzes abgelaufen. So habe er “tschechischen Regierungsvertretern“ (Geheimdienstlern) einen Digitalozillographen geliefert, ein High-Tech-Gerät, das in der Rüstungsindustrie gebraucht wird. Danach schmuggelte er mehrfach Verschlusssachen über den Panzer Leopard II nach Prag. Das Material war jeweils vom Verfassungsschutz geprüft und unter dessen Aufsicht kopiert worden.

Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen, bestätigte der Bayerische Innenminister Beckstein die Kontakte des Waffenhändlers mit dem Verfassungsschutz. Begründet wurde das seltsame Zusammenspiel damit, dass „bei derlei Operationen“ von Agenten gelegentlich auch „sogenanntes Spielmaterial“ übermittelt werden müsste. Waffen seien in den vorliegenden Fällen nicht geliefert worden. „Genauere Informationen über Art und Umfang der Verbindung des Landesamtes für Verfassungsschutz zu Herrn Eder müssen weiterhin der Geheimhaltung unterliegen, da ihre Veröffentlichung Arbeitsmethoden des Landesamtes offenbaren würden“, so Beckstein in seiner Antwort.

taze vom 30. 07. 1993

Niedersächsischer Verfassungsschützer als „Top-Spion“ entlarvt

Wilhelm Balke war Leiter der Spionageabwehrabteilung beim niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz. Von 1977 bis zum Fall der Mauer 1989 hat er für die Stasi der DDR gearbeitet und dafür 245.000 DM erhalten, so sein Geständnis vor Oberlandgericht Zelle. Dort war er wegen Landesverrat in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit Bestechlichkeit angeklagt. Er fühlte sich „ gemobbt“ und der Aufstieg in den höheren Dienst sei ihm verwehrt worden. Diese habe dazu geführt dass er Kontakt zum DDR-Geheimdienst aufgenommen habe. Sein Verrat soll dazu geführt haben, dass in der DDR zwei Mensch zu lebenslanger Haft und neun zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.

taze vom 03. 06. 1192 und 19. 10. 1993

Berliner Verfassungsschutz bespitzelt Pfarrer

Nach einem Bericht der evangelischen Wochenzeitung „Berlin-brandenburgisches Sonntagsblatt“ wurden ca. 50 Pfarrerinnen und Pfarrer in den letzten zwanzig Jahren (seit 1972) vom Verfassungsschutz im Rahmen der „Extremismus-Beobachtung“ vom Berliner Verfassungsschutz observiert. Auf Intervention der Kirchenleitung konnten inzwischen die meisten Betroffenen Einsicht in ihre Akten beim Verfassungsschutz nehmen.

taze vom 13. 07. 1992

Bremer Verfassungsschutz hörte rechtswidrig Telefon ab

Das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz hörte im Jahr 1989 zwölf Wochen lang das Telefon einer Wohngemeinschaft in Bremen-Nord ab. Das Bremer Verwaltungsgericht hält dies in seinem Urteil vom Juli 1992 für rechtswidrig. Nach Auffassung des Gerichts war der Antrag zur Abhörung des Telefons, dem sowohl der Innensenator (Peter Sakuth) wie auch die vom Parlament eingesetzte G-10 Kommission zugestimmt hatte, nicht ausreichend vom Verfassungsschutz begründet.

Das Gericht stellte fest: „Eine formale Begründung, die sich im Wesentlichen auf die Wiedergabe der gesetzlichen Regelung beschränkt, ist weder substantiiert noch nachprüfbar“.

Zum Hintergrund: der VS verdächtigte einen WG-Bewohner bei einem Anschlag auf ein AEG-Gebäude 1988 beteiligt gewesen zu sein. Die übrigen WG-Bewohner hätten sich schon dadurch verdächtig gemacht, „dass sie unverdächtig waren und in einer WG wohnten“, denn die „Autonomen Zellen“ leben, so der VS, charakteristischerweise in Wohngemeinschaften, in der sie ihre privaten und politischen Belange unbeobachtet organisieren könnten.

taze vom 10. 07. 1992

Extremisten-Datei in Bremen

Bremer Verfassungsschutz führte „Extremisten-Datei“ ohne Rechtsgrundlage und behindert die Kontrollarbeit des Datenschutzbeauftragten

Das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat auch nach Abschaffung des „Extremistenbeschlusses“ ohne Rechtsgrundlage und gegen die Bestimmungen des Datenschutzes eine „Extremismus-Datei“ geführt. Er meldete ca. 100 von ihm als „Extremisten“ eingestufte Personen aus Bremen an das Bundesamt für Verfassungsschutz. 14 Jahre lang, so die Feststellung des Datenschützers, hat die Senatskommission für das Personalwesen (PKS) auch noch auf telefonische Anfrage des Verfassungsschutzes, diesem mitgeteilt, welche als „Extremist“ gespeicherte Person an welcher Stelle mit entsprechender Gehaltsgruppe sitzt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz konnte so die „Karrieren“ der „Extremisten“ im öffentlichen Dienst in Bremen genau verfolgen. Dazu gehörten zum Beispiel Hochschullehrer, Sozialarbeiter, Krankenhausmitarbeiter. Bei den Hochschullehrern wurde als „Extremist“ eingestuft, wer z.B. Erklärungen gegen das Pinochet-Regime, Manifeste gegen die Neutronenbombe oder Aufrufe für das Russell-Tribunal in den 70er Jahren unterschrieben hatte.

Der Innensenator wusste, so seine Auskunft, nichts von der Extremismus-Datei. Auch die PKK war darüber nicht informiert worden.

Die Hälfte der Akten, die der Datenschutzbeauftragte bei seinen Stichproben untersucht hatte, mussten nach „seiner Intervention sofort vernichtet werden“.

Bei der Vorlage seines 14. Jahresberichtes erhob der Datenschutzbeauftragte auch den schweren Vorwurf, der Verfassungsschutz hätte ihn bei seiner Arbeit behindert.

Ihm sei Akteneinsicht in Fällen, in denen persönliche Daten vom LfV an andere öffentliche Stellen weitergeleitet wurden „aus Gründen des nachrichtendienstlichen Quellenschutzes“ verwehrt worden. Außerdem hatte sich das LfV geweigert, ihm Einsicht in Akten nehmen zu lassen, die an die NADIS-Datei des Bundesamtes für Verfassungsschutz weitergeleitet wurden.

Der Vorsitzende des Datenschutzausschusses der Bremer Bürgerschaft, Fred Junghans (FDP) empörte sich nicht über die vom Datenschutzbeauftragten offengelegten Verstöße, sondern er verurteilte „auf Schärfste“ die Veröffentlichung des „Falles“, er meinte damit die rechtswidrig geführte „Extremismus-Datei“.

taze vom 12. 3. 1992, 31. 03. 1992 und 23. 05. 1992

V-Mann Siegfried Nonne als Kronzeuge im Mordfall Herrhausen

Die dubiose Rolle des vom hessischen Verfassungsschutz geführten V-Manns Siegfried Nonne („Siggi“), der wegen psychischer Erkrankung erst abgeschaltet und dann zum Kronzeugen im Mordfall Herrhausen wurde

Von den aktiven Startbahngegnern des Frankfurter Flughafens kannte Siegfried N. niemand. Von 1982 bis 1986 soll er für das hessische Landesamt für Verfassungsschutz Informationen über die Anti-Startbahnbewegung beschafft haben. Bestätigt wurde das von Leiter des hessischen Verfassungsschutzes, Heinz Fromm. Vier Jahre sei er Information des Amtes gewesen und habe Informationen über die autonome Szene, die Anti-Startbahnbewegung und die RAF-Unterstützergruppen geliefert. Er sei dann 1986 „wegen massiver persönlicher Probleme und Depressionen „ abgeschaltet worden.

Ende 1990 taucht der V-Mann „Siggi“ wieder auf und erklärte in Vernehmungen durch das Landesamt für Verfassungsschutz und auch vor der Bundesanwaltschaft, dass er die mutmaßlichen RAF-Mitglieder Christian Seidler und Andrea Klumpp und die Phantome „“Peter“ und „Stephan“ vor dem Attentat auf Herrhausen in seiner Wohnung in Bad Homburg beherbergt hat und ihnen bei der Vorbereitung des Anschlage geholfen habe. Ein Indiz, das die Aussage stützen sollte, war der Fund von Sprengstoffspuren im Keller von Siegfried Nonne.

Die bis dahin im Dunkeln tappende SoKo-Herrhausen hatte dadurch endlich ein Erfolgserlebnis. Als Kronzeuge im Mordfall Herrhausen wurde Siegfried Nonne unter Zeugenschutz gestellt. Ein später von der Bundesanwaltschaft in Auftrag gegebenes psychiatrisches Gutachten betätigte die Glaubwürdigkeit des Zeugen.

Die Mär vom vertrauenswürdigen Kronzeugen Nonne hielt sich bis zu einer ARD-Brennpunkt-Sendung 1992. Darin widerrief er seine bisherigen Aussagen. Er habe seine Wohnung den angeblichen Terroristen Seidler und Klumpp nicht zur Verfügung gestellt und er sei an den Vorbereitungen des Attentats auch nicht beteiligt gewesen. Die ganze Geschichte sei eine „reine Erfindung“ von zwei Mitarbeitern des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Diese haben ihn zu einem konspirativen Treffen im Frankfurter Umland beordert und ihn zur Übernahme dieser „Schlüsselposition“ als Kronzeuge, basierend auf dieser frei erfunden Story, gedrängt. Als er das Angebot, das auch mit der Zahlung einer hohen Summe Geldes verbunden war, ablehnte, wurde er, so seine Interviewaussage, von den Verfassungsschützern massiv unter Druck gesetzt, auch mit der Drohung ihn in die geschlossene Psychiatrie einweisen zu lassen, dass er schließlich einwilligte, die Rolle zu spielen.

Diese Aussagen von Nonne in der Fernsehsendung wurden vom hessischen Verfassungsschutz zurückgewiesen.

Das Fernseh-Team der Brennpunkt-Sendung hat jedoch recherchiert, dass sich ein von Nonne genannter Verfassungsschützer zu dem fraglichen Zeitpunkt tatsächlich in dem Hotel im Taunus aufgehalten hatte, das von Nonne als Treffpunkt genannt worden war. Auch die Sprengstoffspuren in seinem Keller erwiesen sich als unbrauchbar, weil sie kein TNT enthielten. Beim Anschlag auf Herrhausen im November 1989 wurde aber TNT benutzt.

Eine weitere Rolle spielte eine Aussage des V-Manns und Kronzeugen Siegfried Nonne bei der illegalen Telefonüberwachung des Anwaltsbüros von Rechtsanwalt Rainer Koch. Die Frankfurter Anwaltskanzlei, deren Telefonüberwachung laut Verfassungsschutz von der G-10-Kommission „genehmigt“ worden sein soll, habe – so die Bundesanwaltschaft mit Berufung auf den Kronzeugen – als „Kontaktstelle für die Kommandoebene der RAF“ fungiert.

Der Obmann der Grünen in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) und der G10-Kommission Rupert von Plottnitz bezeichnet die Meldung, dass der Geheimdienstausschuss den „Lauschangriff“ genehmigt haben soll, als Ente. Die Berichte, nach denen die zuständigen Kontrollgremien „einschlägige Abklärungsaktivitäten des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz und wie auch immer geartete Abhörmaßnahmen“ gebilligt hätten, entbehrten jeder Grundlage, so die Erklärung von Rupert von Plottnitz.

Rechtsanwalt Koch erklärte, dass der vermeintliche Kronzeuge seine Kanzlei Ende 1991 insgesamt dreimal aufgesucht habe. Er wollte anwaltlichen Beistand bei angeblichen Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft. Er sei aber jedes mal wegen seines „total schleimigen Eindrucks“ mit dem Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Aussageersuchen der Bundesanwaltschaft aus der Kanzlei komplimentiert worden.

Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Ingrid Köppe (Bündnis 90/Grüne) hatte angesichts dieses skandalösen Handelns des Verfassungsschutzes in dem „Komplex Herrhausen“ die „umgehende Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Bonn“ gefordert.

taz vom 24. 1. 1992, 25. 02. 1992 und 03. 07. 1992

Der Mord an dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Alfred Herrhausen wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Dazu siehe auch:

http://www.heise.de/tp/artikel/31/31612/1.html Udo Schulz ,30.11.2009 „Herrhausen-Attentat, Zwanzig Jahre danach werden manche Fragen und Spuren immer unbequemer“.

FAZ vom 30.11.2009

Alfred Herrhausen – Der ungesühnte Mord

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