DDR Staat & Verfassung
Da vielerorts nicht die letzte Verfassung der DDR vorgestellt wird, hier nun die letzte Verfassung mit den Änderungen von 1990, d.h. der Erfüllung der Forderungen des Volkes. Dazu ein Verfassungsentwurf vom 4.4.1990 von der Expertengruppe des Runden Tisches der DDR erstellt.
Eine Übersicht über den Staatsapperat von 1983, der also zum Zeitpunkt der Wende aktiv war ist auch immer interessant.
Zur Struktur des Staats- und Parteisystems
Grundlegendes Organisationsprinzip des Staates war der Demokratische Zentralismus, der unter anderem besagt, dass Entscheidungen zentral getroffen werden und dass diese für die nachgeordneten Organe verbindlich sind 4. Oberstes staatliches Machtorgan war nach Art. 48 der Verfassung der DDR die Volkskammer, welche alle fünf Jahre aus allgemeinen und direkten Wahlen der Bevölkerung hervorging 5. Ihre 500 Abgeordneten bildeten die Fraktionen der Volkskammer und teilten sich ab 1963 zahlenmäßig folgendermaßen auf: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 127, Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) 52, National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) 52, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) 52 und Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) 52.
Die Parteien stellten also 335 Sitze oder 66% oder 2/3.
Dazu die Vereinigungen: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) 68, Freie Deutsche Jugend (FDJ) 40, Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD) 35 und Kulturbund der DDR (KB) 22 macht zusammen 165 Sitze oder 33% oder 1/3. Das restliche 1 Prozent war der Vorstand.
Die Volkskammer hatte insgesamt 500 Sitze.
Hierbei wird bereits die zentrale Rolle der SED im Staatssystem der DDR deutlich 7. Die Volkskammer wählte den Staatsrat („kollektives Staatsoberhaupt“; Legislative und Exekutive), den Ministerrat („Regierung der DDR“; Exekutive), das oberste Gericht und den Generalstaatsanwalt (Judikative) sowie den Nationalen Verteidigungsrat der DDR, jeweils mit Entsprechungen auf der Kreis- und Bezirksebene. Die politische Arbeit der Volkskammer wurde wesentlich durch die 15 Ausschüsse 8 realisiert, welche mit den jeweils zuständigen Ministerien zusammenarbeiteten.9
Nach der marxistisch-leninistischen Staatslehre war der sozialistische Staat das wichtigste Instrument der Arbeiterklasse und seiner Partei. Dieser instrumentale Charakter des Staates kommt darin zum Ausdruck, dass beispielsweise Beschlüsse der SED direkt vom Staat durchgeführt wurden und leitende Funktionen des Staates mit Mitgliedern der SED besetzt waren. Aufgrund ihrer zentralen Rolle soll im Folgenden die Struktur der SED erläutert werden 10:
Das höchste Organ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war der Parteitag. Er wählte seit 1971 alle fünf Jahre das Zentralkomitee (ZK) der SED, welches seinerseits zwischen den Parteitagen das höchste Leistungsorgan der Partei war.
Das ZK wiederum wählte die zentralen Führungsgremien: Das Politbüro des ZK der SED (PB) und das Sekretariat des Zentralkomitees der SED.
Die Struktur Parteitag, Zentralkomitee, Sekretariat wiederholte sich auf Bezirksebene als Bezirksdelegiertenkonferenz, Bezirksleitung, Sekretariat sowie auf der Kreisebene als Kreisdelegiertenkonferenz, Kreisleitung und Sekretariat.
Als weitere Parteiorgane sind die vom Parteitag gewählte Zentrale Revisionskommission (ZRK) und die vom ZK berufene Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) zu nennen, welche ihre Entsprechungen wiederum auf der Bezirks- und Kreisebene fanden.
Wahlen im politischen System der DDR waren jedoch eher das Resultat vorausgegangener kaderpolitischer Entscheidungen als demokratischer Abstimmungen. Die Basis dieser Hierarchiepyramide bildeten die Grundorganisationen der SED, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. 11 Das wichtigste Arbeitsinstrument des Sekretariats des ZK der SED war der ZK-Apparat. Dieser umfasste etwa 40 Abteilungen (darunter Kultur, Sport, Jugend), welche die tägliche politische Arbeit leisteten. 12
4 Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): DDR Handbuch, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Bd. 2: M-Z, Köln 1985 (b), S. 1270.
5 zur Struktur des Staatsapparates siehe Abbildung, Quelle: DDR-Handbuch (1985b), S. 1271.
6 FDJ: Massenorganisation für Jugendliche der DDR ab 14 Jahren, mit dem Ziel, diese zu „klassenbewussten“ Mitbürgern zu erziehen und die Ziele der SED auf dieser Ebene durchzusetzen. Neben politischen Aufgaben gehörten auch vielfältige kulturelle Aktivitäten zum Tätigkeitsbereich der FDJ-Mitglieder. (Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.): DDR Handbuch, 3., über- und erweiterte Auflage, Bd. 1: A-L, Köln 1985 (a), S. 451f.)
7 Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (1985b), S. 1439f.
8 Es gab Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten, für Nationale Verteidigung, für Industrie, Bauwesen und Verkehr, für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft, für Handel und Versorgung, für Haushalt und Finanzen, für Arbeit und Sozialpolitik, für Gesundheitswesen, für Volksbildung, für Kultur, für Eingaben der Bürger sowie einen Verfassungs- und Rechtsausschuss, einen Jugendausschuss, einen Geschäftsordnungs- und einen Mandatsprüfungsausschuss.
9 Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (1985b), S. 1439-1442; vgl. Koch, Hans: Grundlagen sozialistischer Kulturpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) 1983, S. 118f.
10 zur Struktur der SED siehe Abbildung, DDR-Handbuch (1985b), S. 1184.
11 Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (1985a), S. 1183ff.
12 Vgl. ebd., S. 1145.
Die Verfassung von 1949 war von Ost- und Westdeutschen Vertretern ausgearbeitet und dann in Ostdeutschland umgesetzt worden, da im Westen mittlerweile ein Staat gebildet worden war.
Erst elf Jahre später regte Walter Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED 1967 die Erarbeitung einer von Grund auf neuen Verfassung an, die der gegenüber 1949 veränderten Realität Rechnung tragen sollte.
Diese aus 108 Artikeln bestehende Verfassung erhielt die ausdrückliche Bezeichnung „sozialistisch“, die durch die Manifestation der Vormachtstellung der SED garantiert werden sollte.
Nach der Veröffentlichung des Entwurfes im Februar 1968 erfolgte eine „Volksaussprache“, durch die Änderungen wie beispielsweise die Ergänzung des Rechtes zum religiösen Bekenntnis bewirkt wurden. Abschließend wurde der Entwurf am 6. April 1968 per Volksabstimmung bestätigt. Ob diese demokratischen Grundsätzen von 1990 entsprach können wir nicht sagen, es war das Jahr 1968, in dem sicherlich noch nicht perfekte moderne Wahlbedingunge herrschten.
Fakt ist aber sie war weder von Russen aufgezwungen oder genehmigt worden, sondern wurde allein von den Bürgern der DDR erarbeitet. Die Zustimmung wurde im offiziellen Ergebnis mit 96,37 % der abgegebenen Stimmen und 3,4 % Nein-Stimmen ausgewiesen. Es handelte sich um den einzigen Volksentscheid der DDR-Geschichte. Drei Tage später trat die neue Verfassung offiziell in Kraft.
Interessant ist hier vielleicht ein Vergleich zwischen den Verfassungen von 1949 und 1968.
Bekannt ist auch das die Vorherrschaft der SED 1990 von der Volkskammer selbst gestrichen wurde. Die DDR-Bürger haben das als Fehler empfunden und zu einer ihrer Forderungen diese Vorherrschaft zu streichen.
vom 6. April 1968 in der Fassung vom 7. Oktober 1974 ergänzt mit den Änderungen und Streichungen von 1990
In Fortsetzung der revolutionären Tradition der deutschen Arbeiterklasse und gestützt auf die Befreiung vom Faschismus hat das Volk der Deutschen Demokratischen Republik in Übereinstimmung mit den Prozessen der geschichtlichen Entwicklung unserer Epoche sein Recht auf sozial-ökonomische, staatliche und nationale Selbstbestimmung verwirklicht und gestaltet die entwickelte sozialistische Gesellschaft.
Erfüllt von dem Willen, seine Geschicke frei zu bestimmen, unbeirrt auch weiter den Weg des Sozialismus und Kommunismus, des Friedens, der Demokratie und der Völkerfreundschaft zu gehen, hat sich das Volk der Deutschen Demokratischen Republik dieses sozialistische Verfassung gegeben.
Kapitel 1 – Politische Grundlagen
Artikel 1
Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern.
Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei. (gestrichen im März 1990)
Die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik ist Berlin.
Die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik besteht aus den Farben Schwarz-Rot-Gold und trägt auf beiden Seiten in der Mitte das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik.
Das Staatswappen der Deutschen Demokratischen Republik besteht aus Hammer und Zirkel, umgeben von einem Ährenkranz, der im unteren Teil von einem schwarz-rot-goldenen Band umschlungen ist.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 1. Freiheitliche Grundordnung.
(1) Die Deutsche Demokratische Republik ist ein freiheitlicher, demokratischer, föderativer, sozialer und ökologisch orientierter Rechtsstaat. Hinsichtlich der föderativen Ordnung gilt dies nach Maßgabe einer besonderen Ergänzung der Verfassung und noch zu erlassender gesetzlicher Vorschriften. Der Staat gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung.
(2) Vorschriften der Verfassung und sonstiger Rechtsvorschriften sind entsprechend diesem Verfassungsgesetz anzuwenden. Bestimmungen in Rechtsvorschriften, die den einzelnen oder Organe der staatlichen Gewalt auf die sozialistische Staats- und Rechtsordnung, auf das Prinzip des demokratischen Zentralismus, auf die sozialistische Gesetzlichkeit, das sozialistische Rechtsbewußtsein oder die Anschauungen einzelner Bevölkerungsgruppen oder Parteien verpflichten, sind aufgehoben.
(3) Das zuständige Gericht kann zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und anderen Rechtsakte angerufen werden. Näheres regelt ein Gesetz.
Artikel 2
1 Alle politische Macht in der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Werktätigen in Stadt und Land ausgeübt. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates. Die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität ist die entscheidende Aufgabe der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.
2 Das feste Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehörigen der Intelligenz und den anderen Schichten des Volkes, das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln, die Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung nach den fortgeschrittensten Erkenntnissen der Wissenschaft bilden unantastbare Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung.
3 Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist für immer beseitigt. Was des Volkes Hände schaffen, ist des Volkes Eigen. Das sozialistische Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“ wird verwirklicht.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 2. Eigentum.
Privateigentum einschließlich des Erwerbs von Eigentum und eigentumsgleichen Rechten an Grund und Boden sowie an Produktionsmitteln wird gewährleistet. Dadurch wird die gesetzliche Zulassung besonderer Eigentumsformen für die Beteiligung der öffentlichen Hand oder anderer Rechtsträger im Wirtschaftsverkehr sowie eine rechtsstaatliche Überprüfung der bestehenden Eigentumsverhältnisse nicht berührt. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dienen.
Artikel 3
1 Das Bündnis aller Kräfte des Volkes findet in der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik seinen organisierten Ausdruck.
2 In der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik vereinigen die Parteien und Massenorganisationen alle Kräfte des Volkes zum gemeinsamen Handeln für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft. Dadurch verwirklichen sie das Zusammenleben aller Bürger in der sozialistischen Gemeinschaft nach dem Grundsatz, daß jeder Verantwortung für das Ganze trägt.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 3. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit.
(1) Jede natürliche und juristische Person hat das Recht, im Rahmen der Gesetze mit anderen Verträge zu schließen und sich insbesondere wirtschaftlich zu betätigen.
(2) Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft darf gesetzlich geregelt, aber nicht staatlich oder anderweitig monopolisiert werden.
Artikel 4
Alle Macht dient dem Wohl des Volkes. Sie sichert sein friedliches Leben, schützt die sozialistische Gesellschaft und gewährleistet die sozialistische Lebensweise der Bürger, freie Entwicklung des Menschen, wahrt seine Würde und garantiert die in der Verfassung verbürgten Rechte.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 4. Tarifvertragsparteien.
(1) Jedermann hat das Recht, zur Wahrung und Förderung, insbesondere zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten, aus solchen Vereinigungen auszutreten und ihnen fernzubleiben.
(2) Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und unabhängig sein sowie das Arbeitskampfrecht und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen.
Artikel 5
1 Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik üben ihre politische Macht durch demokratisch gewählte Volksvertretungen aus.
2 Die Volksvertretungen sind die Grundlage des Systems der Staatsorgane. Sie stützen sich in ihrer Tätigkeit auf die aktive Mitgestaltung der Bürger an der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle ihrer Entscheidungen.
3 Zu keiner Zeit und unter keinen Umständen können andere als die verfassungsmäßig vorgesehen Organe staatliche Macht ausüben.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 5. Unabhängige Rechtsprechung.
(1) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.
(2) Die Richter sind unabhängig und nur der Verfassung nach Maßgabe dieses Verfassungsgesetzes und dem Gesetz unterworfen. Sie unterliegen insoweit keiner Aufsicht staatlicher oder gesellschaftlicher Organe. Eine Leitung der Rechtsprechung unterer Gerichte durch obere Gerichte ist nicht zulässig.
Artikel 6
1 Die Deutsche Demokratische Republik hat getreu den Interessen des Volkes und den internationalen Verpflichtungen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet. Sie betreibt eine dem Sozialismus und dem Frieden, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienenden Außenpolitik.
2 Die Deutsche Demokratische Republik ist für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet. Das enge und brüderliche Bündnis mit ihr garantiert dem Volk der Deutschen Demokratischen Republik das weitere Voranschreiten auf dem Weg in den Sozialismus und der Friedens.
Die Deutsche Demokratische Republik ist untrennbarer Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft.
Sie trägt getreu den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus zu ihrer Stärkung bei, pflegt und entwickelt die Freundschaft, die allseitige Zusammenarbeit und den gegenseitigen Bestand mit allen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft. (durch die Geschichte selbst ungültig geworden)
3 Die Deutsche Demokratische Republik unterstützt die Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus und sein Kolonialregime, für nationale Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, in ihrem Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt. Die Deutsche Demokratische Republik tritt für die Verwirklichung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen ein und pflegt auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung die Zusammenarbeit mit allen Staaten.
4 Die Deutsche Demokratische Republik setzt sich für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, für eine stabile Friedensordnung in der Welt und für allgemeine Abrüstung ein.
5 Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß werden als Verbrechen geahndet.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 6. Schutz der Umwelt.
Der Schutz der natürlichen Umwelt ist Pflicht des Staates und aller Bürger. Er ist durch Gesetze zu gewährleisten.
Artikel 7
1 Die Staatsorgane gewährleisten die territoriale Integrität der Deutschen Demokratischen Republik und die Unverletzlichkeit ihrer Staatsgrenzen einschließlich ihres Luftraumes und ihrer Territorialgewässer sowie den Schutz und die Nutzung ihres Festlandsockels.
2 Die Deutsche Demokratische Republik organisiert die Landesverteidigung sowie den Schutz der sozialistischen Ordnung und des friedlichen Lebens der Bürger. Die Nationale Volksarmee und die anderen Organe der Landesverteidigung schützen die sozialistischen Errungenschaften des Volkes gegen alle Angriffe von außen. Die Nationale Volksarmee pflegt im Interesse des Friedens und der Sicherung des sozialistischen Staates enge Waffenbrüderschaft mit den Armeen der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten. (durch die Geschichte selbst ungültig geworden)
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 7. Schutz der Arbeit.
Die Arbeitskraft wird vom Staat geschützt. Der Staat fördert das Recht des einzelnen, durch Arbeit ein menschenwürdiges Leben in sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Freiheit zu führen, und schafft die dazu notwendigen Rahmenbedingungen.
Artikel 8
1 Die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts sind für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich.
2 Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 8. Hoheitsrechte.
Die Deutsche Demokratische Republik kann durch Verfassungsgesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen und Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland übertragen oder in die Beschränkung von Hoheitsrechten einwilligen.
Kapitel 2 – Ökonomische Grundlagen, Wissenschaft, Bildung und Kultur
Artikel 9
1 Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik beruht auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln. Sie entwickelt sich gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse und der zielstrebigen Verwirklichung der sozialistischen ökonomischen Integration.
2 Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik dient der Stärkung der sozialistischen Ordnung, der ständig besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger, der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen.
3 In der Deutschen Demokratischen Republik gilt der Grundsatz der Leitung und Planung der Volkswirtschaft sowie aller gesellschaftlichen Bereiche. Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist sozialistische Planwirtschaft. Die zentrale staatliche Leitung und Planung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung ist mit der Eigenverantwortung der örtlichen Staatsorgane und Betriebe sowie der Initiative der Werktätigen verbunden.
4 Die Festlegung des Währungs- und Finanzsystems ist Sache des sozialistischen Staates. Abgaben und Steuern werden auf der Grundlage von Gesetzen erhoben.
5 Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft ist staatliches Monopol.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 9. Neufassung. Artikel 106 der DDR-Verfassung wird wie folgt gefaßt:
»Artikel 106. Die Verfassung kann nur von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik durch Gesetz geändert werden, das ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnet ist. Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik und andere völkerrechtliche Verträge sind, soweit durch sie Verfassungsgegenstände berührt werden, durch ein ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnetes Gesetz zu bestätigen, das der Zustimmung von zwei Drittel der Mitglieder der Volkskammer bedarf.«
Artikel 10
1 Das sozialistische Eigentum besteht
als gesamtgesellschaftliches Volkseigentum,
als genossenschaftliches Gemeineigentum werktätiger Kollektive sowie
als Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger.
2 Das sozialistische Eigentum zu schützen und zu mehren ist Pflicht des sozialistischen Staates und seiner Bürger.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 10. Schlußbestimmung.
Dieses Verfassungsgesetz tritt am 17. Juni 1990 in Kraft und behält seine Gültigkeit bis zur Inkraftsetzung einer neuen Verfassung.
Artikel 11
1 Das persönliche Eigentum der Bürger und das Erbrecht sind gewährleistet. Das persönliche Eigentum dient der Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger.
2 Die Rechte von Urhebern und Erfindern genießen den Schutz des sozialistischen Staates.
3 Der Gebrauch des Eigentum sowie von Urheber- und Erfinderrechten darf den Interessen der Gesellschaft nicht zuwiderlaufen.
Artikel 12
1 Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Talsperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer des Festlandssockels, Industriebetriebe, Banken und Versicherungseinrichtungen, die volkseigenen Güter, die Verkehrswege, die Transportmittel der Eisenbahn, die Seeschiffahrt sowie der Luftfahrt, die Post- und Fernmeldeanlagen sind Volkseigentum. Privateigentum daran ist unzulässig.
2 Der sozialistische Staats gewährleistet die Nutzung des Volkseigentums mit dem Ziel des höchsten Ergebnisses für die Gesellschaft. Dem dienen die sozialistische Planwirtschaft und das sozialistische Wirtschaftsrecht. Die Nutzung und Bewirtschaftung des Volkseigentums erfolgt grundsätzlich durch die volkseigenen Betriebe und staatlichen Einrichtungen. Seine Nutzung und Bewirtschaftung kann der Staat durch Verträge genossenschaftlichen oder gesellschaftlichen Organisationen und Vereinigungen übertragen. Eine solche Übertragung hat den Interessen der Allgemeinheit und der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums zu dienen.
Artikel 13
Die Geräte, Maschinen, Anlagen, Bauten der landwirtschaftlichen, handwerklichen und sonstigen sozialistischen Genossenschaften sowie die Tierbestände der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und das aus genossenschaftlicher Nutzung des Bodens sowie genossenschaftlicher Produktionsmittel erzielte Ergebnis sind genossenschaftliches Eigentum.
Artikel 14
1 Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begründung wirtschaftlicher Macht sind nicht gestattet.
2 Die auf überwiegend persönlicher Arbeit beruhenden kleinen Handwerks- und anderen Gewerbebetrieben sind auf gesetzlicher Grundlage tätig. In der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die sozialistische Gesellschaft werden sie vom Staat gefördert.
Artikel 15
1 Der Boden der Deutschen Demokratischen Republik gehört zu ihren kostbarsten Naturreichtümern. Er muß geschützt und rationell genutzt werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden darf nur mit Zustimmung der verantwortlichen Organe seiner Zweckbestimmung entzogen werden.
2 Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheit der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers.
Artikel 16
Enteignungen sind nur für gemeinnützige Zwecke auf gesetzlicher Grundlage und gegen eine angemessene Entschädigung zulässig. Sie dürfen nur erfolgen, wenn auf andere Weise der angestrebte gemeinnützige Zweck nicht erreicht werden kann.
Artikel 17
1 Die Deutsche Demokratische Republik fördert die Wissenschaft, Forschung und Bildung mit dem Ziel, die Gesellschaft und das Leben der Bürger zu schützen und bereichern. Dem dient die Vereinigung der wissenschaftlich-technischen Revolution mit den Vorzügen des Sozialismus.
2 Mit dem einheitlichen sozialistischen Bildungssystem sichert die Deutsche Demokratische Republik allen Bürgern eine den ständig steigenden gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechende hohe Bildung. Sie befähigt die Bürger, die sozialistische Gesellschaft zu gestalten und an den Entwicklungen der sozialistischen Demokratie schöpferisch mitzuwirken.
3 Jeder gegen den Frieden, die Völkerverständigung, gegen das Leben und die Würde des Menschen gerichtete Mißbrauch der Wissenschaft ist verboten.
Artikel 18
1 Die sozialistischen Nationalkultur gehört zu den Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft. Die Deutsche Demokratische Republik fördert und schützt die sozialistische Kultur, die dem Frieden, dem Humanismus und der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft dient. Sie bekämpft die imperialistische Unkultur, die der psychologischen Kriegführung und der Herabwürdigung des Menschen dient. Die sozialistische Gesellschaft fördert das kulturvolle Leben der Werktätigen, pflegt alle humanistischen Werte der nationalen Kulturerbes und der Weltkultur und entwickelt die sozialistische Nationalkultur als Sache des ganzen Volkes.
2 Die Förderung der Künste, der künstlerischen Interessen und Fähigkeiten aller Werktätigen und die Verbreitung künstlerischer Werke und Leistungen sind Obliegenheiten des Staates und aller gesellschaftlichen Kräfte. Das künstlerische Schaffen beruht auf einer engen Verbindung der Kulturschaffenden mit dem Leben des Volkes.
3 Körperkultur, Sport und Touristik als Element der sozialistischen Kultur dienen der allseitigen körperlichen und geistigen Entwicklung der Bürger.
Kapitel 1 – Grundrechte und Grundpflichten der Bürger
Artikel 19
1 Die Deutsche Demokratische Republik garantiert allen Bürgern die Ausübung ihrer Rechte und ihre Mitwirkung an der Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie gewährleistet die sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit.
2 Achtung und Schutz der Würde und Freiheit der Persönlichkeit sind Gebot für alle staatlichen Organe, alle gesellschaftlichen Kräfte und jeden einzelnen Bürger.
3 Frei von Ausbeutung, Unterdrückung und wirtschaftlicher Abhängigkeit hat jeder Bürger gleiche Rechte und vielfältige Möglichkeiten, seine Fähigkeiten in vollem Umfang zu entwickeln und sein Kräfte aus freiem Entschluß zum Wohle der Gesellschaft und zu seinem eigenen Nutzen in der sozialistischen Gemeinschaft ungehindert zu entfalten. So verwirklicht er Freiheit und Würde seiner Persönlichkeit. Die Beziehungen der Bürger werden durch gegenseitige Achtung und Hilfe, durch die Grundsätze sozialistischer Moral geprägt.
4 Die Bedingungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik werden durch Gesetz bestimmt.
Artikel 20
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat unabhängig von seiner Nationalität, seiner Rasse, seinem weltanschaulichen oder religiösen Bekenntnis, seiner sozialen Herkunft und Stellung die gleichen Rechte und Pflichten. Gewissens- und Glaubensfreiheit sind gewährleistet. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleich.
2 Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe.
3 Die Jugend wird in ihrer gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklung besonders gefördert. Sie hat alle Möglichkeiten, an der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung verantwortungsbewußt teilzunehmen.
Artikel 21
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates umfassend mitzugestalten. Es gilt der Grundsatz „Arbeite mit, plane mit, regiere mit!“.
2 Das Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung ist dadurch gewährleistet, daß die Bürger
alle Machtorgane demokratisch wählen, an ihrer Tätigkeit und an der Leitung, Planung und Gestaltung des gesellschaftlichen Lebend mitwirken;
Rechenschaft von den Volksvertretungen, ihren Abgeordneten, den Leitern staatlicher und wirtschaftlicher Organe über ihre Tätigkeit fordern können;
mit der Autorität ihrer gesellschaftlichen Organisationen ihrem Wollen und ihren Forderungen Ausdruck geben;
sich mit ihren Anliegen und Vorschlägen an die gesellschaftlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Organe und Einrichtungen wenden können;
in Volksabstimmungen ihren Willen bekunden.
3 Die Verwirklichung dieses Rechts der Mitbestimmung und Mitgestaltung ist zugleich eine hohe moralische Verpflichtung für jeden Bürger.
Die Ausübung gesellschaftlicher oder staatlicher Funktionen findet ihre Anerkennung und Unterstützung der Gesellschaft und des Staates.
Artikel 22
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik, der am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist wahlberechtigt.
2 Jeder Bürger kann in die Volkskammer und in die örtlichen Volksvertretungen gewählt werden, wenn er am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet hat.
3 Die Leitung der Wahlen durch demokratisch gebildete Wahlkommissionen, die Volksaussprache über die Grundfragen der Politik und die Aufstellung und Prüfung der Kandidaten durch die Wähler sind unverzichtbare sozialistische Wahlprinzipien.
Artikel 23
1 Der Schutz des Friedens und des sozialistischen Vaterlandes und seiner Errungenschaften ist Recht und Ehrenpflicht der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik. Jeder Bürger ist zum Dienst und zu Leistungen für die Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik entsprechend den Gesetzen verpflichtet.
2 Kein Bürger darf an kriegerischen Handlungen und ihrer Vorbereitung teilnehmen, die der Unterdrückung eines Volkes dienen.
3 Die Deutsche Demokratische Republik kann Bürgern anderer Staaten oder Staatenlosen Asyl gewähren, wenn sie wegen politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Tätigkeit zur Verteidigung des Friedens, der Demokratie, der Interessen des werktätigen Volkes oder wegen ihrer Teilnahme am sozialen und nationalen Befreiungskampf verfolgt werden.
Artikel 24
(1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und der persönlichen Qualifikation. Er hat das Recht auf Lohn nach Qualität und Quantität der Arbeit. Mann und Frau, Erwachsene und Jugendliche haben das Recht auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeitsleistung.
(2) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit ist eine ehrenvolle Pflicht für jeden arbeitsfähigen Bürger. Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit.
(3) Das Recht auf Arbeit wird gewährleistet
durch das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln;
durch die sozialistische Leitung und Planung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses;
durch das stetige und planmäßige Wachstum der sozialistischen Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität;
durch die konsequente Durchführung der wissenschaftlich-technischen Revolution;
durch ständige Bildung und Weiterbildung der Bürger und durch das einheitliche sozialistische Arbeitsrecht.
Artikel 25
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das gleiche Recht auf Bildung. Die Bildungsstätten stehen jedermann offen. Das einheitliche sozialistische Bildungssystem gewährleistet jedem Bürger eine kontinuierliche sozialistische Erziehung, Bildung und Weiterbildung.
2 Die Deutsche Demokratische Republik sichert das Voranschreiten des Volkes zur sozialistischen Gemeinschaft allseitig gebildeter und harmonisch entwickelter Menschen, die vom Geist des sozialistischen Patriotismus und Internationalismus durchdrungen sind und über eine hohe Allgemeinbildung und Spezialbildung verfügen.
3 Alle Bürger haben das recht auf Teilnahme am kulturellen Leben. Es erlangt unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution und der Erhöhung der geistigen Anforderungen wachsende Bedeutung. Zur vollständigen Ausprägung der sozialistischen Persönlichkeit und zur wachsenden Befriedigung der kulturellen Interessen und Bedürfnisse wird die Teilnahme der Bürger am kulturellen Leben, an der Körperkultur und am Sport durch den Staat und die Gesellschaft gefördert.
4 In der Deutschen Demokratischen Republik besteht allgemeine zehnjährige Oberschulpflicht, die durch den Besuch der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule in den Einrichtungen der Berufsausbildung oder der Aus- und Weiterbildung der Werktätigen beendet werden. Alle Jugendlichen haben das Recht und die Pflicht, einen Beruf zu erlernen.
5 Für Kinder und Erwachsene mit psychischen und physischen Schädigungen bestehen Sonderschul- und –ausbildungseinrichtungen.
6 Die Lösung dieser Aufgaben wird durch den Staat und alle gesellschaftlichen Kräfte in gemeinsamer Bildungs- und Erziehungsarbeit gesichert.
Artikel 26
1 Der Staat sichert die Möglichkeit des Übergangs zur nächsthöheren Bildungsstufe bis zu den höchsten Bildungsstätten, den Universitäten und Hochschulen, entsprechend dem Leistungsprinzip, den gesellschaftlichen Erfordernissen und unter Berücksichtigung der sozialen Struktur der Bevölkerung.
2 Es besteht Schulgeldfreiheit. Ausbildungsbeihilfen und Lernmittelfreiheit werden nach sozialen Gesichtspunkten gewährt.
3 Direktstudenten an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen sind von Studiengebühren befreit.
Stipendien und Studienbeihilfen werden nach sozialen Gesichtspunkten und nach Leistung gewährt.
Artikel 27
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt. Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.
2 Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet.
Artikel 28
1 Alle Bürger haben das Recht, sich im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung friedlich zu versammeln.
2 Die Nutzung der materiellen Voraussetzungen zur ungehinderten Ausübung dieses Rechts, der Versammlungsgebäude, Straßen und Kundgebungsplätze, Druckereien und Nachrichtenmittel wird gewährleistet.
Artikel 29
Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik haben das Recht auf Vereinigung, um durch gemeinsames Handeln in politischen Parteien, gesellschaftlichen Organisationen, Vereinigungen und Kollektiven ihre Interessen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der Verfassung zu verwirklichen.
Artikel 30
1 Die Persönlichkeit und die Freiheit jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik sind unantastbar.
2 Einschränkungen sind nur im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen oder einer Heilbehandlung zulässig und müssen gesetzlich begründet sein. Dabei dürfen die Rechte solcher Bürger nur insoweit eingeschränkt werden, als dies gesetzlich zulässig und unumgänglich ist.
3 Zum Schutz seiner Freiheit und der Unantastbarkeit seiner Persönlichkeit hat jeder Bürger den Anspruch auf die Hilfe der staatlichen und gesellschaftlichen Organe.
Artikel 31
1 Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzbar.
2 Sie dürfen nur auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit des sozialistischen Staates oder eine strafrechtliche Verfolgung erfordern.
Artikel 32
Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat im Rahmen der Gesetze das Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Staatsgebietes der Deutschen Demokratischen Republik.
Artikel 33
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat bei Aufenthalt außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik Anspruch auf Rechtsschutz durch die Organe der Deutschen Demokratischen Republik.
2 Kein Bürger der Deutschen Demokratischen Republik darf einer auswärtigen Macht ausgeliefert werden.
Artikel 34
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Freizeit und Erholung.
2 Das Recht auf Freizeit und Erholung wird gewährleistet durch die gesetzliche Begrenzung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit,
durch einen vollbezahlten Jahresurlaub und
durch den planmäßigen Ausbau des Netzes volkseigener und anderer gesellschaftlicher Erholungs- und Urlaubszentren.
Artikel 35
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Schutz seiner Gesundheit und seiner Arbeitskraft.
2 Dieses Recht wird durch die planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, die Pflege der Volksgesundheit, eine umfassenden Sozialpolitik, die Förderung der Körperkultur, des Schul- und Volkssports und der Touristik gewährleistet.
3 Auf der Grundlage eines sozialen Versicherungssystems werden bei Krankheit und Unfällen materielle Sicherheit, unentgeltliche ärztliche Hilfe, Arzneimittel und andere medizinische Sachleistungen gewährt.
Artikel 36
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Fürsorge der Gesellschaft im Alter und bei Invalidität.
2 Dieses Recht wird durch eine steigende materielle, soziale und kulturelle Versorgung und Betreuung alter und arbeitsunfähiger Bürger gewährleistet.
Artikel 37
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Wohnraum für sich und seine Familie entsprechend den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und örtlichen Bedingungen. Der Staat ist verpflichtet, dieses Recht durch die Förderung des Wohnungsbaus, die Werterhaltung vorhanden Wohnraums und die öffentliche Kontrolle über die gerechte Verteilung des Wohnraums zu verwirklichen.
2 Es besteht Rechtsschutz bei Kündigungen.
3 Jeder Bürger hat das Recht auf Unverletzbarkeit seiner Wohnung.
Artikel 38
1 Ehe, Familie und Mutterschaft stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.
Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung der Ehe und Familie.
2 Dieses Recht wird durch die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Ehe und Familie, durch die gesellschaftliche und staatliche Unterstützung der Bürger bei der Festigung und Entwicklung ihrer Ehe und Familie gewährleistet. Kinderreichen Familien, alleinstehenden Müttern und Vätern gilt die Fürsorge und Unterstützung des sozialistischen Staates durch besondere Maßnahmen.
3 Mutter und Kind genießen den besonderen Schutz des sozialistischen Staates. Schwangerschaftsurlaub, spezielle medizinische Betreuung, materielle und finanzielle Unterstützung bei Geburten und Kindergeld werden gewährt.
4 Es ist das Recht und die vornehmste Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu gesunden und lebensfrohen, tüchtigen und allseitig gebildeten Menschen, zu staatsbewußten Bürgern zu erziehen. Die Eltern haben Anspruch auf ein enges und vertrauensvolles Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen und staatlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen.
Artikel 39
1 Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben.
2 Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.
Artikel 40
Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sorbischer Nationalität haben das Recht zur Pflege ihrer Muttersprache und Kultur. Die Ausübung dieses Rechts wird vom Staat gefördert.
Kapitel 2 – Betriebe, Städte und Gemeinden in der sozialistischen Gesellschaft
Artikel 41
Die sozialistischen Betriebe, Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände sind im Rahmen der zentralen staatlichen Leitung und Planung eigenverantwortliche Gemeinschaften, in denen die Bürger arbeiten und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten. Sie sichern die Wahrnehmung der Grundrechte der Bürger, die wirksame Verbindung der persönlichen mit den gesellschaftlichen Interessen sowie ein vielfältiges gesellschaftlich-politisches und kulturell-geistiges Leben. Sie stehen unter dem Schutz der Verfassung. Eingriffe in ihre Rechte können nur auf der Grundlage von Gesetzen erfolgen.
Artikel 42
1 Im Betrieb, dessen Tätigkeit die Grundlage für die Schaffung und Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums ist, wirken die Werktätigen unmittelbar und mit Hilfe ihrer gewählten Organe an der Leitung mit. Näheres regeln Gesetze und Statuten.
2 Zur Erhöhung der gesellschaftlichen Produktivität können von den staatlichen Organen, den Betrieben und Genossenschaften Vereinigungen und Gesellschaften gebildet werden sowie andere Formen der kooperativen Zusammenarbeit entwickelt werden.
Artikel 43
1 Die Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände der Deutschen Demokratischen Republik gestalten die notwendigen Bedingungen für ein ständig bessere Befriedigung der materiellen, sozialen, kulturellen und sonstigen gemeinsamen Bedürfnisse der Bürger. Zur Lösung dieser Aufgaben arbeiten sie mit den Betrieben und Genossenschaften ihres Gebietes zusammen. Alle Bürger nehmen daran durch die Ausübung ihrer politischen Rechte teil.
2 Die Verantwortung für die Verwirklichung der gesellschaftlichen Funktion der Städte und Gemeinden obliegt den von den Bürgern gewählten Volksvertretungen. Sie entscheiden eigenverantwortlich auf der Grundlage der Gesetze über ihre Angelegenheiten. Sie tragen die Verantwortung für die rationelle Nutzung aller Werte des Volksvermögens, über die sie verfügen.
Kapitel 3 – Die Gewerkschaften und ihre Rechte
Artikel 44
1 Die freien Gewerkschaften, vereinigt im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, sind die umfassende Klassenorganisation der Arbeiterklasse. Sie nehmen die Interessen der Arbeiter, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz durch umfassende Mitbestimmung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wahr.
2 Die Gewerkschaften sind unabhängig. Niemand darf sie in ihrer Tätigkeit einschränken oder behindern.
3 Die Gewerkschaften nehmen durch die Tätigkeit ihrer Organisationen und Organe, durch ihre Vertreter in den gewählten staatlichen Machtorganen und durch ihre Vorschläge an die staatlichen und wirtschaftlichen Organe maßgeblich teil
an der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft,
an der Leitung und Planung der Volkswirtschaft,
an der Verwirklichung der wissenschaftlich-technischen Revolution,
an der Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen, des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arbeitskultur, des kulturellen und sportlichen Lebens der Werktätigen.
Die Gewerkschaften arbeiten in den Betrieben und Institutionen an der Ausarbeitung der Pläne mit. Sie leiten die Ständigen Produktionsberatungen.
Artikel 45
1 Die Gewerkschaften haben das Recht, über alle die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen betreffenden Fragen mit staatlichen Organen, mit Betriebsleitungen und anderen wirtschaftlichen Organen Vereinbarungen abzuschließen.
2 Die Gewerkschaften nehmen aktiv Anteil an der Gestaltung der sozialistischen Rechtsordnung. Sie besitzen das Recht der Gesetzesinitiative sowie der gesellschaftlichen Kontrolle über die Wahrung der gesetzlich garantierten Rechte der Werktätigen.
3 Die Gewerkschaften leiten die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Versicherten. Sie nehmen an der umfassenden materiellen und finanziellen Versorgung und Betreuung der Bürger bei Krankheit, Arbeitsunfall, Invalidität und im Alter teil.
4 Alle Staatsorgane und Wirtschaftsleiter sind verpflichtet, für eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Sorge zu tragen.
Kapitel 4 – Die sozialistischen Produktionsgenossenschaften und ihre Rechte
Artikel 46
(1) Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sind die freiwilligen Vereinigungen der Bauern zur gemeinsamen sozialistischen Produktion, zur ständig besseren Befriedigung ihrer materiellen und kulturellen Bedürfnisse und zur Versorgung des Volkes und der Volkswirtschaft. Sie gestalten auf der Grundlage der Gesetze eigenverantwortlich ihre Arbeits- und Lebensbedingungen.
(2) Durch ihre Organisationen und ihre Vertreter in den Staatsorganen nehmen die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften aktiv an der staatlichen Leitung und Planung der gesellschaftlichen Entwicklung teil.
(3) Der Staat hilft den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, die sozialistische Großproduktion auf der Grundlage fortgeschrittener Wissenschaft und Technik zu entwickeln.
(4) Für die sozialistischen Produktionsgenossenschaften der Fischer, der Gärtner und der Handwerker gelten die gleichen Grundsätze.
Artikel 47
1 Der Aufbau und die Tätigkeit der staatlichen Organe werden durch die in der Verfassung festgelegten Ziele und Aufgaben der Staatsmacht bestimmt.
2 Die Souveränität des werktätigen Volkes, verwirklicht auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus, ist das tragende Prinzip des Staatsaufbaus.
Artikel 48
1 Die Volkskammer ist das oberste Machtorgan der Deutschen Demokratischen Republik. Sie entscheidet in ihren Plenarsitzungen über die Grundfragen der Staatspolitik.
2 Die Volkskammer ist das einzige verfassungs- und gesetzgebende Organ in der Deutschen Demokratischen Republik. Niemand kann ihre Rechte einschränken.
Die Volkskammer verwirklicht in ihrer Tätigkeit den Grundsatz der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung.
Artikel 49
1 Die Volkskammer bestimmt durch Gesetze und Beschlüsse endgültig und für jedermann verbindlich die Ziele der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik.
2 Die Volkskammer legt die Hauptregeln für das Zusammenwirken der Bürger, Gemeinschaften und Staatsorgane sowie deren Aufgaben bei der Durchführung der staatlichen Pläne der gesellschaftlichen Entwicklung fest.
3 Die Volkskammer gewährleistet die Verwirklichung ihrer Gesetze und Beschlüsse. Sie bestimmt die Grundsätze der Tätigkeit des Staatsrates, des Ministerrates, des Nationalen Verteidigungsrates, der Obersten Gerichts und des Generalstaatsanwalts.
Artikel 50
Die Volkskammer wählt den Vorsitzenden und die Mitglieder des Staatsrates, den Vorsitzenden und die Mitglieder des Ministerrates, den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates, den Präsidenten und die Richter des Obersten Gerichts und den Generalstaatsanwalt. Sie können jederzeit von der Volkskammer abberufen werden.
Artikel 51
Die Volkskammer bestätigt Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik und andere völkerrechtliche Verträge, soweit durch sie Gesetze der Volkskammer geändert werden. Sie entscheidet über die Kündigung dieser Verträge.
Artikel 52
Die Volkskammer beschließt über den Verteidigungszustand der Deutschen Demokratischen Republik. Im Dringlichkeitsfalle ist der Staatsrat berechtigt, den Verteidigungszustand zu beschießen. Der Vorsitzende des Staatsrates verkündet den Verteidigungszustand.
Artikel 53
Die Volkskammer kann die Durchführung von Volksabstimmungen beschließen.
Artikel 54
Die Volkskammer besteht aus 500 Abgeordneten, die vom Volke auf die Dauer von 5 Jahren in freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden.
Artikel 55
1 Die Volkskammer wählt für die Dauer der Wahlperiode ein Präsidium.
Das Präsidium besteht aus dem Präsidenten der Volkskammer, einem Stellvertreter des Präsidenten und weiteren Mitgliedern.
2 Das Präsidium leitet die Arbeit der Volkskammer gemäß ihrer Geschäftsordnung.
Artikel 56
1 Die Abgeordneten der Volkskammer erfüllen ihre verantwortungsvollen Aufgaben im Interesse und zum Wohl des gesamten Volkes.
2 Die Abgeordneten fördern die Mitwirkung der Bürger an der Vorbereitung und Verwirklichung der Gesetze in Zusammenarbeit mit den Ausschüssen der Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik, den gesellschaftlichen Organisationen und den staatlichen Organen.
3 Die Abgeordneten halten enge Verbindung zu ihren Wählern. Sie sind verpflichtet, deren Vorschläge, Hinweise und Kritiken zu beachten und für eine gewissenhafte Behandlung Sorge zu tragen.
4 Die Abgeordneten erläutern den Bürgern die Politik des sozialistischen Staates.
Artikel 57
1 Die Abgeordneten der Volkskammer sind verpflichtet, regelmäßig Sprechstunden und Aussprachen durchzuführen sowie den Wählern über ihre Tätigkeit Rechenschaft zu legen.
2 Ein Abgeordneter, der seine Pflichten gröblich verletzt, kann von den Wählern gemäß dem gesetzliche festgelegten Verfahren abberufen werden.
Artikel 58
Die Abgeordneten der Volkskammer haben das Recht, an den Tagungen der örtlichen Volksvertretungen mit beratender Stimme teilzunehmen.
Artikel 59
Jeder Abgeordnete der Volkskammer hat das Recht, Anfragen an den Ministerrat und jedes seiner Mitglieder zu richten.
Artikel 60
1 Alle staatlichen und wirtschaftlichen Organe sind verpflichtet, die Abgeordneten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen.
2 Die Abgeordneten der Volkskammer besitzen die Rechte der Immunität. Beschränkungen der persönlichen Freiheit, Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen oder Strafverfolgung sind gegen Angeordnete der Volkskammer nur mit Zustimmung der Volkskammer oder in der Zeit zwischen den Tagungen mit der Zustimmung des Staatsrates zulässig. Die Entscheidung des Staatsrates bedarf der Bestätigung durch die Volkskammer.
Die Abgeordneten der Volkskammer sind berechtigt, über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete Tatsachen anvertrauen oder denen sie in Ausübung ihrer Abgeordnetentätigkeit solche Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst die Aussage zu verweigern.
3 Den Abgeordneten dürfen aus ihrer Abgeordnetentätigkeit keinerlei berufliche oder sonstige persönliche Nachteile entstehen. Sie sind von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt, soweit die Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Abgeordnete es erfordert. Gehälter und Löhne sind weiterzuzahlen.
Artikel 61
1 Die Volkskammer bildet in ihrer Mitte Ausschüsse. Ihnen obliegt in enger Zusammenarbeit mit den Wählern die Beratung von Gesetzesentwürfen und die ständige Kontrolle der Durchführung der Gesetze.
2 Die Ausschüsse können die Anwesenheit der zuständigen Minister und Leiter anderer staatlicher Organe in ihren Beratungen zum Zwecke der Erteilung von Auskünften verlangen. Alle Staatsorgane sind verpflichtet, den Ausschüssen die erforderlichen Informationen zu erteilen.
3 Die Ausschüsse haben das Recht, Fachleute zur ständigen oder zeitweiligen Mitarbeit heranzuziehen.
Artikel 62
1 Die Volkskammer tritt spätestens am 30. Tage nach ihrer Wahl zusammen. Ihre erste Tagung wird vom Staatsrat einberufen.
2 Die weiteren Tagungen der Volkskammer werden vom Präsidium der Volkskammer einberufen.
3 Das Präsidium der Volkskammer ist verpflichtet, die Volkskammer einzuberufen, wenn die Volkskammer darüber Beschluß gefaßt hat oder mindesten ein Drittel der Abgeordneten es verlangt.
4 Die Tagungen der Volkskammer sind öffentlich. Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der anwesenden Abgeordneten kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Artikel 63
1 Die Volkskammer ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten anwesend sind.
2 Die Volkskammer faßt ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Verfassungsändernde Gesetze sind beschlossen, wenn mindesten zwei Drittel der gewählten Abgeordneten zustimmen.
Artikel 64
1 Vor Ablauf der Wahlperiode findet eine Auflösung der Volkskammer nur durch eigenen Beschluß statt.
2 Ein solcher Beschluß bedarf der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der gewählten Abgeordneten.
3 Spätestens am 60. Tage nach Ablauf der Wahlperiode oder am 45. Tage nach der Auflösung der Volkskammer muß deren Neuwahl stattfinden.
Artikel 65
1 Das Recht zur Einbringung von Gesetzesvorlagen haben die Angeordneten der in der Volkskammer vertretenen Parteien und Massenorganisationen, die Ausschüsse der Volkskammer, der Staatsrat, der Ministerrat und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund.
2 Die Ausschüsse der Volkskammer beraten die Gesetzesvorlagen und legen ihre Auffassung dem Plenum der Volkskammer vor.
3 Entwürfe grundlegender Gesetze werden vor ihrer Verabschiedung der Bevölkerung zur Erörterung unterbreitet. Die Ergebnisse der Volksdiskussion sind bei der endgültigen Fassung auszuwerten.
4 Die von der Volkskammer verabschiedeten Gesetze werden vom Vorsitzenden des Staatsrates innerhalb eines Monats im Gesetzblatt verkündet.
5 Gesetze treten am 14. Tag nach ihrer Verkündigung in Kraft, soweit sie nicht anderes bestimmen.
Artikel 66
1 Der Staatsrat nimmt als Organ der Volkskammer die Aufgaben wahr, die ihm durch die Verfassung sowie die Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer übertragen sind. Er ist der Volkskammer für seine Tätigkeit verantwortlich. Zur Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben faßt er Beschlüsse.
2 Der Staatsrat vertritt die Deutsche Demokratische Republik völkerrechtlich. Er ratifiziert und kündigt Staatsverträge und andere völkerrechtliche Verträge, für die die Ratifizierung vorgesehen ist.
Artikel 67
1 Der Staatsrat besteht aus dem Vorsitzendem, seinen Stellvertretern, den Mitgliedern und dem Sekretär.
2 Der Vorsitzende, die Stellvertreter des Vorsitzenden, die Mitglieder und der Sekretär des Staatsrates werden von der Volkskammer auf ihrer ersten Tagung nach der Neuwahl auf die Dauer von 5 Jahren gewählt.
3 Der Vorschlag für die Wahl des Vorsitzenden des Staatsrates wird von der stärksten Fraktion der Volkskammer unterbreitet.
4 Nach Ablauf der Wahlperiode der Volkskammer setzt der Staatsrat seine Tätigkeit bis zur Wahl des neuen Staatsrates durch die Volkskammer fort.
Artikel 68
Der Vorsitzende, die Stellvertreter des Vorsitzenden, die Mitglieder und der Sekretär des Staatsrates leisten bei ihrem Amtsantritt der Volkskammer folgenden Eid:
„Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des Volkes der Deutschen Demokratischen Republik widmen, ihre Verfassung und die Gesetze wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werde.“
Artikel 69
Der Vorsitzende leitet die Arbeit des Staatsrates. Im Falle seiner Verhinderung nimmt ein beauftragter Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates diese Aufgabe wahr.
Artikel 70
Im Auftrage der Volkskammer unterstützt der Staatsrat die örtlichen Volksvertretungen als Organe der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht, fördert deren demokratische Aktivität bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und nimmt Einfluß auf die Wahrung sowie die ständige Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit in der Tätigkeit der örtlichen Volksvertretungen.
Artikel 71
1 Der Vorsitzende des Staatsrates ernennt die bevollmächtigten Vertreter der Deutschen Demokratischen Republik in anderen Staaten und beruft sie ab. Er nimmt die Beglaubigungs- Abberufungsschreiben der bei ihm akkreditierten Vertreter anderer Staaten entgegen.
2 Der Staatsrat legt die militärischen Dienstgrade, die diplomatischen Ränge und andere spezielle Titel fest.
Artikel 72
Der Staatsrat schreibt die Wahlen zur Volkskammer und zu den anderen Volksvertretungen aus.
Artikel 73
1 Der Staatsrat faßt grundsätzliche Beschlüsse zu Fragen der Verteidigung und Sicherheit des Landes. Er organisiert die Landesverteidigung mit Hilfe des Nationalen Verteidigungsrates.
2 Der Staatsrat beruft die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates. Der Nationale Verteidigungsrat ist der Volkskammer und dem Staatsrat für seine Tätigkeit verantwortlich.
Artikel 74
1 Der Staatsrat nimmt im Auftrage der Volkskammer die zuständige Aufsicht über die Verfassungsmäßigkeit und Gesetzlichkeit der Tätigkeit des Obersten Gerichts und des Generalstaatsanwalts wahr.
2 Der Staatsrat übt das Amnestie- und Begnadigungsrecht aus.
Artikel 75
Der Staatsrat stiftet staatliche Orden, Auszeichnungen und Ehrentitel, die von seinem Vorsitzenden verliehen werden.
Artikel 76
1 Der Ministerrat ist als Organ der Volkskammer die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Er leitet im Auftrage der Volkskammer die einheitliche Durchführung der Staatspolitik und organisiert die Erfüllung der politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen sowie der ihm übertragenden Verteidigungsmaßnahmen.
2 Der Ministerrat leite die Volkswirtschaft und die anderen gesellschaftlichen Bereiche. Er sichert die planmäßige proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft, die harmonisch angestimmte Gestaltung der gesellschaftlichen Bereiche und Territorien sowie die Verwirklichung der sozialistisch ökonomischen Integration.
3 Der Ministerrat leitet die Durchführung der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik entsprechend den Grundsätzen dieser Verfassung. Er vertieft die allseitige Zusammenarbeit mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten und gewährleistet den aktiven Beitrag der Deutschen Demokratischen Republik zur Stärkung der sozialistischen Staatengemeinschaft.
4 Der Ministerrat entscheidet entsprechend seiner Zuständigkeit über den Abschluß und die Kündigung völkerrechtlicher Verträge. Er bereitet Staatsverträge vor.
Artikel 77
Der Ministerrat arbeitet die zu lösenden Aufgaben der staatlichen Innen- und Außenpolitik aus und unterbreitet der Volkskammer Entwürfe von Gesetzen und Beschlüssen.
Artikel 78
1 Der Ministerrat leite, koordiniert und kontrolliert die Tätigkeit der Ministerien, der anderen zentralen Staatsorgane und der Räte der Bezirke. Er fördert die Anwendung wissenschaftlicher Leitungsmethoden und die Einbeziehung der Werktätigen in die Verwirklichung der Politik des sozialistischen Staates. Er gewährleistet, daß die ihm unterstellten staatlichen Organe, die wirtschaftsleitenden Organe, Kombinate, Betriebe und Einrichtungen ihre Tätigkeit auf der Grundlage der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften ausüben.
2 Im Rahmen der Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer erläßt der Ministerrat Verordnungen und faßt Beschlüsse.
Artikel 79
1 Der Ministerrat besteht aus dem Vorsitzenden des Ministerrates, den Stellvertretern des Vorsitzenden und den Ministern.
2 Der Vorsitzende des Ministerrates wird von der stärksten Fraktion der Volkskammer vorgeschlagen und von der Volkskammer mit der Bildung des Ministerrates beauftragt.
3 Der Vorsitzende und die Mitglieder des Ministerrates werden nach der Neuwahl der Volkskammer von ihr auf die Dauer von 5 Jahren gewählt.
4 Der Vorsitzende und die Mitglieder des Ministerrates werden vom Vorsitzenden des Staatsrates auf die Verfassung vereidigt.
Artikel 80
1 Der Ministerrat ist ein kollektiv arbeitendes Organ. Für die Tätigkeit des Ministerrates tragen alle seine Mitglieder die Verantwortung. Jeder Minister leitet verantwortlich das ihm übertragene Aufgabengebiet.
2 Der Ministerrat bildet aus seiner Mitte das Präsidium des Ministerrates.
3 Der Vorsitzende des Ministerrates leitet den Ministerrat und das Präsidium.
4 Nach Ablauf der Wahlperiode der Volkskammer setzt der Ministerrat seine Tätigkeit bis zur Wahl des neuen Ministerrates durch die Volkskammer fort.
Kapitel 4 – Die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe
Artikel 81
1 Die örtlichen Volksvertretungen sind die von den wahlberechtigten Bürgern gewählten Organe der Staatsmacht in den Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken, Gemeinden und Gemeindeverbänden.
2 Die örtlichen Volksvertretungen entscheiden auf der Grundlage der Gesetze in eigener Verantwortung über alle Abgelegenheiten, die ihr Gebiet und seine Bürger betreffen. Sie organisieren die Mitwirkung der Bürger an der Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens und arbeiten mit den gesellschaftlichen Organisationen der Werktätigen zusammen.
3 Die Tätigkeit der örtlichen Volksvertretungen ist darauf gerichtet, das sozialistische Eigentum zu mehren und zu schützen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger ständig zu verbessern und das gesellschaftliche und kulturelle Leben der Bürger und ihrer Gemeinschaften zu fördern,
das sozialistische Staats- und Rechtsbewußtsein der Bürger zu heben und die öffentliche Ordnung zu sichern, die sozialistische Gesetzlichkeit zu festigen und die Rechte der Bürger zu wahren.
Artikel 82
1 Die örtlichen Volksvertretungen fassen Beschlüsse, die für ihre Organe und Einrichtungen sowie für die Volksvertretungen, Gemeinschaften und Bürger ihres Gebietes verbindlich sind. Diese Beschlüsse sind zu veröffentlichen.
2 Die örtlichen Volksvertretungen haben eigene Einnahmen und verfügen über ihre Verwendung.
Artikel 83
1 Zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung wählt jede örtliche Volksvertretung ihren Rat und Kommissionen. Die Mitglieder des Rates sollen nach Möglichkeit Abgeordnete sein. In die Kommissionen können auch Mitglieder berufen werden, die nicht Abgeordnete sind.
2 Der Rat sichert die Entfaltung der Tätigkeit der Volksvertretungen und organisiert die Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung in deren Verantwortungsbereich. Er ist der Volksvertretung für seine gesamte Tätigkeit verantwortlich und dem übergeordneten Rat rechenschaftspflichtig. Der Rat ist ein kollektiv arbeitendes Organ.
3 Die Kommissionen organisieren die sachkundige Mitwirkung der Bürger bei der Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse der Volksvertretung. Die kontrollieren die Durchführung der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften sowie der Beschlüsse der Volksvertretungen durch den Rat und dessen Fachorgane.
Artikel 84
Die örtlichen Volksvertretungen können zur gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Aufgaben Verbände bilden.
Artikel 85
Die Aufgaben und Befugnisse der örtlichen Volksvertretungen, ihrer Abgeordneten, Kommissionen und ihrer Räte in den Bezirken, Kreisen, Städten, Stadtbezirken, Gemeinden und Gemeindeverbänden werden durch Gesetz festgelegt.
Abschnitt IV – Sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtspflege
Artikel 86
Die sozialistische Gesellschaft, die politische Macht des werktätigen Volkes, ihre Staats- und Rechtsordnung sind die grundlegende Garantie für die Einhaltung und die Verwirklichung der Verfassung im Geiste der Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit.
Artikel 87
Gesellschaft und Staat gewährleisten die Gesetzlichkeit durch die Einbeziehung der Bürger und ihrer Gemeinschaften in die Rechtspflege und in die gesellschaftliche und staatliche Kontrolle über die Einhaltung des sozialistischen Rechts.
Artikel 88
Die Verantwortlichkeit aller leitenden Mitarbeiter in Staats und Wirtschaft gegenüber den Bürgern ist durch ein System der Rechenschaftspflicht gewährleistet.
Artikel 89
1 Gesetze und andere allgemeinverbindliche Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik werden im Gesetzblatt und anderweitig veröffentlicht.
2 Rechtsvorschriften der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe werden in geeigneter Form veröffentlicht.
3 Rechtsvorschriften dürfen der Verfassung nicht widersprechen. Über Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften entscheidet die Volkskammer.
Artikel 90
1 Die Rechtspflege dient der Durchführung der sozialistischen Gesetzlichkeit, dem Schutz und der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung. Sie schützt die Freiheit, das friedliche Leben, die Rechte und die Würde der Menschen.
2 Die Bekämpfung und Verhütung von Straftaten und anderen Rechtsverletzungen sind gemeinsames Abliegen der sozialistischen Gesellschaft, ihres Staates und aller Bürger.
3 Die Teilnahme der Bürger an der Rechtspflege ist gewährleistet. Sie wird im einzelnen durch Gesetz bestimmt.
Artikel 91
Die allgemein anerkannten Normen des Völkerrechts über die Bestrafung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen sind unmittelbar geltendes Recht. Verbrechen dieser Art unterliegen nicht der Verjährung.
Artikel 92
Die Rechtsprechung wird in der Deutschen Demokratischen Republik durch das Oberste Gericht, die Bezirksgerichte, die Kreisgerichte und die gesellschaftlichen Gerichte im Rahmen der ihnen durch das Gesetz übertragenen Aufgaben ausgeübt. In Militärstrafsachen üben das Oberste Gericht, die Militärobergerichte und die Militärgerichte die Rechtsprechung aus.
Artikel 93
1 Das Oberste Gericht ist das höchste Organ der Rechtsprechung.
2 Das Oberste Gericht leitet die Rechtsprechung der Gerichte auf der Grundlage der Verfassung, der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik. Es sichert die einheitliche Rechtsanwendung durch alle Gerichte.
3 Das Oberste Gericht ist der Volkskammer und zwischen ihren Tagungen dem Staatsrat verantwortlich.
Artikel 94
1 Richter kann nur sein, wer dem Volk und seinem sozialistischen Staat treu ergeben ist und über ein hohes Maß an Wissen und Lebenserfahrung, an menschlicher Reife und Charakterfestigkeit verfügt.
2 Die demokratische Wahl aller Richter, Schöffen und Mitglieder gesellschaftlicher Gerichte gewährleistet, daß die Rechtsprechung von Frauen und Männern aller Klassen und Schichten des Volkes ausgeübt wird.
Artikel 95
Alle Richter, Schöffen und Mitglieder der gesellschaftlichen Gerichte werden durch die Volkskammer oder unmittelbar durch die Bürger gewählt. Sie erstatten ihren Wählern Bericht über ihre Arbeit. Sie können von ihren Wählern abberufen werden, wenn sie gegen die Verfassung oder die Gesetze verstoßen oder sonst ihre Pflicht gröblich verletzen.
Artikel 96
1 Die Richter, Schöffen und Mitglieder der gesellschaftlichen Gerichte sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig. Sie sind nur an die Verfassung, die Gesetze und andere Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik gebunden.
2 Die Schöffen üben die Funktion des Richters in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Berufsrichter aus.
Artikel 97
Zur Sicherung der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung und der Rechte der Bürger wacht die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik über die strikte Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Sie schützt die Bürger vor Gesetzesverletzungen. Die Staatsanwaltschaft leitet den Kampf gegen Straftaten und sichert, daß die Personen, die Verbrechen oder Vergehen begangen haben, vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel 98
1 Die Staatsanwaltschaft wird vom Generalstaatsanwalt geleitet.
2 Dem Generalstaatsanwalt unterstehen die Staatsanwälte der Bezirke und Kreise sowie die Militärstaatsanwälte.
3 Die Staatsanwälte werden vom Generalstaatsanwalt berufen und abberufen, sie sind ihm verantwortlich und an seine Weisungen gebunden.
4 Der Generalstaatsanwalt ist der Volkskammer und zwischen ihren Tagungen dem Staatsrat verantwortlich.
Artikel 99
1 Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird durch die Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik bestimmt.
2 Eine Tat zieht strafrechtliche Verantwortlichkeit nur nach sich, wenn diese zur Zeit der Begehung der Tat gesetzlich festgelegt ist, wenn der Täter schuldhaft gehandelt hat und die Schuld zweifelsfrei nachgewiesen ist. Strafgesetze haben keine rückwirkende Kraft.
3 Eine strafrechtliche Verfolgung ist nur in Übereinstimmung mit den Strafgesetzen möglich.
4 Die Rechte des Bürgers dürfen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren nur insoweit eingeschränkt werden, wie dies gesetzlich zulässig und unumgänglich ist.
Artikel 100
1 Über die Zulässigkeit von Untersuchungshaft hat nur der Richter zu entscheiden. Verhaftete sind spätestens am Tage nach ihrer Verhaftung dem Richter vorzuführen.
2 Der Richter oder der Staatsanwalt haben im Rahmen ihrer Verantwortung jederzeit zu prüfen, ob die Voraussetzung der Untersuchungshaft noch vorliegen.
3 Der Staatsanwalt hat nächste Angehörige des Verhafteten innerhalb von 24 Stunden nach der ersten richterlichen Vernehmung zu benachrichtigen.
Ausnahmen sind nur zulässig, wenn durch die Benachrichtigung der Zweck der Untersuchung gefährdet wird. In diesen Fällen erfolgt die Benachrichtigung nach Wegfall der Gefährdungsgründe.
Artikel 101
1 Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
2 Ausnahmegerichte sind unstatthaft.
Artikel 102
1 Jeder Bürger hat das Recht, vor Gericht gehört zu werden.
2 Das Recht auf Verteidigung wird während des gesamten Strafverfahrens gewährleistet.
Artikel 103
1 Jeder Bürger kann sich mit Eingaben (Vorschlägen, Hinweisen, Anliegen oder Beschwerden) an die Volksvertretungen, ihre Abgeordneten oder die staatlichen und wirtschaftlichen Organe wenden. Dieses Recht steht auch den gesellschaftlichen Organisationen und den Gemeinschaften der Bürger zu. Ihnen darf aus der Wahrnehmung dieses Rechts keine Nachteil entstehen.
2 Die für die Entscheidung verantwortlichen Organe sind verpflichtet, die Eingaben der Bürger oder der Gemeinschaften innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist zu bearbeiten und den Antragstellern das Ergebnis mitzuteilen.
3 Das Verfahren der Bearbeitung der Eingaben wird durch Gesetz bestimmt.
Artikel 104
(1) Für Schäden, die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch ungesetzliche Maßnahmen von Mitarbeitern der Staatsorgane zugefügt werden, haftet das staatliche Organ, dessen Mitarbeiter den Schaden verursacht hat.
(2) Voraussetzungen und Verfahren der Staatshaftung werden durch Gesetz geregelt.
Abschnitt V – Schlußbestimmungen
Artikel 105
Die Verfassung ist unmittelbar geltendes Recht.
Artikel 106
Die Verfassung kann nur von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik durch Gesetz geändert werden, das den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändert oder ergänzt.
Die durch Wahlbeteiligung von 93,4% freigewählte Volkskammer der DDR setzte am 17. Juni 1990 folgende Artikel in Kraft:
Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
(Verfassungsgrundsätze) vom 17. Juni 1990
In der Erkenntnis, daß in der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst 1989 eine friedliche und demokratische Revolution stattgefunden hat, und in der Erwartung einer baldigen Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wird für eine Übergangszeit die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik um folgende Verfassungsgrundsätze ergänzt. Entgegenstehende Verfassungsgrundsätze besitzen keine Rechtsgültigkeit mehr.
Artikel 1. Freiheitliche Grundordnung. (1) Die Deutsche Demokratische Republik ist ein freiheitlicher, demokratischer, föderativer, sozialer und ökologisch orientierter Rechtsstaat. Hinsichtlich der föderativen Ordnung gilt dies nach Maßgabe einer besonderen Ergänzung der Verfassung und noch zu erlassender gesetzlicher Vorschriften. Der Staat gewährleistet die kommunale Selbstverwaltung.
(2) Vorschriften der Verfassung und sonstiger Rechtsvorschriften sind entsprechend diesem Verfassungsgesetz anzuwenden. Bestimmungen in Rechtsvorschriften, die den einzelnen oder Organe der staatlichen Gewalt auf die sozialistische Staats- und Rechtsordnung, auf das Prinzip des demokratischen Zentralismus, auf die sozialistische Gesetzlichkeit, das sozialistische Rechtsbewußtsein oder die Anschauungen einzelner Bevölkerungsgruppen oder Parteien verpflichten, sind aufgehoben.
(3) Das zuständige Gericht kann zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und anderen Rechtsakte angerufen werden. Näheres regelt ein Gesetz.
Artikel 2. Eigentum. Privateigentum einschließlich des Erwerbs von Eigentum und eigentumsgleichen Rechten an Grund und Boden sowie an Produktionsmitteln wird gewährleistet. Dadurch wird die gesetzliche Zulassung besonderer Eigentumsformen für die Beteiligung der öffentlichen Hand oder anderer Rechtsträger im Wirtschaftsverkehr sowie eine rechtsstaatliche Überprüfung der bestehenden Eigentumsverhältnisse nicht berührt. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen dienen.
Artikel 3. Wirtschaftliche Handlungsfreiheit. (1) Jede natürliche und juristische Person hat das Recht, im Rahmen der Gesetze mit anderen Verträge zu schließen und sich insbesondere wirtschaftlich zu betätigen.
(2) Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft darf gesetzlich geregelt, aber nicht staatlich oder anderweitig monopolisiert werden.
Artikel 4. Tarifvertragsparteien. (1) Jedermann hat das Recht, zur Wahrung und Förderung, insbesondere zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten, aus solchen Vereinigungen auszutreten und ihnen fernzubleiben.
(2) Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und unabhängig sein sowie das Arbeitskampfrecht und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen.
Artikel 5. Unabhängige Rechtsprechung. (1) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.
(2) Die Richter sind unabhängig und nur der Verfassung nach Maßgabe dieses Verfassungsgesetzes und dem Gesetz unterworfen. Sie unterliegen insoweit keiner Aufsicht staatlicher oder gesellschaftlicher Organe. Eine Leitung der Rechtsprechung unterer Gerichte durch obere Gerichte ist nicht zulässig.
Artikel 6. Schutz der Umwelt. Der Schutz der natürlichen Umwelt ist Pflicht des Staates und aller Bürger. Er ist durch Gesetze zu gewährleisten.
Artikel 7. Schutz der Arbeit. Die Arbeitskraft wird vom Staat geschützt. Der Staat fördert das Recht des einzelnen, durch Arbeit ein menschenwürdiges Leben in sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Freiheit zu führen, und schafft die dazu notwendigen Rahmenbedingungen.
Artikel 8. Hoheitsrechte. Die Deutsche Demokratische Republik kann durch Verfassungsgesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen und Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland übertragen oder in die Beschränkung von Hoheitsrechten einwilligen.
Artikel 9. Neufassung. Artikel 106 der DDR-Verfassung wird wie folgt gefaßt:
»Artikel 106. Die Verfassung kann nur von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik durch Gesetz geändert werden, das ausdrücklich als Verfassungsgesetzbezeichnet ist. Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik und andere völkerrechtliche Verträge sind, soweit durch sie Verfassungsgegenstände berührt werden, durch ein ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnetes Gesetz zu bestätigen, das der Zustimmung von zwei Drittel der Mitglieder der Volkskammer bedarf.«
Artikel 10. Schlußbestimmung. Dieses Verfassungsgesetz tritt am 17. .Juni 1990 in Kraft und behält seine Gültigkeit bis zur Inkraftsetzung einer Verfassung.
Das vorstehende, von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik am siebzehnten Juni neunzehnhundertneunzig beschlossene Gesetz wird hiermit verkündet.
Berlin, den siebzehnten Juni neunzehnhundertneunzig
Die Präsidentin der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik
Bergmann-Pohl
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990 I. S. 299
DDR-Sartorius, Verwaltungsgesetze für das Gebiet der ehemaligen DDR, Verlag C.H.Beck (Stand 1994)
von Münch, Dokumente der Wiedervereinigung Deutschlands, Kröner Verlag Stuttgart 1991
© 1. Oktober 2000 – 3. April 2005
Verfassungsentwurf von April 1990
Inhalt
Präambel
I. Kapitel
Art. 1-40 Menschen- und Bürgerrechte…………….. 10
1. Abschnitt
Art. 1-25 Würde, Gleichheit, Freiheit, Solidarität… 10
2. Abschnitt
Art. 26-33 Arbeit, Wirtschaft, Umwelt…………….. 20
3. Abschnitt
Art. 34 Rechte der Sorben…………………….. 24
4. Abschnitt
Art. 35-39 Gesellschaftliche Gruppen und Verbände….. 24
5. Abschnitt
Art. 40 Geltung……………………………… 28
II. Kapitel
Art. 41-88 Grundsätze und Organe des Staates………. 29
1. Abschnitt
Art. 41-45 Grundsätze…………………… 29
2. Abschnitt
Art. 46 Staatshaftung…………………………. 30
3. Abschnitt
Art. 47-50 Der Bund, die Länder und die Kommunalautonomie 31
4. Abschnitt
Art. 51-65 Die Volkskammer………………. 33
5. Abschnitt
Art. 66-68 Die Länderkammer……………… 40
6. Abschnitt
Art. 69-77 Die Regierung……………. 41
7. Abschnitt
Art. 78-88 Der Präsident der Republik……………….. 43
III. Kapitel
Art. 89-113 Funktlonen des Staates…………………… 47
1. Abschnitt
Art. 89-100 Gesetzgebung……………………………. 47
2. Abschnitt
Art. 101-106 Die Verwaltung………………………….. 53
3. Abschnitt
Art. 107-113 Die Rechtsprechung………………………. 55
IV. Kapitel
Art. 114-126 Die Staatsfinanzen………………………. 59
V. Kapitel
Art. 127-136 Übergangs- und Schlußbestimmungen…………. 66
Anhang
Erklärung des Runden Tisches vom 7. Dezember 1989……….. 75
Beschluß des Runden Tisches vom 12. März 1990…….. 75
Brief an die Abgeordneten der Volkskammer
vom 4. April 1990……………………….. 76
Mit Glieder der Arbeits- und Expertengruppe…………. 77
Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
Präambel
Ausgehend von den humanistischen Traditionen, zu welchen die besten Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes bei-
getragen haben, eingedenk der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und deren Folgen, gewillt, als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der Völker zu leben, am Einigungsprozeß Europas beteiligt, in dessen Verlauf auch das deutsche Volk seine staatliche Einheit schaffen wird, überzeugt, daß die Möglichkeit zu selbstbestimmtem verantwortlichen Handeln höchste Freiheit ist, gründend auf der revolutionären Erneuerung, entschlossen, ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, das die Würde und Freiheit des einzelnen sichert, gleiches Recht für alle gewährleistet, die Gleichstellung der Geschlechter verbürgt und unsere natürliche Umwelt schützt, geben sich die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik diese Verfassung.
1. Kapitel
Menschen- und Bürgerrechte
1. Abschnitt
Würde, Gleichheit, Freiheit, Solidarität
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und
zu schützen ist die oberste Pflicht des Staates.
(2) Jeder schuldet jedem die Anerkennung als Gleicher. Nie-
mand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität,
Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung,
seiner sozialen Stellung, seines Alters, seiner Behinderung, sei-
ner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung
benachteiligt werden.
Artikel 2
Vor der öffentlichen Gewalt sind alle Menschen gleich. Jede
Willkür und jede sachwidrige Ungleichbehandlung ist untersagt.
Artikel 3
(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.
(2) Der Staat ist verpflichtet, auf die Gleichstellung der Frau in
Beruf und öffentlichem Leben, in Bildung und Ausbildung, in der
Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung hinzuwirken.
Artikel 4
(1) Jeder hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit
und Achtung seiner Würde im Sterben. In das Recht auf körperli-
che Unversehrtheit darf nur durch Gesetz eingegriffen werden.
(2) Niemand darf grausamer, unmenschlicher oder erniedrigen-
der Behandlung oder Strafe und ohne seine freiwillige und aus-
drückliche Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen
Experimenten unterworfen werden.
(3) Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwanger-
schaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das An-
gebot sozialer Hilfen.
Artikel 5
Die allgemeine Handlungsfreiheit ist unter dem Vorbehalt des
Gesetzes gewährleistet.
Artikel 6
(1) Das Recht auf Freizügigkeit, Ein- und Ausreise steht jedem
Bürger und jedem Ausländer und Staatenlosen mit ständigem
Wohnsitz zu.
(2) Diese Rechte können zur Bekämpfung von Seuchen und Ka-
tastrophen durch Gesetz beschränkt werden. Zur Vermeidung
besonderer Belastungen der Allgemeinheit bei der Sicherung
einer ausreichenden Lebensgrundlage kann das Recht auf Frei-
zügigkeit, zur Sicherung der Vollstreckung gerichtlicher Ent-
scheidungen und Durchsetzung rechtlicher Verpflichtungen
kann das Recht auf Ein- und Ausreise durch Gesetz beschränkt
werden.
Artikel 7
(1) Keinem Bürger darf die Staatsbürgerschaft entzogen, noch
darf er ausgewiesen oder ausgeliefert werden.
(2) Ausländer dürfen in kein Land ausgeliefert oder ausgewie-
sen werden, in dem ihnen die Beeinträchtigung ihrer Menschen-
würde oder die Todesstrafe droht.
(3) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Artikel 8
(1) Jeder hat Anspruch auf Achtung und Schutz seiner Persön-
lichkeit und Privatheit.
(2) Jeder hat das Recht an seinen persönlichen Daten und auf
Einsicht in ihn betreffende Akten und Dateien. Ohne freiwillige
und ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten dürfen persön-
liche Daten nicht erhoben, gespeichert, verwendet, verarbeitet
oder weitergegeben werden. Beschränkungen dieses Rechts be-
dürfen des Gesetzes und müssen dem Berechtigten zur Kenntnis
gebracht werden.
Artikel 9
(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen können nur durch Gesetz zugelassen wer-
den. Sie dürfen nur durch den Richter angeordnet werden. Das
Gesetz kann vorsehen, daß sie beim Vorliegen einer gegenwärti-
gen erheblichen Gefahr und im Falle einer Verfolgung auf fri-
scher Tat auch von anderen Amtsträgern angeordnet und durch-
geführt werden können; sie unterliegen richterlicher Bestäti-
gung.
(3) Das Betreten der Wohnung ohne die Einwilligung des Inha-
bers ist nur zum Zwecke der Abwehr einer gemeinen Gefahr oder
einer Gefahr für Leib und Leben einzelner Personen aufgrund
Gesetzes zulässig.
(4) Die Befugnis zum Betreten und zur Besichtigung von aus-
schließlich betrieblich und geschäftlich genutzten Räumlichkei-
ten zur Vornahme von Amtshandlungen ohne die Einwilligung
des Inhabers bedarf einer Ermächtigung durch Gesetz oder auf-
grund eines Gesetzes.
Artikel 10
(1) Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich.
(2) Eingriffe sind nur durch Gesetz nach richterlicher Anordnung
und nur zum Zwecke der Bekämpfung schwerer, organisierter
Kriminalität zulässig.
Artikel 11
(1) Die Freiheit des Gewissens ist gewährleistet.
(2) Widerstreitet das Gewissen staatsbürgerlichen oder bürger-
lichen Pflichten, so muß der Bürger, wenn er diese Pflichten
nicht erfüllen will, andere Leistungen anbieten und der Staat
andere, gleichbelastende Pflichten eröffnen.
Artikel 12
(1) Jeder hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit seiner Per-
son, Freiheitsbeschränkungen dürfen nur insoweit erfolgen, als
sie gesetzlich vorgesehen und unumgänglich sind.
(2) Jeder, dessen Freiheit eingeschränkt wird, muß unverzüglich
über die Gründe der Freiheitsbeschränkung unterrichtet werden.
Personen, denen die Freiheit entzogen wird, müssen unverzüg-
lich, spätestens aber innerhalb von 24 Stunden, einem Richter
vorgeführt werden. Der Richter entscheidet über die durch Ge-
setz zugelassene Freiheitsentziehung in einer mit Gründen ver-
sehenen schriftlichen Form oder ordnet die Freilassung an. Der
Betroffene kann in angemessenen Abständen eine richterliche
Überprüfung der Fortdauer der Freiheitsentziehung verlangen.
Über eine Freiheitsentziehung und vor jeder richterlichen Ent-
scheidung über deren Anordnung oder Fortdauer ist eine Person
des Vertrauens des Betroffenen, bei Jugendlichen auch der Er-
ziehungsberechtigte, zu benachrichtigen. Dem Betroffenen ist
Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl
Verbindung aufzunehmen.
(3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch see-
lisch mißhandelt und keinen Schikanen ausgesetzt werden.
(4) Freiheitsstrafe und Strafvollzug sollen vornehmlich der ge-
sellschaftlichen Wiedereingliederung dienen. Im Strafvollzug ist
die Auferlegung von Arbeitspflichten zulässig.
(5) Die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe sind abgeschafft.
(6) Jede Person, deren Freiheit unrechtmäßig eingeschränkt
worden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz.
Artikel 13
(1) Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
hat Anspruch auf ein faires, zügiges und öffentliches
Verfahren. Die Öffentlichkeit darf nur nach Maßgabe des
Gesetzes durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden.
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird durch Gesetz
bestimmt. Strafgesetze haben keine rückwirkende Kraft. Jeder
gilt bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als nicht schuldig.
(3) Niemand darf für dieselbe Handlung mehrfach strafrechtlich
zur Verantwortung gezogen werden. Jeder Verurteilte hat einen
Rechtsanspruch darauf, daß das gegen ihn ausgesprochene Urteil
durch ein höheres Gericht überprüft wird.
(4) Im Verfahren der strafrechtlichen Verfolgung hat jeder
einen Rechtsanspruch auf folgende Garantien, über die er
in geeigneter Weise zu belehren ist:
1) Er muß unverzüglich in einer Sprache, die er versteht, über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden. 2) Ihm ist Gelegenheit zu geben, bei der gerichtlichen Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst oder durch einen Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen. Es muß ihm, wenn die Sache es verlangt, ein Verteidiger zugewiesen werden; bei Bedürftigkeit geschieht das unentgeltlich. Eine angemessene Vorbereitung der Verteidigung ist zu gewährleisten. 3) Er kann unter den gleichen Bedingungen wie die Anklage das Erscheinen von Sachverständigen und Zeugen sowie die Vorlage von Beweismitteln verlangen und Zeugen und Sachverständige befragen.
Artikel 14
(1) Niemand darf verpflichtet werden, andere Personen
wegen begangener oder drohender Straftaten anzuzeigen.
Für drohende schwere Straftaten kann das Gesetz Ausnahmen
vorsehen.
(2) Niemand darf gezwungen werden, gegen sich selbst oder
durch Gesetz bestimmte nahestehende Personen auszusagen.
(3) Für die Angehörigen von Heilberufen, rechtsberatender
Berufe, sozialer Dienste sowie für Seelsorger ist durch
Gesetz ein Zeugnisverweigerungsrecht vorzusehen. In die
hierdurch geschützte Vertraulichkeit von Informationen
darf in keiner Weise eingegriffen werden.
Artikel 15
(1) Jeder hat das Recht, Informationen und Meinungen in
jeder Form frei zu bekunden und zu verbreiten und sich
aus allgemein zugänglichen oder anderen, rechtmäßig
erschließbaren Quellen zu unterrichten. Die Geltung
dieser Rechte in Dienst- und Arbeitsverhältnissen darf
nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt
werden.
(2) Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und anderer
Massenmedien ist gewährleistet. Das Gesetz hat durch
Verfahrensregelungen sicherzustellen, daß die Vielfalt
der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen in Presse,
Hörfunk und Fernsehen zum Ausdruck kommen kann.
(3) Diese Rechte finden ihre Schranken in Gesetzen, die
die Freiheit der Meinung und der Unterrichtung nicht
wegen deren geistigen Inhalts oder geistiger Wirkung
beschränken dürfen. Gesetzliche Einschränkungen zum
Schutze der Jugend und der Ehre sind zulässig.
Kriegspropaganda sowie die öffentliche Bekundung von
menschenwürdeverletzender Diskriminierung sind durch
Gesetz zu verbieten.
(4) Die vorhandenen Hörfunk- und Fernsehsender sind
als selbständige öffentlich-rechtliche Anstalten zu
errichten. Sie haben die Aufgabe, durch das Angebot
einer Vielfalt von Programmen zur öffentlichen
Meinungsbildung beizutragen. Ihre innere Ordnung wird
durch Gesetz geregelt. Die Zulassung privater Hörfunk-
und Fernsehsender darf nur durch Gesetz und nur dann
erfolgen, wenn dadurch die Erfüllung der Aufgabe
der öffentlichrechtlichen Anstalten nicht
beeinträchtigt wird.
(5) Rechtmäßige journalistische Tätigkeit darf durch
Zeugnispflicht, Beschlagnahme und Durchsuchung nicht
behindert werden.
(6) Zensur ist verboten.
Artikel 16
(1) Jeder hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis
friedlich zu versammeln.
(2) Für Versammlungen oder Umzüge unter freiem Himmel kann
dieses Recht nur aufgrund dringender Erfordernisse der öffentli-
chen Sicherheit und nur durch Gesetz beschränkt werden.
Artikel 17
Jeder hat das Recht, Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten
und sich in ihnen den Vereinszwecken gemäß zu betätigen.
Artikel 18
(1) Jeder hat das Recht, sich zu einer Religion oder Weltan-
schauung zu bekennen und sie allein oder mit anderen öffent-
lich oder privat zu bekunden. Dem Bedürfnis nach Gottesdienst
und Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen ist stattzugeben. Es
darf keinerlei Zwang auf die Freiheit der Wahl oder Ausübung
einer Religion oder Weltanschauung stattfinden.
(2) Die Erziehungsberechtigten sind frei, die religiöse und welt-
anschauliche Bildung ihrer Kinder entsprechend ihren Überzeu-
gungen zu gewährleisten.
Artikel 19
(1) Die Wissenschaft ist frei. Der Staat sichert die Ausübung der
Freiheit von Forschung und Lehre.
(2) Durch Gesetz kann die Zulässigkeit von Mitteln oder Metho-
den der Forschung beschränkt werden. Es kann Informations-
pflichten in bezug auf besonders risikobehaftete Forschungen
vorsehen.
(3) Die staatlich geförderten Universitäten pflegen die Wissen-
schaften in Forschung, Lehre und Ausbildung. Sie sind Körper-
schaften des öffentlichen Rechts und verfügen im Rahmen des
Gesetzes in allen akademischen Angelegenheiten über das
Recht der Selbstverwaltung.
(4) Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber und der Erfinder
genießen den Schutz des Staates.
Artikel 20
(1) Die Kunst ist frei.
(2) Das kulturelle Leben sowie die Bewahrung und Vermittlung des
kulturellen Erbes werden gefördert. In den Haushalten des Bun-
des, der Länder und der Träger der Kommunalautonomie sind die
dafür erforderlichen Mittel vorzusehen.
Artikel 21
(1) Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf politische Mitgestal-
tung. Die Verfassung und die Gesetze gestalten aus,wie das Recht
unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter ausgeübt wird.
(2) Jeder Bürger hat mit vollendetem 18.Lebensjahr das Recht, an
allgemeinen, gleichen, freien, geheimen und direkten Wahlen zur
Volkskammer, zu den Landtagen und den Kommunalvertretungen
teilzunehmen und in sie gewählt zu werden. Ausländer und Staa-
tenlose mit ständigem Wohnsitz haben Wahlrecht auf kommuna-
ler Ebene.
(3) Jeder Bürger hatden gleichen Zugangzu öffentlichen Ämtern.
Das gleiche Recht steht für die kommunale Ebene den in Absatz 2
Satz 2 genannten Personen zu. Die Rechtsstellung der Angehöri-
gen des öffentlichen Dienstes, die hoheitliche Befugnisse aus-
üben (Beamte), ist gemäß den Funktionsanforderungen einer
bürgernahen Verwaltung durch Gesetz zu regeln.
(4) Jeder, dessen Rechte und Belange durch die öffentliche
Planung von Vorhaben, insbesondere von Verkehrswegen und
-anlagen, Energieanlagen, Produktionsstätten und Großbauten
betroffen werden, hat das Recht auf Verfahrensbeteiligung. Das-
selbe Recht haben Zusammenschlüsse von Betroffenen.
(5) Jeder hat das Recht, sich einzeln und in Gemeinschaft mit
anderen mit Anregung, Kritik und Beschwerde an jede staatliche
Stelle zu wenden. Es besteht Anspruch auf Gehörund begründeten
Bescheid in angemessener Frist.
Artikel 22
(1) Die Familie ist durch den Staat zu schützen und zu fördern.
(2) Andere Lebensgemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind,
haben Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung.
(3) Eltern haben das Recht und die Pflicht zur Erziehung ihrer
Kinder. Wer Kinder erzieht, hat Anspruch auf angemessene
staatliche Hilfen und gesellschaftliche Rücksichtnahme. Der
Staat fördert die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit und der beruf-
lichen Bildung Erziehender, insbesondere durch Arbeitszeitrege-
lungen.
(4) Kindern ist durch Gesetz eine Rechtsstellung einzuräumen,
die ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung
zunehmender Selbständigkeit gerecht wird.
(5) Kinder genießen staatlichen Schutz vor körperlicher und see-
lischer Vernachlässigung und Mißhandlung. Kinderarbeit ist ver-
boten.
Artikel 23
(1) Das Gemeinwesen achtet das Alten Es respektiert Behinde-
rung.
(2) Jeder Bürger hat das Recht auf soziale Sicherung gegen die
Folgen von Krankheit, Unfall, Invalidität, Behinderung, Pflegebe-
dürftigkeit, Alter und Arbeitslosigkeit.
(3) Das Recht wird durch öffentlich-rechtliche Versicherungssy-
steme gewährleistet, an denen teilzunehmen jeder berechtigt
und verpflichtet ist. Bestandteile der Versicherungssysteme
sind mindestens die Arbeitslosenunterstützung und eine Alters-
rente für jeden.
(4) Bei besonderen Notlagen besteht ein Anspruch auf Sozial-
fürsorge.
(5) Soziale Sicherung und Sozialfürsorge haben das Ziel, eine
gleichberechtigte, eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu
ermöglichen. in Heimen stehen den Bewohnern Mitverantwor-
tungs- und Mitentscheidungsrechte zu.
Artikel 24
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf gleichen, unentgeltlichen
Zugang zu den öffentlichen Bildungs- und Ausbildungseinrich-
tungen. In dieses Recht kann nur durch Gesetz oder aufgrund
eines Gesetzes eingegriffen werden.
(2) Es besteht eine mindestens zehnjährige allgemeine Schul-
pflicht. Die Schule hat die Fähigkeiten und Begabungen der
Schüler zu fördern. Das Schulwesen muß die Offenheit und
Durchlässigkeit der Bildungsgänge gewährleisten.
(3) Der Staat fördert die Einrichtung und Unterhaltung von Kin-
derkrippen und Kindergärten sowie Schulhorten.
(4) Für den Schulbesuch können andere als staatliche Schulen
gewählt werden, die vom Gesetz festgelegten Mindestnormen
entsprechen. Die Einrichtung von Privatschulen darf nicht zur
Sonderung der Schüler nach den Einkommensverhältnissen der
Eltern führen. Die Privatschulen haben Anspruch auf öffentliche
Finanzierung, soweit dadurch der Vorrang des öffentlichen
Schulwesens nicht gefährdet wird.
(5) Schüler und Studenten haben Anspruch auf staatliche Aus-
bildungsförderung nach Maßgabe des Gesetzes.
Artikel 25
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf angemessenen Wohnraum,
Es ist ein gesetzlicher Kündigungsschutz vorzusehen. Bei der
Abwägung der Interessen des Nutzers und des Eigentümers der
Wohnung ist der überragenden Bedeutung der Wohnung für die
Führung eines menschenwürdigen Lebens besonderes Gewicht
beizumessen. Eine Räumung darf nur vollzogen werden, wenn
Ersatz zur Verfügung steht.
(2) Der soziale Wohnungsbau und die Wohnungserhaltung sind
staatlich zu fördern. Der Staat ist besonders zur Förderung des
Baus alters- und behindertengerechten Wohnraums verpflichtet.
2. Abschnitt
Arbeit, Wirtschaft, Umwelt
Artikel 26
Jeder hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben.
In diese Freiheit kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines
Gesetzes eingegriffen werden.
Artikel 27
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung.
(2) Das Recht jedes Bürgers, über seine Arbeitskraft frei zu
verfügen und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, ist gewährlei-
stet. Öffentliche Arbeits- und Dienstpflichten sind nur für beson-
dere, durch Gesetz festgelegte Zwecke zulässig. Sie müssen für
alle gleich sein. Frauen dürfen nur zur Abwendung aktueller
Notlagen zu einer öffentlichen Dienstleistung verpflichtet wer-
den. Die Wehrpflicht ist abgeschafft.
(3) Der Staat schützt die Arbeitskraftdurch gesetzliche Regelun-
gen über die Arbeitssicherheit, die Arbeitshygiene und die Be-
grenzung der Arbeitszeit. Er fördert das Recht des einzelnen,
seine Arbeitskraft zur Führung eines menschenwürdigen Lebens
zu verwenden. Er hat in seiner Wirtschaftspolitik dem Ziel der
Vollbeschäftigung in der Regel Vorrang einzuräumen. Jeder Bür-
ger hat im Falle von Arbeitslosigkeit oder drohender Arbeitslo-
sigkeit ein Recht auf öffentlich finanzierte Maßnahmen der Ar-
beitsförderung. Dabei ist der beruflichen Weiterbildung oder
Umschulung der Vorrang vor Arbeitslosengeld und Arbeitslosen-
hilfe einzuräumen.
(4) Für gleiche Arbeit besteht ein Anspruch auf gleichen Lohn.
(5) Lehrlinge, Schwangere, Alleinerziehende, Kranke, Werktäti-
ge mit Behinderung und ältere Werktätige genießen erweiterten
Kündigungsschutz.
Artikel 28
Jeder in einem Betrieb oder Unternehmen beschäftigte Werktäti-
ge hat das Recht, durch Vertretungsorgane in den wirtschaftli-
chen, sozialen und personeilen Angelegenheiten des Betriebes
und auch des Unternehmens mitzubestimmen, falls dieses auf-
grund der Zahl seiner Beschäftigten, seiner Marktstellung oder
anderer Merkmale eine besondere Bedeutung für das Gemein-
wesen hat. Das Nähere regelt das Gesetz.
Artikel 29
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. For-
men, Inhalt und Umfang werden durch die Gesetze bestimmt.
Eigentum ist sozialpflichtig.
(2) Das persönlich genutzte und das genossenschaftliche Ei-
gentum sowie die aufgrund eigener Leistung erworbenen Ren-
tenansprüche und -anwartschaften stehen unter dem besonde-
ren Schutz der Verfassung. Der Erwerb von persönlichem Eigen-
tum an Wohnungen und Wohngrundstücken und die Bildung
genossenschaftlichen Eigentums werden gefördert.
(3) Die hoheitliche Übertragung des Eigentums oder einzelner
Eigentumsrechte auf einen Dritten aus Gründen des Allgemein-
wohls (Enteignung) ist zulässig. Die Enteignung persönlich ge-
nutzten Eigentums ist nur aus dringenden Gründen des Allge-
meinwohls zulässig. Enteignungen dürfen nur durch Gesetz oder
aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Ent-
schädigung regelt. Werden bestehende Eigentumsrechte durch
Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes umgestaltet und wird dem
Eigentümer dadurch ein schwerwiegender vermögenswerter
Nachteil auferlegt (Sonderopfer), so ist ein Opferausgleich vor-
zusehen. Entschädigung und Opferausgleich sind unter gerech-
ter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteilig-
ten zu bestimmen; nur soweit persönlich genutztes Eigentum
betroffen ist, ist der Wertverlust voll auszugleichen. Dem per-
sönlich genutzten Eigentum steht das genossenschaftliche Ei-
gentum gleich.
Artikel 30
Die Bildung von Kartellen und marktbeherrschenden Unterneh-
men ist unzulässig. Ausnahmen sind nur auf gesetzlicher Grund-
lage im Interesse der Sicherung gefährdeter Arbeitsplätze, der
Förderung strukturschwacher Regionen und der Erhaltung der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit möglich.
Artikel 31
(1) Boden und Wirtschaftsunternehmen können zum Zwecke der
Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der
Entschädigung regelt, in selbständige Unternehmen der Ge-
meinwirtschaft überführtwerden. Für die Entschädigung gilt Arti-
kel 29 Absatz 3 Satz 5 entsprechend.
(2) Der Staat und die Träger der Kommunalautonomie sind be-
fugt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben am Wirtschaftsleben teilzu-
nehmen.
(3) Aus Gründen der zuverlässigen und umfassenden Versor-
gung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen sowie
aus wichtigen ordnungspolitischen Gründen können durch Ge-
setz oder aufgrund eines Gesetzes Monopole der öffentlichen
Hand geschaffen werden.
Artikel 32
(1) Die Nutzung des Bodens und der Gewässer ist in besonde-
rem Maße den Interessen der Allgemeinheit und künftiger Gene-
rationen verpflichtet. Ihre Verkehrsfähigkeit kann durch Gesetz
beschränkt werden. Die Nutzung von Grund und Boden ist nur im
Rahmen einer Flächenutzungsplanung zulässig. Das Eigentum
und die Nutzung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die
einhundert Hektar übersteigen, ist genossenschaftlichen und
öffentlichen Einrichtungen und den Kirchen vorbehalten. Die
Veräußerung von Grund und Boden und die Überlassung von
Nutzungsrechten an Ausländer bedürfen der Genehmigung.
(2) Steigert sich der Wert von Boden aufgrund seiner planeri-
schen Umwandlung in Bauland, so steht den Trägern der Kom-
munalautonomie ein Ausgleich für die Wertsteigerung zu. Dieser
Planungswertausgleich wird in der Regel durch die entschädi-
gungslose Abgabe eines Anteils des beplanten Bodens erbracht.
Der Anteil entspricht dem Maß der Wertsteigerung, darf aber die
Hälfte des Bodens nicht übersteigen.
(3) Der Abbau von Bodenschätzen bedarf derstaatlichen Geneh-
migung. Dabei ist dem öffentlichen Interesse an der schonen-
den Nutzung des Bodens besonderes Gewicht beizumessen.
Artikel 33
(1) Der Schutz der natürlichen Umwelt ais Lebensgrundlage ge-
genwärtiger und künftiger Generationen ist Pflicht des Staates
und aller Bürger. Die staatliche Umweltpolitik hat Vorsorge ge-
gen das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen zu treffen
sowie auf den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung
nichterneuerbarer Rohstoffe und die sparsame Nutzung von
Energie hinzuwirken.
(2) Eine schwere Beeinträchtigung oder Gefährdung der natürli-
chen Umwelt darf nur in dem Umfang zugelassen werden, indem
dies zum Schutz überragend wichtiger Interessen der Allgemein-
heit unerläßlich ist.
(3) Niemand darf durch nachteilige Veränderungen der natürli-
chen Lebensgrundtagen in seiner Gesundheit verletzt oder unzu-
mutbar gefährdet werden. Jedermann kann mit der Behauptung,
durch nachteilige Veränderungen der natürlichen Umwelt in sei-
nem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gefährdet
oder verletzt zu sein, die Offenlegung der Daten über die Um-
weitbeschaffenheit seines Lebenskreises verlangen. Die Ver-
bandsklage ist zulässig.
(4) Wer Umweltschäden verursacht, haftet und ist für Aus-
gleichsmaßnahmen verantwortlich.
(5) Der Staat und die Träger der Kommunalautonomie sind ver-
pflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Wäldern,
Feldern, Seen und Flüssen freizuhalten und gegebenenfalls
durch Einschränkungen des Eigentumsrechts freizumachen.
3. Abschnitt
Rechte der Sorben
Artikel 34
(1) Der Staat achtet und fördert die Interessen der Sorben. Er
gewährleistet und schützt ihr Recht auf den Gebrauch und die
Pflege ihrer Sprache, Kultur und Traditionen. Er unterhält oder
unterstützt die dazu erforderlichen Einrichtungen, insbesondere
im Sozial- und Bildungswesen. Die Sorben haben das Recht,
ihre Muttersprache vor den Verwaltungsbehörden und den Ge-
richten zu gebrauchen. In der Landes- und Regionalplanung sind
die Lebensbedürfnisse der Sorben besonders zu berücksichti-
gen.
(2) Durch Gesetz können Autonomierechte eingeräumt werden.
4. Abschnitt
Gesellschaftliche Gruppen und Verbände
Artikel 35
(1) Vereinigungen, die sich öffentlichen Aufgaben widmen und
dabei auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken (Bürgerbe-
wegungen), genießen als Träger freier gesellschaftlicher Gestal-
tung, Kritik und Kontrolle den besonderen Schutz der Verfas-
sung.
(2) Bürgerbewegungen, deren Tätigkeit sich auf den Bereich
eines Landes oder des Bundes erstreckt, haben das Recht des
Vorbringens und der sachlichen Behandlung ihrer Anliegen in
den zuständigen Ausschüssen der Volkskammer oder der Land-
tage. Sie haben, soweit die Persönlichkeit und die Privatheit
Dritter nicht verletzt werden, nach Abwägung entgegenstehen-
der öffentlicher Interessen Anspruch auf Zugang zu den bei den
Trägern öffentlicher Verwaltung vorhandenen Informationen, die
ihre Anliegen betreffen.
Artikel 36
(1) Die Freiheit der Vereinigungen ist gewährleistet. Sie haben‘
das Recht, ihre innere Ordnung frei und selbständig zu bestim-
men.
(2) Die innere Ordnung von Verbänden muß demokratischen
Grundsätzen entsprechen, sofern sie überwiegend die Interessen
ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit vertreten oder an der Erfüllung
staatlicher oder überwiegend staatlich finanzierter öffentlicher
Aufgaben mitwirken. Das Gleiche gilt für Verbände, die in ihrem
Wirkungsbereich keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt
sind. Im Rahmen des Verbandszwecks haben die Mitglieder das
Recht auf die ungehinderte Ausübung der Meinungs- und Ver-
sammlungsfreiheit und auf die Freiheit der Gruppenbildung. Die
gleichberechtigte Teilnahme an der innerverbandlichen Wil-
lensbildung ist gewährleistet.
(3) Verbände im Sinne des Absatz 2 Satz 2 dürfen die Mitglied-
schaft nicht aus sachwidrigen Gründen verwehren.
(4) Das Gesetz kann vorsehen, daß Vereinigungen, die nach ihrem
Zweck oder ihrer Tätigkeit gegen die Strafgesetze verstoßen,
Beschränkungen unterworfen oder verboten werden.
Artikel 37
(1) Die Freiheit der Parteien, gleichberechtigt an der politischen
Willensbildung in der Gesellschaft mitzuwirken, ist gewährleistet.
(2) Die innere Ordnung der Parteien muß demokratischen Grund-
sätzen entsprechen. Die Mitglieder haben das Recht auf die
ungehinderte Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfrei-
heit im Rahmen des Parteiprogramms sowie auf gleichberechtigte
Teilnahme an der innerparteilichen Willensbildung.
(3) Die Parteien haben über ihre Finanzierung öffentlich Rechen-
schaft abzulegen. Die Wahlkampfkostenerstattung ist an eine
gesonderte Entscheidung der Wahlberechtigten Bürgergebunden
(Bürgerbonus). Diese Regelungen gelten auch für Bürgerbewe-
gungen, soweit sie sich an Wahlen zur Volkskammer oder zu den
Landtagen beteiligen.
(4) Die Rechte von Parteien, die systematisch und nachhaltig in
ihrer Programmatik die Menschenwürde angreifen oder in dieser
Weise durch ihre Tätigkeit gegen die Grundsätze eines offenen
und gewaltlosen politischen Willensbildungsprozesses versto-
ßen, können, sofern Gefahren für den politischen Willensbil-
dungsprozeß anders nicht abgewendet werden können, von ei-
ner Wahl ausgeschlossen oder verboten werden. Die Entschei-
dungen sind dem Verfassungsgericht vorbehalten; ihre Wirkung
ist zeitlich zu begrenzen. Vor einer Entscheidung des Verfas-
sungsgerichts ist keinerlei Benachteiligung der Partei oder ihrer
Mitglieder zulässig. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen
Rechte der Mitglieder werden auch durch die Entscheidungen
des Verfassungsgerichts in keiner Weise berührt.
Artikel 38
(1) Die Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften ist
gewährleistet. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten
selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Ge-
setze. Die Gleichwertigkeit des sozialen Schutzes kirchlicher
Arbeitnehmer mit den Garantien aus dem allgemeinen Arbeits-
und Sozialrecht ist zu gewährleisten.
(2) Kirchen und Religionsgemeinschaften wird auf Antrag die
Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuer-
kannt.
(3) Der Staat fördert und unterstützt nach Maßgabe von Verein-
barungen die Kirchen und Religionsgemeinschaften, insbeson-
dere in ihren sozialen Tätigkeiten und bei der Wahrung ihres
kulturellen Erbes. Der Staat kann aufgrund von Vereinbarungen
für Kirchen und Religionsgemeinschaften gegen Erstattung der
Verwaltungskosten die Einbeziehung der Mitgliedsbeiträge
übernehmen.
Artikel 39
(1) Jedermann hat das Recht, Gewerkschaften zu bilden, ihnen
beizutreten und sich in ihnen den Gewerkschaftszwecken gemäß
zu betätigen. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu
behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen
sind rechtswidrig und durch Gesetz mit Sanktionen zu belegen.
Die Errichtung berufsständischer öffentlich-rechtlicher Vereini-
gungen mit Zwangsmitgliedschaft ist unzulässig.
(2) Die Freiheit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften ist ge-
währleistet. Sie haben das Recht des Zutritts zu den Betrieben.
Das Nähere über die gewerkschaftliche Tätigkeit in den Betrie-
ben wird durch Gesetz geregelt.
(3) Die Gewerkschaften müssen in tarifrechtlicher Hinsicht geg-
nerfrei sein. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsät-
zen entsprechen. Das Recht der Mitglieder auf die ungehinderte
Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, auf Frei-
heit der Gruppenbildung sowie auf gleichberechtigte Teilnahme
an der innergewerkschaftlichen Willensbildung ist zu gewährlei-
sten.
(4) Gewerkschaften haben das Recht, über alle die Arbeits- und
Lebensbedingungen der Werktätigen betreffenden Angelegen-
heiten Tarifverträge abzuschließen. Tarifvertragsparteien sind
Gewerkschaften und ihre Dachverbände, Unternehmen aller Ei-
gentumsformen und Unternehmensverbände, der Bund, die Län-
der und die Träger der Kommunalautonomie.
(5) Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet. Bei
Arbeitskämpfen ist der Schadenersatz, nicht aber die Androhung
und Erhebung von Zwangsgeldern zur Durchsetzung gerichtli-
cher Entscheidungen ausgeschlossen. Der Lohnersatz bei mit-
telbar arbeitskampfbedingten Produktionsausfällen ist Gemein-
last der sozialen Autonomie und wird den Betrieben nach Maß-
gabe gesetzlicher Regelungen erstattet.
(6) Eine das Arbeitsrechtsverhältnis beendende Aussperrung ist
verboten. In nicht bestreikten Betrieben ist jegliche Aussperrung
verboten.
5. Abschnitt
Geltung
Artikel 40
(1) Die Menschen- und Bürgerrechte dieser Verfassung binden
Gesetzgebung, vollziehende Gewalt, Rechtsprechung und, so-
weit die Verfassung dies vorsieht, auch Dritte unmittelbar.
(2) Soweit Menschen- und Bürgerrechte durch Gesetz oder auf-
grund eines Gesetzes eingeschränkt werden können, muß der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Solche Be-
schränkungen dürfen in keinem Falle den Wesensgehalt eines
Menschen- und Bürgerrechts antasten.
(3) Die Menschen- und Bürgerrechte gelten auch für inländische
juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts, so-
weit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand in seinen Menschen- und Bürgerrechten ver-
letzt, so kann er sie auf dem Rechtsweg einklagen.
II. Kapitel
Grundsätze und Organe des Staates
1. Abschnitt
Grundsätze
Artikel 41
(1) Die Deutsche Demokratische Republik ist ein rechtsstaatlich
verfaßter demokratischer und sozialer Bundesstaat und besteht
aus den Ländern … Sie bekennt sich zu dem Ziel der Schaffung
einer gesamteuropäischen Friedensordnung, welche die durch
den Zweiten Weltkrieg in Deutschland geschaffene Lage auf der
Grundlage der Aussöhnung mit allen Völkern, die von Deutschen
unterdrückt und verfolgt wurden, überwindet. In diesem Rahmen
wird das deutsche Volk über die staatliche Gestaltung Deutsch-
lands selbst bestimmen.
(2) Die Deutsche Demokratische Republik bekennt sich zu dem
Ziel der Herstellung der Einheit der beiden deutschen Staaten.
Artikel 42
(1) Träger der Staatsgewalt ist das Volk.
(2) Die Gesetzgebung ist an die Normen der Verfassung, die
vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an die Verfas-
sung,sowie an Gesetz und Recht gebunden.
(3) Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind unmittelbar
geltendes Bundesrecht.
Artikel 43
Die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik trägt
die Farben schwarz-rot-gold. Das Wappen des Staates ist die
Darstellung des Mottos „Schwerter zu Pflugscharen“.
Artikel 44
(1) Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer be-
darf, können Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtun-
gen, insbesondere auf gemeinsame Einrichtungen der beiden
deutschen Staaten übertragen werden. Artikel 132 Absätze 1
und 2 bleiben unberührt.
(2) Die Beschränkung von Hoheitsrechten zugunsten eines Sy-
stems kollektiver Sicherheit im Rahmen einer gesamteuropäi-
schen Friedensordnung ist zulässig.
Artikel 45
(1) Die Deutsche Demokratische Republik fördert alle auf eine
ausgewogene Abrüstung gerichteten Bestrebungen und Maß-
nahmen.
(2) Die Vorbereitung oder Führung eines Angriffskrieges ist ver-
boten.
(3) Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Regierung herge-
stellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Sie dürfen nur
in Staaten exportiert werden, die dem gleichen System kollekti-
ver Sicherheit angehören.
2. Abschnitt
Staatshaftung
Artikel 46
Für Schäden, die einem Dritten durch rechtswidriges Handeln
oder Unterlassen von Mitarbeitern eines Trägers öffentlicher
Gewalt in Wahrnehmung dienstlicher Pflichten zugefügt werden,
haftet derjenige Hoheitsträger, dessen Mitarbeiter den Schaden
verursacht hat. Das Nähere regelt das Gesetz.
3. Abschnitt
Der Bund, die Länder und
die Kommunalautonomie
Artikel 47
(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den
Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates
entsprechen.
(2) Den Ländern steht die Wahrnehmung der staatlichen Aufga-
ben zu, soweit sie nicht durch diese Verfassung dem Bund oder
den Trägern der Kommunalautonomie zugewiesen sind.
Artikel 48
(1) Bundesrecht bricht Landesrecht.
(2) Verletzt ein Land die ihm nach der Verfassung oder einem
anderen Gesetz des Bundes obliegenden Pflichten, so kann die
Regierung mit Zustimmung der Länderkammer die notwendigen
Maßnahmen treffen, um das Land zur Erfüllung seiner Pflichten
anzuhalten. Die Regierung oder die Beauftragten haben dazu
das Weisungsrecht gegenüber dem Land und seinen Behörden.
(3) Die innerhalb des Bundes geübte Rechts- und Amtshilfe wird
auch den Ländern, die innerhalb eines Landes geübte Rechts-
und Amtshilfe wird auch anderen Ländern und dem Bund ge-
währt.
Artikel 49
(1) Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten und zur
Bundesrepublik Deutschland ist Sache des Bundes.
(2) Verträge und Vereinbarungen mit auswärtigen Staaten oder
mit der Bundesrepublik Deutschland, die die Zuständigkeiten
der Länder berühren, bedürfen der Zustimmung der Länderkam-
mer. Vor dem Abschluß eines Vertrages oder einer Vereinbarung,
die die besonderen Verhältnisse eines Landes berühren, ist das
Einvernehmen mit dem betroffenen Land herbeizuführen. Kommt
eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Länderkammer.
(3) Soweit die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompe-
tenz haben, können sie mit auswärtigen Staaten, der Bundesre-
publik Deutschland und deren Ländern Verträge schließen und
Vereinbarungen treffen. Das Benehmen mit der Regierung des
Bundes ist herzustellen.
Artikel 50
(1) Das Recht der Träger der Kommunalautonomie, die Angele-
genheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in
eigener Verantwortung zu regeln und zu verwalten, ist gewährlei-
stet. Es schließt die Satzungs-, Organisations-, Personal-, Pla-
nungs- und Finanzhoheit ein.
(2) Die Träger der Kommunalautonomie sind durch einen Finanz-
ausgleich in die Lage zu versetzen, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Aufgaben dürfen ihnen nur durch Gesetz und nur dann entzogen
werden, wenn sie zu ihrer Erfüllung außerstande sind.
(3) In die Verantwortung der Träger der Kommunalautonomie
fallen
1. die örtliche Verkehrs- und Bauleitplanung;
2. der örtliche Nahverkehr;
3. die örtliche Wohnraumbeschaffung und Wohnraumverwal-
tung;
4. die Sozialhilfe;
5. die medizinische Grundversorgung einschließlich der Kran-
kenversicherung;
6. die Einrichtungen der Kinderbetreuung;
7. die Altenbetreuung;
8. die Daseinsvorsorge für Menschen mit Behinderung;
9. die Einrichtungen des Bildungswesens mit Ausnahme der
Hoch- und Fachschulen;
10. die Kultur-, Jugend- und Breitensportförderung einschließ-
lich ihrer Einrichtungen;
11. die Schaffung und Erhaltung von Naherholungsgebieten und
Freizeiteinrichtungen;
12. die Wahrung der öffentlichen Sicherheit durch örtliche Poli-
zeibehörden;
13. die Förderung der örtlichen Wirtschaftsstruktur;
14. die Bauaufsicht, insbesondere die Erteilung von Baugeneh-
migungen;
15. die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Hausmüll
und Abwässern;
16. die Förderung von Städte- und Gemeindepartnerschaften.
(4) Soweit andere Aufgaben bisher von den Kreisen, Städten
und Gemeinden wahrgenommen wurden, werden sie von den
Trägern der Kommunalautonomie als Selbstverwaltungs- oder
als Auftragsangelegenheiten wahrgenommen. Durch Gesetz
können weitere Aufgaben übertragen werden.
(5) Die Länder üben in den Angelegenheiten der Kommunalau-
tonomie die Rechtsaufsicht, im übrigen die Fachaufsicht aus.
4. Abschnitt
Die Volkskammer
Artikel 51
(1) Die Volkskammer ist das oberste Organ der Staatswillensbil-
dung. Sie hat die Aufgabe der Gesetzgebung, der Kontrolle der
Regierung und Verwaltung, der Verabschiedung des Staatshaus-
halts, der Wahl des Ministerpräsidenten, der Bestätigung des
Regierungsprogramms und der Ratifikation völkerrechtlicher
Verträge. Sie nimmt alle Aufgaben und Befugnisse des Bundes
wahr, soweit sie von dieser Verfassung nicht anderen Organen
ausdrücklich vorbehalten sind.
(2) Die Opposition ist ein notwendiger Bestandteil der parla-
mentarischen Demokratie. Sie steht der Regierungsmehrheit als
Alternative gegenüber und hat das Recht auf Chancengleichheit.
Artikel 52
(1) Die Volkskammer besteht aus 400 Abgeordneten. Der Volks-
kammer können der Präsident der Republik, die Mitglieder des
Verfassungsgerichts, die Mitglieder des Rechnungshofes,
die Mitglieder der Staatsbank und der Datenschutzbeauftragte
nicht angehören.
(2) Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes und an
Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Niemand kann einen
Abgeordneten zwingen, gegen seine Überzeugung zu entschei-
den.
(3) Die Abgeordneten haben das Recht, in der Volkskammer
oder deren Ausschüssen das Wort zu ergreifen, Fragen und
Anträge zu stellen sowie bei Wahlen und Beschlüssen ihre Stim-
me abzugeben. Die Geschäftsordnung gewährleistet das Rede-
recht nicht fraktionsgebundener Abgeordneter und deren Mitwir-
kung in den Ausschüssen.
(4) Dem Abgeordneten stehen eine seine Unabhängigkeit si-
chernde Vergütung sowie Aufwandsentschädigung und die un-
entgeltliche Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu. Die Rech-
te der Abgeordneten sind nicht übertragbar und nicht pfändbar.
Artikel 53
(1) Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstim-
mung oder wegen einer Äußerung, die er in der Volkskammer
oder in einem ihrer Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder
dienstlich verfolgt oder sonst zur Verantwortung gezogen wer-
den.
(2) Einem Abgeordneten darf für Äußerungen, die er in Ausübung
des Rederechts macht, weder das Wort entzogen noch die Teil-
nahme an Sitzungen verwehrt werden. In anderen Fällen kann
ein Ausschluß von der Sitzung nur mit einer Mehrheit von drei
Vierteln der anwesenden Abgeordneten erfolgen. Der Ausschluß
von der Sitzung darf nicht zum Ausschluß von einer Abstimmung
führen.
(3) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abge-
ordneter nur mit Erlaubnis der Volkskammer verfolgt werden. Bei
Festnahme und anderen Zwangsmaßnahmen der Strafverfol-
gung muß unverzüglich eine Entscheidung der Volkskammer her-
beigeführt werden. Bis zur Entscheidung der Volkskammer
nimmt deren Präsident die dem Ermittlungsrichter zustehenden
Rechte wahr. Die Erlaubnis der Volkskammer ist auch bei jeder
anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit des Abgeord-
neten erforderlich.
(4) Jedes Strafverfahren, jede Freiheitsentziehung und jede
sonstige Beschränkung der persönlichen Freiheit sind auf Ver-
langen der Volkskammer auszusetzen. Der Aussetzungsbe-
schluß gilt auch für die Zeit zwischen den Wahlperioden bis zu
seiner Aufhebung.
(5) Die Abgeordneten sind berechtigt, das Zeugnis zu verwei-
gern. Auch nach dem Ende des Mandats sind die Abgeordneten
berechtigt, über Tatsachen und Personen, mit denen sie in ihrer
Eigenschaft als Mandatsträger befaßt waren, das Zeugnis zu
verweigern. Das Zeugnisverweigerungsrecht erlischt nicht durch
die Beendigung des Mandats. Soweit das Zeugnisverweige-
rungsrecht reicht, ist eine Beschlagnahme unzulässig.
Artikel 54
(1) Wer sich um ein Mandat bewirbt, hat Anspruch auf den zur
Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub.
(2) Niemand darf gehindert werden, ein Mandat zu übernehmen
und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesen,.
Grunde ist unzulässig.
Artikel 55
(1) Die Wahlperiode der Volkskammer endet vier Jahre nach
dem ersten Zusammentritt oder mit der Auflösung. Die Neuwahl
findet im letzten Vierteljahr der Wahlperiode statt, im Falle der
Auflösung an dem Sonntag, der dem 49. Tag der Auflösung
folgt.
(2) Die Volkskammer tritt spätestens am 30. Tag nach der Wahl,
jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des letzten Parla-
ments zusammen.
(3) Die Volkskammer kann jederzeit mit der Mehrheit von zwei
Dritteln ihrer Mitglieder ihre Auflösung beschließen.
(4) Die Volkskammer bestimmt den Schluß und den Wiederbe-
ginn ihrer Sitzungen. Der Präsident der Volkskammer kann sie
früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Fünftel der
Mitglieder, der Präsident der Republik oder der Ministerpräsi-
dent es verlangen.
Artikel 56
(1) Die Volkskammer gibt sich eine Geschäftsordnung und wählt
ihren Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer
(Präsidium). Organe der Volkskammer sind der Präsident, das
Präsidium, der Ältestenrat, die Ausschüsse und die Fraktionen.
(2) Der Präsident führt die Geschäfte der Volkskammer. Er übt
die Ordnungsgewalt und das Hausrecht im Gebäude der Volks-
kammer aus. Ohne seine Genehmigung darf in den Räumen der
Volkskammer keine Durchsuchung oder Beschlagnahme statt-
finden.
(3) Der Präsident verwaltet im Einvernehmen mit dem Präsidium
die gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten der Volkskam-
mer und stellt den Entwurf des Haushaltsplanes der Volkskam-
mer fest. Der Präsident ist oberste Dienstbehörde der Beschäf-
tigten der Volkskammer. Zu ihrer Einstellung und Entlassung
benötigt er die Zustimmung des Präsidiums. Der Präsident ver-
tritt die Volkskammer in allen Angelegenheiten nach innen und
außen.
Artikel 57
(1) Zusammenschlüsse von Abgeordneten haben die Stellung
einer Fraktion, wenn sie fünf Prozent der Zahl der Abgeordneten
auf sich vereinen. Die Geschäftsordnung kann einen geringeren
Prozentsatz festlegen.
(2) Die Fraktionen haben Sitz und Stimme in den Organen der
Volkskammer. Bei der Verteilung der Redezeit darf die Opposi-
tion gegenüber Mehrheit und Regierung nicht benachteiligt wer-
den.
(3) Die Arbeitsfähigkeit der Fraktionen und der einzelnen Abge-
ordneten, auch der fraktionslosen, ist zu gewährleisten. Hierzu
gehören die Einrichtung und technische Ausrüstung von Büros
und die Finanzierung von Mitarbeitern und des sachlichen Be-
darfs.
Artikel 58
(1) Die Wahlprüfung ist Sache der Volkskammer. Gegen die
Entscheidung der Volkskammer ist die Beschwerde beim Verfas-
sungsgericht gegeben.
(2) Das Mandat endet bei Verlust der Wählbarkeit oder bei Ver-
zicht. Ein Entzug des Mandats ist unzulässig.
Artikel 59
(1) Die Volkskammer und ihre Ausschüsse verhandeln öffent-
lich. Die Öffentlichkeit kann in der Volkskammer mit Zweidrittel-
mehrheit, in den Ausschüssen mit der Mehrheit der Mitglieder
ausgeschlossen werden. Über den Antrag wird in nichtöffent-
licher Sitzung entschieden.
(2) Die Volkskammer ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälf-
te ihrer Mitglieder anwesend ist. Sie faßt ihre Beschlüsse mit
der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, soweit diese Verfas-
sung nichts anderes bestimmt.
(3) Die Berichterstattung über die öffentlichen Sitzungen der
Volkskammer und ihrer Ausschüsse und eine öffentlich zugäng-
liche Dokumentation über Verlauf und Ergebnis der Sitzungen
werden gewährleistet.Für wahrheitsgetreue Berichte über die
Sitzungen kann niemand verantwortlich gemacht werden.
Artikel 60
(1) Die Volkskammer und ihre Ausschüsse können die Anwesen-
heit jedes Mitgliedes der Regierung verlangen, Es muß der
Volkskammer Rede und Antwort stehen.
(2) Die Mitglieder der Regierung und die Mitglieder der Länder-
kammer haben Zutritt zu den Sitzungen der Volkskammer und
ihrer Ausschüsse. Den Mitgliedern der Regierung und der Län-
derkammer steht das Rederecht zu. Der Ministerpräsident muß
jederzeit gehört werden.
Artikel 61
(1) Bei den Beratungen der Ausschüsse haben alle Fraktionen
das Recht, daß mindestens ein von ihnen benannter Sachver-
ständiger gehört wird.
(2) Wer Gesetzesvorschläge unterbreitet, ist von den zuständi-
gen Ausschüssen zu hören. Hierzu können Unterausschüsse ge-
bildet werden.
Artikel 62
(1) Die Volkskammer bestellt einen Ausschuß zur Behandlung
von Anregungen, Kritiken und Beschwerden. Der Vorsitzende
des Ausschusses ist zugleich der Bürgeranwalt.
(2) Regierung und Verwaltung sind verpflichtet, dem Ausschuß
auf Verlangen Akten vorzulegen, Zutritt zu öffentlichen Einrich-
tungen zu gewähren, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen
und Amtshilfe zu leisten.
Artikel 63
(1) Die Volkskammer hat das Recht und auf Antrag einer Frak-
tion die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, die in
öffentlicher Verhandlung die Beweise erheben, die sie oder die
Antragsteller für sachdienlich halten. Die Öffentlichkeit kann mit
der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Ausschusses
ausgeschlossen werden.
(2) Der Vorsitzende wird mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der
Mitglieder des Untersuchungsausschusses gewählt. Er darf kei-
ner der die Regierung bildenden Parteien oder Bürgerbewegun-
gen angehören.
(3) Auf die Beweiserhebung finden die Vorschriften der Strafpro-
zeßordnung sinngemäß Anwendung. Auf Verlangen eines Fünf-
tels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind Regie-
rung und Verwaltung verpflichtet, ihren Bediensteten Aussage-
genehmigungen zu erteilen. Gerichte und Verwaltungsbehör-
den haben Rechts- und Amtshilfe zu leisten. Das Brief-, Post-
und Fernmeldegeheimnis bleibt unangetastet.
(4) Der Untersuchungsbericht ist der richterlichen Erörterung
entzogen. In der Würdigung des der Untersuchung zugrunde
liegenden Sachverhalts sind die Gerichte frei.
Artikel 64
(1) Die Volkskammer bestellt einen Ständigen Ausschuß, der
die Rechte der Volkskammer gegenüber der Regierung zwi-
schen zwei Wahlperioden wahrt.
(2) Der Ständige Ausschuß hat auch die Rechte eines Unter-
suchungsausschusses, nicht aber das Recht, Gesetze zu be-
schließen, den Ministerpräsidenten zu wählen, ihn oder Mini-
ster abzuwählen oder den Präsidenten der Republik anzukla-
gen.
Artikel 65
(1) Zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte und als
Hilfsorgan der Volkskammer werden der Bürgeranwalt, ein
Beauftragter für Fragen der Gleichstellung von Mann und
Frau, ein Beauftragter für den Strafvollzug und ein Beauftrag-
ter für Ausländer bestellt. Sie werden von der Volkskammer
auf die Dauer von sechs Jahren mit der Mehrheit von zwei
Dritteln ihrer Mitglieder gewählt. Sie können mit derselben
Mehrheit abgewählt werden. Einmalige Wiederwahl ist zuläs-
sig.
(2) Die Beauftragten sind in der Ausübung ihres Amtes unab-
hängig und nur dem Gesetz unterworfen. Regierung und Ver-
waltung sind verpflichtet, ihnen auf Verlangen Akten vorzule-
gen, Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen zu gewähren, alle
erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Amtshilfe zu leisten.
(3) Die Beauftragten erstatten der Volkskammer jährlich öf-
fentlich Bericht. Die Volkskammer und ihre Ausschüsse kön-
nen jederzeit die Anwesenheit der Beauftragten verlangen.
(4) Niemand darf wegen seiner Eingaben oder wegen Auskünf-
ten gegenüber den Beauftragten gemaßregelt oder benachtei-
ligt werden.
5. Abschnitt
Die Länderkammer
Artikel 66
(1) Durch die Länderkammer wirken die Länder an der Gesetz-
gebung und Verwaltung des Bundes mit.
(2) Die Länderkammer besteht aus Mitgliedern der Landesre-
gierungen, die von diesen bestellt und abberufen werden. Ei-
ne Vertretung ist zulässig.
(3) Jedes Land hat mindestens drei Stimmen. Länder mit mehr
als zwei Millionen Einwohnern erhalten eine weitere Stimme
für je eine weitere Million Einwohner. Restzahlen werden ge-
rundet.
(4) Die Stimmen des Landes können nur einheitlich und nur
durch anwesende Mitglieder der Länderkammer oder deren
Vertreter abgegeben werden. Die Länder können höchstens so
viele Mitglieder entsenden, wie ihnen Stimmen zustehen.
Artikel 67
(1) Die Länderkammer wählt jährlich einen Präsidenten.
(2) Der Präsident beruft die Länderkammer ein. Auf Verlangen
eines Landes oder des Ministerpräsidenten hat er die Länder-
kammer einzuberufen.
(3) Soweit in dieser Verfassung nichts anderes bestimmt ist,
faßt die Länderkammer ihre Beschlüsse mit der Mehrheit der
Stimmen ihrer Mitglieder
(4) Die Verhandlungen der Länderkammer sind öffentlich. Die
Öffentlichkeit kann mit Zustimmung von zwei Dritteln der Län-
der ausgeschlossen werden.
(5) Den Ausschüssen der Länderkammer können andere Mitglie-
der oder Beauftragte der Länderregierungen angehören.
Artikel 68
Die Mitglieder der Regierung haben das Recht und auf Verlan-
gen die Pflicht, an den Verhandlungen der Länderkammer und
ihrer Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen jederzeit gehört
werden.
6. Abschnitt
Die Regierung
Artikel 69
Die Regierung hat die Aufgabe der Staatsleitung und die Verant-
wortung für die vollziehende Gewalt des Bundes. Sie besteht
aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.
Artikel 70
(1) Der Ministerpräsident wird von der Volkskammer auf Vor-
schlag des Präsidenten der Republik ohne Aussprache gewählt.
(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der
Volkskammer auf sich vereinigt. Der Gewählte wird vom Präsi-
denten der Republik ernannt.
(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann die Volks-
kammer binnen dreier Wochen nach dem Wahlgang mit der
Mehrheit ihrer Mitglieder einen Ministerpräsidenten wählen.
(4) Kommt innerhalb der Frist des Absatzes 3 eine Wahl nicht
zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in
dem gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen Stimmen
erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der
Mitglieder der Volkskammer auf sich, so muß der Präsident der
Republik ihn ernennen- Erreicht der Gewählte diese Mehrheit
nicht, so hat der Präsident der Republik binnen sieben Tagen
entweder ihn zu ernennen oder die Volkskammer aufzulösen.
Artikel 71
Die Minister werden auf Vorschlag des Ministerpräsidenten vom
Präsidenten der Volkskammer ernannt und entlassen. Der Mini-
sterpräsident ernennt seine Stellvertreter aus dem Kreis der
Minister.
Artikel 72
Der Ministerpräsident und die Minister leisten bei der Amtsüber-
nahme vor der Volkskammer folgenden Eid: „Ich schwöre, daß
ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Recht und
Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik wahren, mei-
ne Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen je-
dermann üben werde.“ Dem Eid kann auch eine religiöse Be-
teuerung hinzugefügt werden.
Artikel 73
Der Ministerpräsident und die Minister dürfen kein anderes be-
soldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben. Über die
Mitwirkung in Wirtschaftsunternehmen entscheidet die Volks-
kammer, wenn es sich um ein auf Erwerb gerichtetes Unterneh-
men handelt.
Artikel 74
(1) Der Ministerpräsident leitet die Geschäfte der Regierung
und bestimmt die Richtlinien der Politik im Rahmen des von der
Volkskammer bestätigten Regierungsprogramms. Innerhalb die-
ser Richtlinien leitet jeder Minister seinen Geschäftsbereich
selbständig und in eigener Verantwortung.
(2) Über Meinungsverschiedenheiten der Minister entscheidet
die Regierung. Der Ministerpräsident leitet die Geschäfte der
Regierung nach einer von ihr beschlossenen und vom Präsiden-
ten der Volkskammer genehmigten Geschäftsordnung.
Artikel 75
(1) Die Volkskammer kann dem Ministerpräsidenten das Miß-
trauen nur dadurch aussprechen, daß sie mit der Mehrheit ihrer
Mitglieder einen Nachfolger wählt. Der Gewählte ist vom Präsi-
denten der Republik zu ernennen.
(2) Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen 48 Stunden
liegen.
Artikel 76
(1) Findet ein Antrag des Ministerpräsidenten, ihm das Vertrau-
en auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mit-
glieder der Volkskammer, so muß der Präsident der Republik die
Volkskammer am 21. Tag nach der Abstimmung auflösen, wenn
sie nicht bis dahin mit der Mehrheit ihrer Mitglieder einen Mini-
sterpräsidenten wählt.
(2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stun-
den liegen.
Artikel 77
(1) Das Amt des Ministerpräsidenten oder eines Ministers endet
mit dem Zusammentritt einer neuen Volkskammer, das Amt
eines Ministersauch mit dem Rücktritt oder jeder anderen Been-
digung des Amtes des Ministerpräsidenten.
(2) Jeder Minister muß zurücktreten, wenn ihm die Volkskammer
das Vertrauen entzieht.
(3) Endet das Amt des Ministerpräsidenten, so sind er und mit
ihm die Regierung verpflichtet, ihre Geschäfte bis zur Übernah-
me durch die neu zu bildende Regierung weiterzuführen. Auf
Ersuchen des Ministerpräsidenten hat auch ein Minister die
Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen.
7. Abschnitt
Der Präsident der Republik
Artikel 78
Der Präsident der Republik ist das Staatsoberhaupt.
Artikel 79
(1) Der Präsident vertritt die Deutsche Demokratische Republik
völkerrechtlich. Er beglaubigt und empfängt die Chefs der diplo-
matischen Missionen.
(2) Im Falle der Verhinderung wird der Präsident vom Präsiden-
ten der Länderkammer vertreten.
Artikel 80
Verträge mit auswärtigen Staaten und Verträge mit der Bundes-
republik Deutschland, die sich auf Gegenstände beziehen, für
die der Bund die Gesetzgebungsbefugnis hat, bedürfen der Zu-
stimmung der Volkskammer in der Form eines Gesetzes, soweit
sie innerstaatliche Rechte und Pflichten begründen sollen. Die
Vorschriften dieser Verfassung über die Mitwirkung der Länder-
kammer bleiben unberührt. Andere Verträge bedürfen der Zu-
stimmung der Volkskammer, soweit sie von erheblicher Bedeu-
tung für die Deutsche Demokratische Republik sind.
Artikel 81
(1) Der Präsident ernennt auf Vorschlag der bei ihm eingerichte-
ten Wahlausschüsse die Bundesrichter und den Generalstaats-
anwalt sowie die Mitglieder der Staatsbank und des Rechnungs-
hofes des Bundes.
(2) Beim Präsidenten wird ein Bundesbeauftragter für den Da-
tenschutz bestellt. Der Datenschutzbeauftragte wird vom Präsi-
denten berufen und ernannt. Artikel 65 Absätze 2 bis 4 finden
Anwendung.
Artikel 82
Der Präsident übt das Gnadenrecht des Bundes aus.
Artikel 83
Der Präsident stiftet und verleiht Orden.
Artikel 84
Der Präsident kann zu Themen, die für die Allgemeinheit von
besonderem Gewicht sind, Expertenkommissionen berufen.
Artikel 85
(1) Der Präsident wird ohne Aussprache von der Bundesver-
sammlung auf vier Jahre gewählt. Wiederwahl ist zulässig. Die
Bundesversammlung besteht aus allen Abgeordneten der Volks-
kammer, der Landtage sowie der Volksvertretungen der Kreise
und der kreisfreien Städte.
(2) Die Bundesversammlung tritt zur gleichen Stunde, jeweils
nach Ländern getrennt, zum Wahlakt zusammen. In den Ländern
treten die Landtage und die Volksvertretungen der Kreise und
kreisfreien Städte gemeinsam zusammen. Die Abgeordneten
der Volkskammer treten gesondert zusammen.
(3) Die Bundesversammlung wird vom Präsidenten der Volks-
kammer im Einvernehmen mit dem Präsidenten der Länderkam-
mer einberufen. Die Teilversammlungen der Bundesversamm-
lung in den Ländern werden von den Landtagspräsidenten gelei-
tet.
Artikel 86
(1) Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Bundesver-
sammlung auf sich vereinigt.
(2) Ist im ersten Wahlgang der Präsident nicht gewählt, so sind
für den unverzüglich anzuberaumenden zweiten Wahlgang nur
die drei Kandidaten zugelassen, die im ersten Wahlgang die
meisten Stimmen auf sich vereinigt haben. Gewählt ist, wer die
meisten Stimmen auf sich vereinigt.
(3) Nach der Annahme seiner Wahl leistet der Präsident vor der
Volkskammer den Amtseid in der in Artikel 72 niedergelegten
Formel. Artikel 72 Satz 2 ist anwendbar.
Artikel 87
(1) Der Präsident genießt Immunität und Indemnität.
(2) Wegen Verletzung seiner Amtspflichten kann der Präsident
nur vom Verfassungsgericht zur Verantwortung gezogen werden.
Antragsberechtigt ist die Volkskammer. Der Antrag bedarf der
Zustimmung von zwei Dritteln ihrer Mitglieder.
Artikel 88
Der Präsident darf weder einer Regierung noch einer gesetzge-
benden Körperschaft angehören. Er darf kein anderes besolde-
tes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und nicht
Mitglied des Vorstandes oder Aufsichtsrates eines Unterneh-
mens sein.
III. Kapitel
Funktionen des Staates
1. Abschnitt
Gesetzgebung
Artikel 89
Die Gesetze werden durch die Volkskammer oder durch Volks-
entscheid beschlossen.
Artikel 90
(1) Werden die Gesetze des Bundes von der Volkskammer be-
schlossen, so bedürfen sie zu ihrer Wirksamkeit der Zustim-
mung der Länderkammer, sofern die Verfassung dies vorsieht;
im übrigen steht der Länderkammer das Recht des Einspruchs
zu.
(2) In der Volkskammer werden Gesetzesvorlagen durch deren
Mitglieder, durch die Regierung oder auf Beschluß der Länder-
kammer eingebracht. Es sind mindestens zwei Lesungen vorzu-
sehen und den Ausschüssen ist hinreichend Zeit zur Beratung
einzuräumen.
(3) Vorlagen der Regierung sind der Volkskammer zusammen
mit einer Stellungnahme der Länderkammer, Vorlagen der Län-
derkammer sind ihr mit einer Stellungnahme der Regierung zu-
zuleiten. Die Frist zur Stellungnahme beträgt sechs Wochen.
Artikel 91
(1) Der Zustimmung der Länderkammer bedürfen außer in den
anderen in dieser Verfassung genannten Fällen Gesetze der
Volkskammer über:
1. Änderungen der Ländergrenzen;
2. die Errichtung selbständiger Träger der bundeseigenen Ver-
waltung;
3. die Gerichtsverfassung;
4. die Verteilung der vom Bund erhobenen Steuern;
5. die Raumordnung und Fachplanungen des Bundes;
6. das Verwaltungsverfahren.
(2) War der Erlaß eines Gesetzes zustimmungsbedürftig, so gilt
dies auch für nachfolgende Gesetzesänderungen.
Artikel 92
(1) Gesetze werden nach ihrer Annahme in der Volkskammer
durch deren Präsidenten unverzüglich der Länderkammer zuge-
leitet.
(2) Die Länderkammer kann binnen zweier Wochen nach Ein-
gang des Gesetzesbeschlusses verlangen, daß ein-in gleicher
Zahl aus Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer
für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeter Ausschuß
einberufen wird. Die Zusammensetzung und das Verfahren die-
ses Ausschusses regelt eine Geschäftsordnung, die der Zustim-
mung der Volkskammer und der Länderkammer bedarf. Die in
diesen Ausschuß entsandten Mitglieder der Länderkammer sind
nicht an Weisungen gebunden. Ist zu einem Gesetz die Zustim-
mu ng der Länderkammer erforderlich, so können auch die Volks-
kammer und die Regierung die Einberufung verlangen. Schlägt
der Ausschuß eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, so
hat die Volkskammer erneut Beschluß zu fassen.
(3) Soweit zu einem Gesetz die Zustimmung der Länderkammer
nicht erforderlich ist, kann die Länderkammer, wenn das Verfah-
ren nach Absatz 2 beendet ist, gegen ein von der Volkskammer
beschlossenes Gesetz binnen einer Woche Einspruch einlegen.
Die Einspruchsfrist beginnt im Falle des Absatzes 2 letzter Satz
mit dem Eingang des von der Volkskammer erneut gefaßten
Beschlusses, in allen anderen Fällen mit dem Abschluß des
Verfahrens vor dem in Absatz 2 vorgesehenen Ausschuß.
(4) Wird der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen der Län-
derkammer beschlossen, so kann er durch Beschluß der Mehr-
heit der Mitglieder der Volkskammer zurückgewiesen werden.
Hat die Länderkammer den Einspruch mit einer Mehrheit von
mindestens zwei Dritteln ihrer Stimmen beschlossen, so bedarf
die Zurückweisung durch die Volkskammer einer Mehrheit von
zwei Dritteln der Anwesenden, mindestens der Mehrheit der
Mitglieder der Volkskammer.
Artikel 93
Ein von der Volkskammer beschlossenes Gesetz kommt zustan-
de, wenn die Länderkammer zustimmt, den Antrag gemäß Artikel
92 Absatz 2 nicht stellt, innerhalb der Frist des Artikels 92
Absatz 3 keinen Einspruch einlegt oder ihn zurücknimmt oder
wenn der Einspruch von der Volkskammer nach Maßgabe des
Artikels 92 Absatz 4 überstimmt wird.
Artikel 94
(1) Durch Gesetz kann die Regierung zum Erlaß von Verordnun-
gen ermächtigtwerden. In der Verordnung ist die Rechtsgrundla-
ge anzugeben. Gesetzesändernde Verordnungen sind ausge-
schlossen.
(2) Das Gesetz kann bestimmen, daß vor Erlaß der Verordnung
der zuständige Ausschuß der Volkskammer gehört wird und ihre
Wirksamkeit davon abhängig gemacht wird, daß der Ausschuß
der Verordnung nicht widerspricht. Ist ein Gesetz zustimmungs-
pflichtig, so gilt dies auch für Verordnungen.
(3) Rahmengesetze können vorsehen, daß die Landtage Verord-
nungsermächtigungen unter entsprechender Anwendung der Ab-
sätze 1 und 2 erteilen.
Artikel 95
Der Bund und die Länder haben das Recht der Gesetzgebung,
soweit ihnen die Verfassung dieses Recht ausdrücklich zuweist.
Auf den anderen Gebieten haben die Länder die Gesetzgebungs-
befugnis, soweit und solange der Bund von seinem Recht keinen
Gebrauch gemacht hat. Der Bund kann auf den Gebieten seiner
Gesetzgebung Rahmengesetze erlassen.
Artikel 96
Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:
1. die auswärtigen Angelegenheiten;
2. die Staatsbürgerschaft;
3. das bürgerliche Recht und das Zivilprozeßrecht, das Straf-
recht und das Strafprozeßrecht, das Arbeits- und Sozialrecht
einschließlich der Betriebsverfassung und des Verfahrens-
rechts, die Gerichtsverfassung;
4. die Freizügigkeit, das Paßwesen, die Ein- und Auswande-
rung und die Auslieferung;
5. das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte
sowie die Zeitbestimmung;
6. die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und
Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs
und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande
einschließlich des Zolls und des Grenzschutzes;
7. das Recht der Wirtschaft einschließlich der Unternehmens-
verfassung;
8. das Bodenrecht und den Grundstücksverkehr einschließlich
des Rechts der Enteignung;
9. den Bergbau, die Energieversorgung einschließlich des
Rechts der Kernenergie;
10. die Angelegenheiten der Verteidigung;
11. die Reichsbahn und den Luftverkehr, die Bundeswasserstra-
ßen und die Autobahnen;
12. das Post- und Fernmeldewesen;
13. die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der
bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen
Rechts stehenden Personen;
14. den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das
Verlagsrecht;
15. die Organisation der Kriminalpolizei, der internationalen
Verbrechensbekämpfung sowie der Spionageabwehr;
16. die Statistik für Bundeszwecke;
17. die anderen in dieser Verfassung vorgesehenen Fälle.
Artikel 97
Die Länder haben die ausschließliche Gesetzgebung über
1. das Länderstaatsrecht;
2. die Länderraumordnung;
3. das Recht der Gefahrenabwehr;
4. die Einrichtung von selbständigen Trägern der Landesver-
waltung;
5. die Errichtung der Gerichtsbezirke;
6. die Errichtung der Träger der Kommunalautonomie und das
Kommunalrecht;
7. den Natur- und Landschaftsschutz;
8. das Bauordnungsrecht;
9. die Errichtung von Universitäten und Fachhochschulen;
10. das Archiv- und Bibliothekswesen in den Ländern und die
Kulturförderung;
11. die Denkmalpflege in den Ländern;
12. die Schmalspur- und die Seilbahnen;
13. das Forst- und Jagdwesen und die Binnenfischerei;
14. die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Hausmüll
und Bauschutt;
15. das Markt- und Messewesen.
Artikel 98
(1) Gesetzesvorlagen zu einem Volksentscheid werden durch
Volksbegehren beim Präsidenten der Republik eingebracht.
Dem Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter und mit Gründen
versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen. Im Entwurf sind
neun Vertrauensleute zu benennen. Der Volksentscheid ist her-
beizuführen, wenn das Begehren von 750 000 stimmberechtig-
ten Bürgern gestellt wird.
(2) Ein Volksentscheid über den Staatshaushalt findet nicht
statt.
(3) Der Präsident legt den Entwurf unverzüglich der Regierung
von Hat er Zweifel an der Zulässigkeit des Volksbegehrens, so
beantragt er innerhalb von vier Wochen eine Entscheidung des
Verfassungsgerichts; die Vertrauensleute sind am Verfahren zu
beteiligen.
(4) Der Ministerpräsident unterbreitet das Volksbegehren zu-
gleich mit einer Stellungnahme der Regierung binnen eines
Monats der Volkskammer. Die Vertrauensleute sind zu den Bera-
tungenderzuständigen Ausschüsse der Volkskammer hinzuzuzie-
hen und haben in ihnen das Rederecht. Der Volksentscheid
unterbleibt, wenn die Volkskammer die Gesetzesvorlage inner-
halb einer Frist von drei Monaten nach Unterbreitung unverändert
oder in einer Fassung, der zwei Drittel der Vertrauensleute zuge-
stimmt haben, annimmt. Bei der Berichterstattung des Ausschus-
ses steht der Vertretung des Volksbegehrens das Rederecht zu. Im
übrigen ist der Volksentscheid binnen zehn Wochen nach Ablauf
der in Satz 3 genannten Frist herbeizuführen. Den Trägern des
Volksbegehrens ist innerhalb dieser Zeit in den öffentlich-rechtli-
chen Massenmedien Gelegenheit zur unentgeltlichen Werbung
für ihr Anliegen zu geben.
(5) Beim Volksentscheid kann nur mit „ja“ oder „nein“ abgestimmt
werden. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
(6) Das Verfahren wird durch Gesetz geregelt.
Artikel 99
(1) Die nach den Vorschriften dieser Verfassung zustande gekom-
menen Gesetze werden nach Gegenzeichnung durch den Minister-
präsidenten vom Präsidenten der Volkskammer ausgefertigt und
im Gesetzblatt verkündet.
(2) Verordnungen sind im Gesetzblatt zu veröffentlichen.
(3) Jedes Gesetz und jede Verordnung tritt, soweit nichts anderes
bestimmt ist, mit dem 14. Tag nach Ablauf des Tages in Kraft, an
dem das Gesetzblatt erscheint.
Artikel 100
(1) Diese Verfassung kann nur durch ein Gesetz der Volkskammer
geändert werden, das der Zustimmung von zwei Dritteln der
Mitglieder der Volkskammer bedarf. Es muß den Wortlaut der
Verfassung ausdrücklich ändern oder ergänzen. Es bedarf der
Bestätigung in einem Volksentscheid.
(2) Eine Änderung der Verfassung, die die in den Artikeln 1,40,42,
89 und 107 niedergelegten Grundsätze in Frage stellen, ist
unzulässig.
2. Abschnitt
Die Verwaltung
Artikel 101
Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit
aus, soweit diese Verfassung nichts anderes bestimmt oder
zuläßt.
Artikel 102
(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegen-
heit aus, so regein sie die Einrichtung der Behörden und das
Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustim-
mung der Länderkammer etwas anderes bestimmen. Die Bundes-
regierung kann mit Zustimmung der Länderkammer allgemeine
Verwaltungsvorschriften erlassen.
(2) Die Regierung des Bundes übt die Rechtsaufsicht aus. Sie
kann zu diesem Zweck Beauftragte zu den obersten Landesbe-
hörden entsenden.
(3) Wird Beanstandungen nicht abgeholfen, so entscheidet die
Länderkammer, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen den
Beschluß der Länderkammer kann das Verfassungsgericht ange-
rufen werden.
Artikel 103
Führt der Bund die Gesetze durch bundeseigene Verwaltung oder
durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des
öffentlichen Rechts aus, so werden die allgemeinen Verwal-
tungsvorschriften von der Regierung erlassen. Das gleiche gilt für
die Einrichtung der Behörden.
Artikel 104
(1) In bundeseigener Verwaltung werden geführt
1. der auswärtige Dienst;
2. die Finanzverwaltung nach Maßgabe des Art. 118 und der Zoll;
3. die Genehmigung und die Überwachung kerntechnischer An-
lagen;
4. die Deutsche Post;
5. Bundesstraßen einschließlich der Bundeswasserstraßen;
6. der Luftverkehr;
7. die Streitkräfte einschließlich der Grenztruppen;
8. die Spionageabwehr;
9. die Kriminalpolizei.
(2) Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer be-
darf, kann der Bund für Angelegenheiten, auf denen die Länder
nicht ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben, Bun-
desämter einschließlich eines eigenen Verwaltungsunterbaus
oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öf-
fentlichen Rechts errichten.
Artikel 105
(1) Der Bund kann bei der Erfüllung der Aufgaben der Länder
mitwirken, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam
sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Le-
bensverhältnisse erforderlich ist. Die Mitwirkung des Bundes ist
in Staatsverträgen zu vereinbaren. In den Verträgen sind Bestim-
mungen über das Verfahren und über die Finanzierung vorzuse-
hen. Die Bereitstellung der Mittel bleibt der Feststellung in den
Haushaltsgesetzen des Bundes und der Länder vorbehalten.
(2) Die Regierung des Bundes und die Länderkammer sind über
die Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben zu unterrichten.
Artikel 106
(1) Durch Gesetz wird eine unabhängige Staatsbank als bundes-
unmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts errich-
tet.
(2) Die Staatsbank hat unter besonderer Berücksichtigung des
Zieles der Vollbeschäftigung den Erfordernissen der Preisstabili-
tät, des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und eines ange-
messenen Wirtschaftswachstums Rechnung zu tragen.
(3) Die Mitglieder des Vorstandes der Staatsbank werden von
dem beim Präsidenten einzurichtenden Wahlausschuß gewählt.
Diesem gehören neben den Mitgliedern des Wahlausschusses
nach Artikel 125 Absatz 3 (Rechnungshof) fünf weitere Mitglie-
der nach Maßgabe des Einrichtungsgesetzes an.
(4) Der Finanzminister und der Vorsitzende des Finanzausschus-
ses der Volkskammer haben das Recht, an den Sitzungen des
Vorstandes der Staatsbank teilzunehmen.
Ergänzt durch Verfassungsänderung vom 17. Juni 1990:
Artikel 9. Neufassung. Artikel 106 der DDR-Verfassung wird wie folgt gefaßt:
»Artikel 106. Die Verfassung kann nur von der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik durch Gesetz geändert werden, das ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnet ist. Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik und andere völkerrechtliche Verträge sind, soweit durch sie Verfassungsgegenstände berührt werden, durch ein ausdrücklich als Verfassungsgesetz bezeichnetes Gesetz zu bestätigen, das der Zustimmung von zwei Drittel der Mitglieder der Volkskammer bedarf.«
3. Abschnitt
Die Rechtsprechung
Artikel 107
Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut. Die
Richter sind unabhängig und nur der Verfassung und dem Ge-
setz unterworfen.
Artikel 108
(1) Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Verfassungsge-
richt und durch andere Gerichte des Bundes und der Länder für
Straftaten und zivil-, familien-, verwaltungs-, finanz-, arbeits-
und sozialrechtliche Streitigkeiten sowie durch gesellschaftli-
che Gerichte ausgeübt.
(2) Soweit Gerichtszweige noch nicht bestehen, bedarf ihre Ein-
führung des Gesetzes. Ausnahmegerichte sind unzulässig.
Artikel 109
(1) Das Verfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsor-
ganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof
des Bundes. Das Verfassungsgericht gibt sich eine Geschäfts-
ordnung.
(2) Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind unan-
fechtbar. Die Entscheidungsformel bindet die Organe des Bun-
des und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
(3) Die Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Verfas-
sungsmäßigkeit eines Rechtssatzes hat Gesetzeskraft. Die Ent-
scheidungsformel ist im Gesetzblatt zu veröffentlichen.
Artikel 110
Das Verfassungsgericht entscheidet
1. über Verfassungsbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern
gegen die Verletzung ihrer Menschen- und Bürgerrechte
durch die öffentliche Gewalt;
2. über Zweifel an der Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dieser
Verfassung auf Antrag eines Fünftels der Mitglieder der
Volkskammer, der Regierung des Bundes oder einer Landes-
regierung;
3. über Zweifel an der Vereinbarkeit von Verträgen gemäß Artikel
80 mit dieser Verfassung nach Beginn des Gesetzgebungs-
verfahrens auf Antrag eines Drittels der Mitglieder der Volks-
kammer oder einer Landesregierung;
4. über Zweifel an der Vereinbarkeit von Landesrecht mit dieser
Verfassung und mit sonstigem Recht des Bundes auf Antrag
eines Drittels der Mitglieder der Volkskammer, der Regierung
des Bundes oder einer Landesregierung;
5. auf Antrag eines Gerichts über die Vereinbarkeit eines Geset-
zes des Bundes oder von Landesgesetzen mit dieser Verfas-
sung, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit des
betreffenden Gesetzes überzeugt ist und dies für die gericht-
liche Entscheidung von Bedeutung ist;
6. auf Antrag eines Gerichts über Zweifel, ob eine Regel des
Völkerrechts Bestandteil des innerstaatlichen Rechts ist und
ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den einzelnen
erzeugt;
7. aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und
Pflichten von Bundesorganen oder anderer Beteiligter, die in
dieser Verfassung oder in Geschäftsordnungen oberster Bun-
desorgane mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
8. bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten
des Bundes und der Länder, in besondere bei der Ausführung
von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der
Bundesaufsicht;
9. in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen
dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Län-
dern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer
Rechtsweg angegeben ist;
10. über Beschwerden von Trägern der Kommunalautonomie
und anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften wegen
Verletzung ihrer Rechte.
Es entscheidet ferner in den anderen ihm von der Verfassung
und vom Gesetz zugewiesenen Fällen.
Artikel 111
(1) Das Verfassungsgericht besteht aus dem Präsidenten, zwei
Vizepräsidenten und sechs Verfassungsrichtern. Sie dürfen wäh-
rend ihrer Amtszeit keinem anderen staatlichen Organ angehö-
ren.
(2) Das Verfassungsgericht bildet einen Senat und drei Kam-
mern, die die Entscheidungen des Senats vorbereiten. Die Kam-
mern können über Verfassungsbeschwerden und Richtervorla-
gen einstimmig befinden, wenn der Senat in der gleichen
Rechtsfrage schon geurteilt hat oder die Sache von geringer
Bedeutung oder die Rechtslage offensichtlich ist.
(3) Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist gebührenfrei.
Artikel 112
(1) Die Richter des Vefassungsgerichtes werden von einem
beim Präsidenten der Republik einzurichtenden Richterwahlaus-
schuß auf die Dauer von 12 Jahren gewählt. Eine Wiederwahl ist
ausgeschlossen.
(2) Der Richterwahlausschuß besteht aus
– dem Präsidenten der Republik als Vorsitzendem;
– je zwei weisungsunabhängigen, von den Länderregierungen
bestellten Bevollmächtigten sowie einer doppelten Anzahl von
Abgeordneten der Volkskammer, die nach den Grundsätzen der
Verhältniswahl bestimmt werden.
(3) Der Ausschuß entscheidet mit einer Mehrheit von zwei Drit-
teln der Stimmen seiner Mitglieder.
Artikel 113
(1) Die Rechtsstellung der Richter ist durch besonderes Gesetz
zu regeln.
(2) Die Bundesrichter werden von einem Ausschuß gewählt, der
entsprechend der Vorschrift des Artikels 112 Absatz 2, ergänzt
um den jeweiligen Fachminister, gebildet wird. Der Ausschuß
entscheidet mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder.
(3) Die Berufsrichter werden auf Lebenszeit ernannt. Sie können
gegen ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur
aus Gründen und unter den Formen, die die Gesetze bestimmen,
dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine
andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden‘. Das Ge-
setz kann eine Altersgrenze festsetzen, bei deren Erreichung
Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderungen der Ge-
richtsbezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt
oder unter Belassung des vollen Gehalts in den Ruhestand Ver-
setzt werden.
IV. Kapitel
Die Staatsfinanzen
Artikel 114
(1) Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben,
die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit
die Verfassung nichts anderes bestimmt. Gesetze des Bundes,
die Geldleistungen gewähren, müssen bestimmen, daß die
Geldleistungen vom Bund getragen werden.
(2) Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für besonders be-
deutsame Investitionen der Länder und der Träger der Kommu-
nalautonomie gewähren, die zum Ausgleich unterschiedlicher
Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen
Wachstums erforderlich sind. Finanzhilfen können auch für In-
vestitionen zur Förderung des Umweltschutzes und zur Verbes-
serung der Agrarstruktur gewährt werden. Das Nähere wird
durch Gesetz bestimmt, das der Zustimmung der Länderkam-
mer bedarf.
Artikel 115
(1) Der Bund hat die Gesetzgebung über Zölle und Steuern,
soweit sie nicht nach Satz 2 den Ländern zusteht. Die Länder
haben die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Ver-
brauchs- und Aufwandssteuern.
(2) Zölle, Steuern und sonstige Abgaben dürfen nur auf der
Grundlage gesetzlicher Vorschriften erhoben werden.
(3) Gesetze des Bundes über Steuern, deren Aufkommen den
Ländern ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung
der Länderkammer.
Artikel 116
(1) Das Aufkommen folgender Steuern steht dem Bund zu:
– die Zölle,
– die Verbrauchssteuern, soweit sie nicht nach Absatz 4 dem
Bund und den Ländern gemeinsam oder nach Absatz 3 den
Trägern der Kommunalautonomie zustehen,
– die Kapitalverkehrssteuern,
– die Versicherungssteuer.
(2) Das Aufkommen folgender Steuern steht den Ländern zu:
– die Grunderwerbssteuer,
– die Vermögenssteuer,
– die Kraftfahrzeugsteuer,
– die Erbschaftssteuer,
– die Rennwett- und Lotteriesteuern.
(3) Das Aufkommen folgender Steuern steht den Trägern der
Kommunalautonomie zu:
– die Gewerbesteuer,
– die Grundsteuer,
– die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis.
(4) Das Aufkommen der Einkommenssteuer, der Körper-
schaftsteuer und der Umsatzsteuer steht dem Bund und den
Ländern gemeinsam zu (Gemeinschaftssteuern), soweit das
Aufkommen der Einkommenssteuer nicht nach Absatz 5 den
Trägern der Kommunalautonomie zugewiesen wird. Die Anteile
von Bund und Ländern werden durch Gesetz festgelegt, das
der Zustimmung der Länderkammer bedarf. Hierbei haben
Bund und Länder im Rahmen der laufenden Einnahmen gleich-
mäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Die
Festlegung ist so vorzunehmen, daß die Einheitlichkeit der Le-
bensverhältnisse im Gebiet des Bundes weitestmöglich herge-
stellt und gewahrt wird. Werden den Ländern durch Gesetz des
Bundes zusätzliche Ausgaben auferlegt oder Einnahmen ent-
zogen, so kann die Mehrbelastung durch Gesetz des Bundes,
das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, vorüberge-
hend auch mit Finanzzuweisungen des Bundes ausgeglichen
werden.
(5) Die Träger der Kommunalautonomie erhalten einen Anteil
an dem Aufkommen der Einkommenssteuer, der sie in die La-
ge versetzt, ihre Aufgaben zu erfüllen. Der Anteil wird von den
Ländern an ihre Träger der Kommunalautonomie unter Berück-
sichtigung der unterschiedlichen Lebensverhältnisse nach
Maßgabe der Einwohnerzahl weitergeleitet. Das Nähere be-
stimmt ein Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer be-
darf.
(6) Von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemein-
schaftssteuern fließt den Trägern der Kommunalautonomie ins-
gesamt ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hun-
dertsatz zu. Die Landesgesetzgebung bestimmt im übrigen, ob
und inwieweit das Aufkommen der Landessteuern den Trägern
der Kommunalautonomie zufließt.
(7) Den Trägern der Kommunalautonomie ist das Recht einzu-
räumen, im Rahmen der Gesetze die Hebesätze der Gewerbe-
steuer und der Grundsteuer festzusetzen.
Artikel 117
(1) Das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteil am
Aufkommen der Einkommens- und der Körperschaftssteuer ste-
hen den einzelnen Ländern insofern zu, als die Steuern von den
Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden (örtliches
Aufkommen). Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länder-
kammer bedarf, können nähere Bestimmungen über die Abgren-
zung sowie über Art und Umfang der Zerlegung des örtlichen
Aufkommens getroffen werden. Der Länderanteil am Aufkom-
men der Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern nach Maß-
gabe ihrer Einwohnerzahl zu.
(2) Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer be-
darf, ist sicherzustellen, daß die unterschiedliche Finanzkraft
der Ländern angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die
Finanzkraft und der Finanzbedarf der Träger der Kommunalauto-
nomie zu berücksichtigen. Das Gesetz kann auch bestimmen,
daß der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern
Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Fi-
nanzbedarfs (Ergänzungszuweisungen) gewährt.
Artikel 118
(1) Der Bund und die Länder errichten Finanzverwaltungen.
(2) Zölle und die vom Bund geregelten Verbrauchssteuern ein-
schließlich der Einfuhrumsatzsteuer werden durch Finanzbehör-
den des Bundes verwaltet. Der Aufbau dieser Behörden wird
durch Bundesgesetz geregelt.
(3) Die übrigen Steuern werden durch die Finanzbehörden der
Länder verwaltet. Der Aufbau dieser Behörden und die einheitli-
che Ausbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes wer-
den durch Bundesgesetz geregelt, das der Zustimmung der Län-
derkammer bedarf.
(4) Das von den Finanzbehörden des Bundes anzuwendende
Verwaltungsverfahren wird durch Bundesgesetz geregelt. Das
von den Finanzbehörden der Länder anzuwendende Verfahren
wird durch Bundesgesetz geregelt, das der Zustimmung der
Länderkammer bedarf.
Artikel 119
(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbstän-
dig und voneinander unabhängig. Sie haben unter besonderer
Berücksichtigung des Zieles der Vollbeschäftigung den Erforder-
nissen der Preisstabilität, des außenwirtschaftlichen Gleichge-
wichts und eines angemessenen Wirtschaftswachstums Rech-
nung zu tragen.
(2) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung der Länderkam-
mer bedarf, können für den Bund und die Länder gemeinsam
geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für die Haushalts-
wirtschaft sowie für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt
sowie zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts die Kreditaufnahme des Bundes, der Länder und
der Träger der Kommunalautonomie sowie sonstiger öffentlicher
Haushalte beschränkt werden.
Artikel 120
(1) Der Haushaltsplan des Bundes dient der Feststellung und
Deckung des Finanzbedarfs, der zur Erfüllung der Aufgaben des
Bundes für ein Jahr erforderlich wird. Der beschlossene Haus-
haltsplan ist die verbindliche Grundlage für die Haushalts- und
Wirtschaftsführung.
(2) Der Haushaltsplan des Bundes wird vor Beginn eines Haus-
haltsjahres durch Gesetz beschlossen.
(3) Im Haushaltsplan sind alle Einnnahmen und Ausgaben des
Bundes aufzunehmen. Bei Staatsunternehmen brauchen nur die
Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden.
(4) Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszu-
gleichen.
(5) Die Gesetzesvorlage nach Absatz 2 sowie Vorlagen zur Ände-
rung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes werden
gleichzeitig mit der Zuleitung an die Länderkammer bei der
Volkskammer eingebracht; die Länderkammer ist berechtigt, in-
nerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb
von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung zu nehmen.
Artikel 121
(1) Ist bis zum Schluß des Rechnungsjahres der Haushaltsplan
für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis
zu seinem Inkrafttreten die Regierung ermächtigt, alle Ausga-
ben zu leisten, die nötig sind,
a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und ge-
setzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen zu erfüllen,
c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzu-
setzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren,
sofern durch den Haushaltsplan des Vorjahres bereits Beträ-
ge bewilligtworden sind.
(2) Soweit nicht auf besonderem Gesetz beruhende Einnahmen
aus Steuern und sonstigen Abgaben die Ausgaben unter Absatz
1 decken, darf die Regierung die zur Aufrechterhaltung der Wirt-
schaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels
der Kreditaufnahme des abgelaufenen Haushaltsjahres im We-
ge des Kredits flüssig machen.
Artikel 122
Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der
Zustimmung des Ministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle
eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses er-
teilt werden. Über- und außerplanmäßige Ausgaben sollen durch
Einsparungen bei anderen Ausgaben des Haushaltsplanes des
Bundes ausgeglichen werden. Einzelheiten können durch Bun-
desgesetz bestimmt werden.
Artikel 123
Gesetze, welche die von der Regierung vorgeschlagenen Ausga-
ben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Aufgaben in sich
schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der
Zustimmung der Regierung. Das gleiche gilt für Gesetze, die
Einnahmenminderungen in sich schließen oder für die Zukunft
mit sich bringen.
Artikel 124
(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürg-
schaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu
Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedür-
fen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Er-
mächtigung durch Bundesgesetz.
(2) Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haus-
haltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht über-
schreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Stö-
rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
(3) Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.
Artikel 125
(1) Der Minister der Finanzen hat der Volkskammer im Laufe des
nächsten Jahres über alle Haushaltseinnahmen eines Rech-
nungsjahres sowie über ihre Verwendung und die Schulden des
Bundes zur Entlastung der Regierung Rechenschaft zu legen.
Der Rechnung ist ein Vermögensnachweis beizufügen.
(2) Die Prüfung der Haushaltsrechnung sowie der Wirtschaftlich-
keit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
rung erfolgt durch den Rechnungshof des Bundes. Seine Mit-
glieder besitzen richterliche Unabhängigkeit. Artikel 65 Absatz 2
Satz 2 findet entsprechende Anwendung. Er hat der Regierung,
der Volkskammer und der Länderkarnmer jährlich über die Er-
gebnisse seiner Tätigkeit zu berichten.
(3) Die Mitglieder des Rechnungshofes werden durch einen
beim Präsidenten der Republik einzurichtenden Wahlausschuß
gewählt. Diesem Ausschuß gehören an:
1. der Präsident als Vorsitzender;
2. der Präsident der Volkskammer;
3. die Mitglieder des Finanzausschusses der Volkskam-
mer;
4. der Finanzminister;
5. die Finanzminister der Länder.
V. Kapitel
Übergangs- und Schlußbestimmungen
Artikel 126
(1) Nach Inkraftsetzung dieser Verfassung werden die Gesetze
ausschließlich von den in dieser Verfassung vorgesehenen ge-
setzgebenden Körperschaften des Bundes und der Länder be-
schlossen.
(2) Als Bundesrecht gilt dasjenige Recht der Deutschen Demo-
kratischen Republik fort, dessen Gegenstände nicht in der aus-
schließlichen Gesetzgebungsbefugnis der Länder liegen.
(3) Als Landesrecht gilt dasjenige Recht der Deutschen Demo-
kratischen Republik fort, dessen Gegenstände zur ausschließli-
chen Gesetzgebungsbefugnis der Länder gehören. Für eine Dau-
er von vier Jahren vom Inkrafttreten dieser Verfassung an kön-
nen die Länder dieses Landesrecht nur gemeinsam und mit
Zustimmung der Länderkammer ändern, ergänzen oder aufhe-
ben. Bis zum ersten Zusammentritt der Länderkammer kann die
Volkskammer als Landesrecht fortgeltende Rechtsvorschriften
ändern, ergänzen oder außer Kraft setzen.
Artikel 127
(1) Recht der Deutschen Demokratischen Republik gilt nach
Maßgabe dieses Artikels fort, soweit es dieser Verfassung nicht
widerspricht.
(2) Die Rechte gemäß den Artikeln 8 Absatz 2, 21 Absatz 4, 23
Absatz 3, 26 und 27 Absatz 3 Satz 4 bestehen bis zur Anpassung
des geltenden Rechts an diese Verfassung nur in dem zum
Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bestehenden Umfang; die Anpas-
sung muß spätestens am 31. Dezember 1990 vollzogen sein.
(3) Anlagen, die entgegen den Bestimmungen des Artikels 33
Absätze 2 und 3 Gefährdungen oder Beeinträchtigungen der
natürlichen Umwelt verursachen, können für fünf Jahre vom In-
krafttreten dieser Verfassung an weiter betrieben werden, so-
weit sie das Maß der am 31. März 1990 von ihnen verursachten
Emissionen nicht überschreiten und unverzüglich wirksame
Maßnahmen zu deren schrittweiser Verminderung auf die von
dieser Verfassung erlaubten Grenzwerte ergriffen werden. Die
Bestimmungen des Artikels 33 Absatz 4 gelten für Altlasten nur
nach Maßgabe des Gesetzes.
Artikel 128
Die in den Artikeln 21 Absatz 3 Satz 3 und 113 Absatz 1 erteilten
Gesetzgebungsaufträge sind vom Bund und von den Ländern bis
zum 31. Dezember 1990 zu erfüllen. Richter, die vor Inkrafttre-
ten dieser Verfassung gewählt worden sind, bleiben bis zur
Wirksamkeit des in Artikel 113 Absatz 1 genannten Gesetzes im
Amt.
Artikel 129
(1) Mit dem Inkrafttreten dieser Verfassung sind die in Artikel 41
Absatz 1 genannten Länder errichtet.
(2) Die Volkskammer hat unverzüglich ein Gesetz zu verabschie-
den, welches die Ländergrenzen festlegt und vorläufige Rege-
lungen über die Einrichtungen von Länderverwaltungen sowie
von Regelungen für die Konstituierung der obersten Staatsorga-
ne der Länder enthält (Ländererrichtungsgesetz). Dieses Gesetz
bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der Volks-
kammer.
Artikel 130
Anspruch auf bevorrechtigte Einbürgerung haben diejenigen, die
oder deren Vorfahren aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Ras-
se oder Religion in der Zeitvom 30. Januar 1933 bis zum 9. Mai
1945 verfolgt oder von Verfolgung bedroht wurden, wenn sie
oder ihre Abkömmlinge erneut Diskriminierungen aufgrund ihrer
Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt sind.
Artikel 131
(1) Die Bodenreform und die Eigentumsentziehungen, die durch
Artikel 24 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Repu-
blik vom 7. Oktober 1949 bestätigt worden sind, sind unantast-
bar
(2) Enteignungen und sonstige Formen der Eigentumsentzie-
hung, die zum Zeitpunkt ihres Vollzugs in Obereinstimmung mit
dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik erfolgten,
bleiben unbeschadet formeller Unrichtigkeiten von Grundbü-
chern, Katastern und anderer öffentlicher Register wirksam. Das
gleiche gilt für vermögenswerte Rechte, die Bürger nach dem
Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik zurückge-
lassen haben und die in Übereinstimmung mit dem jeweils gel-
tenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik endgül-
tig auf Dritte übertragen worden sind oder von Dritten genutzt
werden. Nutzungen an derartigen vermögenswerten Rechten
sind zu schützen. Die Nutzer haben Anspruch auf Eigentumser-
werb nach den am 31. Dezember 1989 geltenden Rechtsvor-
schriften über die Bewertung, soweit das Eigentum in der Hand
eines Trägers öffentlicher Gewalt ist. Soweit davon Wohnungen,
Wohngrundstücke und für Erholungszwecke genutzte Grundstük-
ke betroffen sind, haben dieses Recht die persönlichen Nutzer.
(3) Eigentum, das unter Verletzung des jeweils geltenden
Rechts der Deutschen Demokratischen Republik entzogen wor-
den ist, ist auf Antrag an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzu-
erstatten, soweit es sich noch in der Verfügung eines Trägers
öffentlicher Gewalt befindet. Dies gilt nicht für Wohnungen und
Wohngrundstücke sowie für Erholungszwecke genutzte Grund-
stücke. Es gilt auch nicht für Eigentum, das in die Verfügung von
Genossenschaften und volkseigenen Unternehmen übergegan-
gen ist.
(4) Ist eine Rückerstattung nach Absatz 3 ausgeschlossen, blei-
ben die inzwischen erfolgten Verfügungen wirksam. Die Rechts-
stellung der Nutzer bestimmt sich nach Absatz 2 Sätze 3 bis 5.
Nutzungen sind auch dann zu schützen, wenn eine Rückerstat-
tung nach Absatz 3 stattfindet. Den früheren Eigentümern ist
eine Entschädigung zu zahlen. Die Entschädigung ist auf ge-
setzlicher Grundlage unter gerechter Abwägung der Interessen
der Allgemeinheit und der Beteiligten auf der Grundlage des im
Zeitpunkt des Verlassens der Deutschen Demokratischen Repu-
blik geltenden Bewertungsgesetzes zu bestimmen; dabei sind
der Zeitpunkt und die besonderen persönlichen Umstände, die
zum Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik führten,
zu berücksichtigen. Die Entschädigung kann in Raten gezahlt
werden. Bei Lastenausgleichszahlungen im Hinblick auf den
Vermögensverlust ist die Entschädigung ausgeschlossen. In ge-
eigneten Fällen ist ein einverständlicher Interessenausgleich
zwischen den Beteiligten zu fördern, der an die Stelle von Ent-
schädigungsleistungen tritt.
(5) Die vollen Eigentumsrechte an beweglichen Sachen, die
nach den bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Rechtsvor-
schriften in der treuhänderischen Verwaltung des Staates oder
eines sonstigen Treuhänders standen, sind auf Antrag der Be-
rechtigten wiederherzustellen; soweit der Treuhänder darüber
verfügt hat, sind die Erlöse auszuhändigen. Das gilt nicht für
bewegliche Sachen, die von volkseigenen Betrieben oder Ge-
nossenschaften genutzt werden.
(6) Soweit das Eigentum an treuhänderisch verwaltetem unbe-
weglichem Vermögen nicht gemäß den nachfolgenden Vorschrif-
ten auf neue Rechtsträger übergeht, sind die vollen Eigentums-
rechte der Berechtigten auf deren Antrag wiederherzustellen.
Das Eigentum an treuhänderisch verwalteten Wohnungen,
Wohngrundstücken und für Erholungszwecke genutzten Grund-
stücken geht auf die Träger der Kommunalautnonomie über, in
deren Gebiet sie gelegen sind. Für die persönlichen Nutzer
gelten die Vorschriften des Absatzes 2 Sätze 3 und 4. Das
Eigentum an treuhänderisch verwaltetem unbeweglichem Ge-
nossenschaftsvermögen geht auf die nutzende Genossenschaft
über. Das Eigentum an treuhänderisch verwaltetem unbewegli-
chem Betriebsvermögen geht auf den Treuhänder über. Es ist
auf die nutzenden Betriebe zu übertragen, sobald sie die
Rechtsform eines selbständigen Unternehmens annehmen. Das
Eigentum an diesen Unternehmen steht dem Land zu, in dem sie
ihren Sitz haben. Die Vorschriften des Absatzes 4 Sätze 4 bis 8
finden Anwendung.
Artikel 132
(1) Wird die Einheit durch einen Beitritt zur Bundesrepublik
Deutschland verwirklicht, so sind die Voraussetzungen, unter
denen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für das
gegenwärtige Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Re-
publik in Kraft gesetzt wird, durch Vereinbarung zu regeln. Die
Erfüllung der völkerrechtlichen und außenwirtschaftlichen Ver-
pflichtungen der Deutschen Demokratischen Republik muß si-
chergestellt sein.
(2) Die Vereinbarung bedarf zu‘ ihrer Wirksamkeit der Zustim-
mung von zwei Dritteln der Mitglieder der Volkskammer und der
Bestätigung in einem Volksentscheid.
(3) Diese Vereinbarung soll Regelungen über die beschleunigte
Angleichung der Wirtschaftskraft der auf dem gegenwärtigen
Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik gelege-
nen Landesteile und der Lebensverhältnisse ihrer Bewohner an
die im jetzigen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beste-
henden Verhältnisse enthalten. Zur Verwirklichung des Rechts
der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik auf Beteili-
gung an der demokratischen Selbstbestimmung des deutschen
Volkes ist auf das Zusammentreten einer gesamtdeutschen ver-
fassungsgebenden Versammlung hinzuwirken.
(4) Die Vereinbarung soll ferner vorsehen, daß die in dieser
Verfassung garantierten Menschen- und Bürgerrechte auf dem
gegenwärtigen Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen
Republik auch dann fortgelten, wenn sie Rechte begründen, die
im Grundgesetz nicht enthalten sind. Dies gilt auch für die
unmittelbare Bindung Dritter an diese Rechte. Sie sollen als
Landesverfassungsrecht fortgelten; die Geltung des Artikels 31
des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland soll in-
soweit ausgeschlossen sein. Die Vereinbarung soll vorsehen,
daß Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Repu-
blik, die mit den vorgenannten Rechten vereinbar sind, nicht
aber mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland,
abweichend von Artikel 31 des Grundgesetzes für die Bundesre-
publik Deutschland, als Landesrecht auf dem gegenwärtigen
Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik fortgel-
ten. Änderungen des nach diesem Absatz fortgeltenden Rechts
bedürfen der Zustimmung aller auf dem gegenwärtigen Hoheits-
gebiet der Deutschen Demokratischen Republik eingerichteten
Länder.
Artikel 133
Bis zur Wahl des Präsidenten der Republik gemäß Artikel 85
nimmt der Präsident der Volkskammer dessen Aufgaben und
Befugnisse wahr.
Artikel 134
Am Tage des Inkrafttretens dieser Verfassung verliert die Verfas-
sung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April
1968 in der zuletzt geänderten Fassung vom 5. April 1990 ihre
Gültigkeit.
Artikel 135
(1) Diese Verfassung bedarf zu ihrer Annahme eines Beschlus-
ses der Volkskammer mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer
Mitglieder und einer Bestätigung durch Volksentscheid. Sie
kann als vorläufiges Grundgesetz durch einen Beschluß der
Volkskammer mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder
in Kraft gesetzt werden.
(2) Die Verfassung wird vom Präsidenten der Volkskammer aus-
gefertigt und im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen
Republik verkündet.
Artikel 136
Diese Verfassung verliert ihre Gültigkeit an dem Tage, an dem
eine Verfassung in Kraft tritt, die von einer gesamtdeutschen
verfassungsgebenden Versammlung beschlossen und durch ei-
nen Volksentscheid bestätigt worden ist, oder an dem Tage, an
dem sie nach Eintritt der Voraussetzungen des Artikels 132
außer Kraft gesetzt wird.
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Anhang
Erklärung des Runden Tisches vom 7. Dezember 1989
1. Die Teilnehmer des Runden Tisches stimmen überein, sofort
mit der Erarbeitung des Entwurfes einer neuen Verfassung zu
beginnen.
2. Sie berufen dafür eine paritätisch zusammengesetzte Arbeits-
gruppe, die umgehend mit der Arbeit beginnt und nach Notwen-
digkeit weitere Bürger und Bürgerinnen einbezieht.
3. Die Teilnehmer des Runden Tisches haben Übereinstimmung
darüber, daß die Bestätigung dieser neuen Verfassung nach
Neuwahlen vor Volkskammer in einem Volksentscheid 1990
erfolgt.
4. Die für die Durchführung der Neuwahlen erforderlichen Verfas-
sungsänderungen sind unverzüglich zu erarbeiten.
5. Die Teilnehmer des Runden Tisches nehmen das Angebot zur
Mitwirkung an einem entsprechenden Volkskammerausschuß
zur Kenntnis und bestimmen eigenständig ihre Mitarbeit.
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Beschluß des Runden Tisches vom 12. März 1990
Zur Arbeit an einer neuen Verfassung:
1. Die vorgelegten und in Arbeit befindlichen Teile des Entwurfs
der neuen Verfassung der DDR sollen von der Arbeitsgruppe zu
einem Gesamtentwurf bearbeitet werden.
2. Der Runde Tisch beauftragt die Arbeitsgruppe, diesen Verfas-
sungsentwurf im April 1990 der Öffentlichkeit zur Diskussion zu
übergeben.
3. Der Runde Tisch empfiehlt der neugewählten Volkskammer, die
Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ dann in die Tätigkeit
des zu bildenden Verfassungsausschusses einzubeziehen,
wenn er die Ergebnisse der öffentlichen Verfassungsdiskus-
sion auswertet.
4. Der Runde Tisch schlägt der neugewählten Volkskammer vor,
für den 17. Juni 1990 einen Volksentscheid über die Verfas-
sung der DDR und ein Ländereinrichtungsgesetz auszuschrei-
ben.
5. Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches ist in die Debat-
te um eine neue gesamtdeutsche Verfassung einzubeziehen,
wie dies auch in der Präambel und im Artikel 146 des Grund-
gesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vorgesehen ist.
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Brief an die Abgeordneten der Volkskammer vom 4. April 1990
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
die Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Ti-
sches hat in ihrer Plenarsitzung am 4. April 1990 einen Gesamt-
entwurf der Verfassung der DDR einstimmig verabschiedet. Der
Entwurf hat damit die Zustimmung der Repräsentanten all jener
Parteien und Vereinigungen gefunden, die den Runden Tisch
bildeten und die in der neu gewählten Volkskammer eine verfas-
sunggebende Mehrheit besitzen.
Der Runde Tisch hat uns durch seinen Beschluß vom 12. März
1990 beauftragt, den Entwurf der Öffentlichkeit zu übergeben.
Wir übergeben Ihnen, sehr geehrte Abgeordnete, den Gesamt-
entwurf der Verfassung mit der Bitte, sich dafür einzusetzen,
daß die Volkskammer der Inkraftsetzung dieses Verfassungsent-
wurfs der Beschlußfassung über verfassungsändernde Einzelge-
setze den Vorzug gibt. Wir sind überzeugt, daß wir für die Proble-
me, denen sich unser Land gegenübersieht, sachgerechte und
am Standard modernen Verfassungsdenkens orientierte Verfas-
sungsregelungen gefunden haben. Wir möchten unterstreichen,
daß der Entwurf eine in sich zusammenhängende und aufeinan-
der abgestimmte Regelung darstellt, die für Aufbau und Arbeits-
weise eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates und für
die Sicherheit seiner Bürger erforderlich ist. Wir glauben, daß
die Verabschiedung dieses Verfassungsentwurfs der weiteren
Entwicklung unseres Landes auf dem Weg zur deutschen Einheit
und insbesondere auch dem Wirken der Volkskammer eine gute
Grundlage geben würde.
Die Arbeitsgruppe erklärt sich bereit und bittet darum, an der
Arbeit des Verfassungsausschusses der Volkskammer beratend
mitzuwirken.
Berlin-Niederschönhausen, 4.4.1990
Mit vorzüglicher Hochachtung
Mitglieder der Arbeitsgruppe
„Neue Verfassung der DDR“
Anlagen:
Unterschriften
Verfassungsentwurf
Mitglieder der Arbeits- und Expertengruppe
Der Arbeitsgruppe des Runden Tisches „Neue Verfassung der
DDR“ gehörten, zum Teil abwechselnd, an:
Herbert Blahnik, DBD; Ministerin Tatjana Böhm, Unabhängiger
Frauenverband; Klaus Emmerich, FDGB (Sekretär der AG); Erich
Fischer, SPD; Tatjana Forner, Unabhängiger Frauenverband;
Bernd Gehrke, Vereinigte Linke; Erwin Gehrt, Bund Freier Demo-
kraten; Karl-Friedrich Gruel, PDS; Reinhard Gruhl, Demokratie
Jetzt; Rainer Hannemann, Demokratischer Aufbruch; Bernhard
Hellner, CDU; Witho Holland, Bund Freier Demokraten; Rainer
Huhle, Bauernverband e.V. der DDR; Elfgard Künstler, Bund
Freier Demokraten; Mareile Löber, Grüne Liga; Dietrich Meltzer,
CDU; Erich Pannach, Domoewina; Minister Gerd Poppe, Initiative
Frieden und Menschenrechte; Gerd Quilitzsch, FDGB; Peter
Schindler, Bauernverband e.V. der DDR; Gert Schoppa, Bauern-
verband e.V. der DDR; Richard Schröder, SPD; Werner Schulz,
Neues Forum; Kerstin Spyrka, DBD; Gudrun Stecklina, Demokra-
tie Jetzt; Wolfgang Templin, Initiative Frieden und Menschen-
rechte; Minister Wolfgang Ullmann, Demokratie Jetzt; Gerhard
Weigt, Demokratie Jetzt; Christine Weiske, Grüne Partei; Klaus
Wolfram, Neues Forum; Vera Wollenberger, Grüne Partei;
Expertengruppe:
Dr. sc. Tatjana Ansbach, Berlin; Prof. Dr. Axel Azzola, Darm-
stadt; Prof. Dr. Alexander von Brünneck, Hannover; Prof. Dr. sc.
Bernhard Graefrath, Berlin; Dr. Bernd Hohmann, Berlin; Dr. Peter
Müller, Oberkirchenratspräsident, Schwerin; Prof. Dr. Ulrich K.
Preuß, Bremen; Dr. Gerd Quilitzsch, Berlin; Prof. Dr. Bernhard
Schlink, Bonn; Prof. Dr. Karl-Heinz Schöneburg, Berlin;
Dr. Dr. h. c. Helmut Simon, Bundesverfassungsrichter a.D.,
Karlsruhe; Doz. Dr. Fritz Tech, Berlin; Doz. Dr. sc. Hans-Jürgen
Will, Berlin; Prof. Dr. sc. Rosemarie Will, Berlin
Redaktionsgruppe:
Dr. K. Emmerich (Sekretär); Dr sc. E. Fischer; Dr. sc. K.-F Gru-
el; R. Gruhl; Doz. Dipl.-Staatswiss. B. Hellner; Dr. D. Meltzer;
Dr. P Müller; Dr. G. Weigt; Dr. H. J. Will; Prof. Dr. R. Will; K.
Wolfram
Die Präambel wurde von der Schriftstellerin Christa Wolf verfaßt.
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