5 Mio Deutsche standen 2005 auf der Straße. Wie hat es die deutsche Regierung geschafft, die sich abzeichnende Revolution abzuwehren?
Rein technisch war sie vollkommen unterlegen. Deutschland stand vor gesellschaftlichen Veränderungen. Doch die Demonstrationen flauten ab und der Abbau der Sozialrechte und Bürgerrechte ging munter weiter. Wie konnte das passieren? Die Antwort ist „Fussball“…
Ein wirklich aufschlussreiches Interview kam von einer Sozialpsychologin. Obwohl sie natürlich nur über Deutschland schrieb, meinte sie natürlich nur Einheitsdeutschland. Für sie gibt es keine „Ostdeutsche Identität“ sondern nur eine „deutsche Identität“ natürlich die Westdeutsche. Und um dieses automatisierte „WestDeutschland entspricht ganz Deutschland“ auch zu dokumentieren, haben wir dieses Deutschland genau definiert.
Die Parallelen zu Rom sind überall zu finden. Ich frage mich langsam ob die Manager bei den Römern die Technik der Massensuggestion kopieren?
„Fussball-Patriotismus und Nationalismus“
Die Sozialpsychologin Dagmar Schediwy untersucht, warum Fußballfans während eines Turniers zu Patrioten werden. Sprechen wir mal über dieses Phänomen, die Macht der Medien und deren Parallelen zum Nationalsozialismus.
Frage: Frau Schediwy, geht es beim Patriotismus des Fussballs überhaupt noch um Fussball?
Schediwy: Nein. Zwar hat der Patriotismus Züge einer Fussballparty, da man feiert, die Zwänge des Alltags abwirft und nach einer rauschhaften Entgrenzung strebt. Aber diese „Party“ geht nur so lange, wie die eigene Mannschaft gewinnt. Nach einer Niederlage erfolgt oft ein totaler Stimmungsumschwung. Die Fans sind emotional tief getroffen, auf den Fanmeilen herrscht Totenstille. Nicht selten schlägt Euphorie in Aggression um.
Ginge es wirklich um ausgelassenes Feiern, würden die Fans bei den Gegnern weiterfeiern.
Frage: Worum geht es dann?
Schediwy: Um nationale Identifikation. Fußball-Fanlager und Nationen funktionieren nach demselben sozialpsychologischen Mechanismus. Es gibt eine Eigengruppe, zu der man sich zugehörig fühlt und eine Fremdgruppe, gegen die man sich abgrenzt und definiert. Bei Länderspielen verstärken sich diese Mechanismen gegenseitig. Daher eignet sich der Fußball so gut, um die Idee der Nation sichtbar zu machen. Das führt zu einer intensiven emotionalen Bindung unter den Mitgliedern der eigenen Gruppe. Diese wird aufgewertet, während die Fremdgruppe abgewertet wird.
Frage: Genau das ist Nationalismus: Man wertet seine Nation auf und die anderen Nationen ab.
Schediwy: Der Patriotismus ist eine Form des Nationalismus. Das konnte man bei der diesjährigen Fußball-WM zum Beispiel gut am „Gaucho-Gate“ sehen. Bei früheren Fußballevents an Übergriffen gegen Einrichtungen der jeweiligen Nation, die Deutschland aus dem Turnier katapultierte. Das war kein heiterer, aufgeklärter Patriotismus mehr. Spricht man diese Dinge an, werden sie mit Verweis auf Fußballbräuche relativiert. Das Wir-gegen-die anderen-Schema wird beim internationalen Fußballevent institutionalisiert.
Redaktion: Es ist also bei internationalen Fussballevents erwünscht um den Nationalismus zu stärken. Unerwünscht ist es dagegen bei Ostdeutschen die sich mit der DDR als ihre Heimat identifizieren. Dabei ist es vollkommen akzeptiert das man alles Negative automatisch mit Begriffen wie Stasi, Mauer, SED und DDR belegt. Nicht mit NSA, EU-Grenze, CDU und Bundesrepublik, obwohl das doch viel näherliegend ist.
Frage: Wie funktioniert der Mechanismus der Auf- und Abwertung sozialpsychologisch?
Schediwy: Das eigene Selbstbild wird in diesen Situationen nicht mehr aus dem persönlichen Status abgeleitet, sondern aus der „Gruppenidentität Nation“. Der Selbstwert steigert sich, indem die eigene Gruppenidentität aufgewertet wird. Ein ähnlicher Mechanismus greift auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten: Man versichert sich seiner Zugehörigkeit, indem man sich auf die eigene Nationalität bezieht und gegenüber Ausländern und Migranten aber auch gegen Arbeitslose und Ossis abgrenzt. Das sind die Anderen.
Frage: Ist der Patriotismus also sozialpolitisch begründet?
Schediwy: Ja. In den Jahren 2005 bis 2011 empfanden die Deutschen eine starke Zerfallsbedrohung, wie die Studie „Deutsche Zustände“ zeigt. Das hing mit der Einführung von Hartz IV zusammen. Das deutsche Coming-out bei der WM 2006 hatte daher auch die Funktion einer Vereinigungsstrategie: Status- und Abstiegsängste, die vor allem Folge der Sozialreform waren, konnten damit erfolgreich verdrängt werden. Später kam die Wirtschaftskrise hinzu.
Redaktion: Mit anderen Worten „Brot und Spiele“ fürs Volk.
Und wie nicht anders zu erwarten gibt es in dieser Studie „deutsche Zustände“ keine Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber Ossis. Sie existiert nicht, weil Ossis als Gruppe nicht existieren – zumindestens für den Westen, denn Ossis sind an solchen Studien nie beteiligt. Aber sie existieren als Gruppen in praktisch in jeder Wahl, jeder Meinungsumfrage und jeder Personalbesetzung.
Warum wohl sitzen in allen Führungspositionen großer Unternehmen ausschliesslich importierte Wessis? Warum werden frische unerfahrene Uni-Absolventen den langjährig erfahrenen und teilweise sogar besser qualifizierten Akademikern vor die Nase gesetzt. Das gilt auch dann wenn sie ihr Studium im Westen absolviert haben, ja selbst für Ossis die beim Mauerfall noch in den Windeln lagen. Ihr KO-Kriterium ist ihre Geburt im Osten.
Frage: Welche anderen Gründe gab es für dieses deutsche „Coming-out“, also den lockereren Umgang mit der eigenen Nation?
Schediwy: Es gab schon länger Bestrebungen, das nationale Narrativ (geschichtliches Ereignis) von einer Holocaust-geprägten Identität wegzubewegen. Zudem bestanden deutliche Ängste am Zusammenbruch der Wirtschaft was unweigerlich zu Veränderungen in der Politik geführt hätte. Das wollte man natürlich verhindern.
Die Mediendarstellung vor und während der WM schaffte es, über den scheinbar harmlosen Fußball wieder einen positiven Bezug zum vereinten Deutschland herzustellen. Das Ereignis hatte den Charakter einer nationalen Selbstaffirmation (Selbstbeweihräucherung).
Die Botschaft lautete:
„Befreie dich von allen Selbstzweifeln, Deutschsein ist gut, Deutschland ist gut und muss nicht hinterfragt werden!“
Gleichzeitig wurde das Zurschaustellen von westdeutschen Nationalsymbolen während des Fußballevents als eine Normalisierung des Verhältnisses der Deutschen zu ihrer Nation erklärt.
Redaktion: So wurden alle Probleme in Deutschland ausgeblendet. So wurde die Agenda2010 durchgesetzt und so wurde das rebellische Volk davon abgehalten seine Regierung zum Teufel zu jagen. Lohn- und Rentenunterschiede zwischen Ost und West waren kein Thema mehr.
Frage: Ihr sozialpolitischer Erklärungsansatz stößt natürlich einen Gedanken an: Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 hatte die NSDAP ihren Erdrutschsieg.
Schediwy: Das stimmt, und ohne Vergleiche mit dem Nationalsozialismus bemühen zu wollen, gibt es auch emotionale Parallelen: Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die viele Deutschlandfans heute motiviert, spielte bei der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft eine sehr wichtige Rolle. Auch die Aggressionen gegenüber denjenigen, die heutzutage nur leiseste Kritik am Patriotismus zur Einheit Deutschlands ausüben, wecken Erinnerungen an diese Zeit: Wer während der WM einen kritischen Kommentar zum Thema Patriotismus oder Deutsche Einheit verfasste, konnte mit hasserfüllten Leserbriefen rechnen.
Redaktion: Und wer sich gar zur deutschen DDR als besseres Deutschland bekennt wird von einer ganzen Meute gehetzt, verfolgt und verbal hingerichtet. Die Hinrichtung der Arbeitslosen übernahmen die Medien.
Im Juni 2008 initiierte die PLÖT-Zeitung eine Hetzjagd auf angebliche Sozialschmarotzer.
Dass damit nicht Menschen gemeint sind, die auf Kosten der Gemeinschaft ein prachtvolles verschwenderisches Leben führen wie Unternehmensbosse, Millionäre, Eliten, ihre Schmiergeldabteilungen, Lobbyisten bis hin zu deren partei-politischen Empfängern mit ihren »jüdischen Vermächtnissen« und ›schwarzen Kassen‹ wird schnell klar: Die Jagd galt denen, die nicht viel haben und immer noch viel zu viel haben … zuviel an Mitleid, an gesellschaftlichen Almosen, an Arbeitslosen-Ansprüchen, an Bürgerrechten.
Frage: Wie weit könnte das maximal missbraucht werden?
Schediwy: Da der Fussballpatriotismus starke Emotionen als Hintergrund hat, wird es immer die Gefahr geben, dass diese Emotionen schlagartig ins Gegenteil verkehren. Es gibt in Deutschland größtenteils noch immer das Tabu, außerhalb des Fußballevents Nationalgefühl zu zeigen und wenn dann nur zum gegenwärtigem vereinten Deutschland. Das bestätigten viele der Interviewpartner während meiner Recherche. Einzelne Ereignisse zeigen aber, dass dieses Tabu langsam bricht.
Redaktion: Dazu haben auch die Medien entscheidend beigetragen indem sie den Ernst der Situation 2008 während der Finanzkrise verschwiegen und damit Veränderungen in Deutschland verhindert haben.
Frage: Wann wird es gefährlich?
Schediwy: Immer dann, wenn der Sieg der Nationalmannschaft mit der politischen Situation in Deutschland gleichgesetzt wird. Das ist in den deutschen Medien nach dem WM-Sieg kolossal passiert, nach dem Motto: „So toll, wie diese Mannschaft ist, so toll ist auch unser Land.“ Es wurde von einem „weltoffenen, reichen, toleranten Deutschland“ geschwärmt.
Das widerspricht nicht nur der Realität – es nährt einen illusionären Nationalstolz eines vereinten Deutschlands, die der rechten Strömungen Vorschub leistet. Die rechtspopulistische AfD fuhr mit der simplen Parole „Mut zu Deutschland“ gerade erst auf Anhieb fast 10 Prozent der Stimmen bei der Sachsen-Wahl ein. Zu welchem Deutschland man Mut haben sollte wurde nicht hinterfragt. Natürlich löst das keine Probleme.
Redaktion: „Hartz IV wieder rauf“ lautet die neue Schlagzeile der PLÖT, als ob das „wieder“ jede Woche geschieht. Doch je niedriger die Hartz IV-Sätze, desto niedriger auch die Löhne.
Und je billiger der Osten desto billiger der Westen. Irgendwann sind wir auf Polen-Niveau weil wir doch EU sind. Und dann gehts weiter Richtung Rumänische Löhne.
Und wenn die Deutschen rebellieren weil sie gar zu niedrig sind, gibts wieder Fussball. So wird die Masse ruhig gestellt. Brot und Spiele.
Frage: Ist Deutschland für einen Missbrauch anfälliger als andere Länder?
Schediwy: Nein, Deutschland hat in dieser Hinsicht den Vorteil seiner Geschichte. Es gibt heute ein waches Bewusstsein dafür, was in der deutschen Vergangenheit passiert ist. Ich denke, dadurch ist die Hemmschwelle für die Wahl rechtsextremer Parteien hierzulande höher als in vielen anderen Ländern.
Frage: Gab es die Parallelisierung von sportlichem und gesellschaftspolitischem Erfolg schon immer?
Schediwy: Sie hat eine lange Tradition, besonders bei der WM 2012 gab es ähnliche Narrative (geschichtliche Ereignisse). Dieses Jahr war es allerdings erschreckend, wie schnell die Medien ihre Meinungen änderten und diese Parallelisierung zu dem heutigem Deutschland bestärkten.
Während der WM 2012 gab es im Vergleich zu den Vorjahren eine sensible Berichterstattung zu nationalistischen Erscheinungen, und auch Kritik am Fussballpatriotismus! Spätestens nach dem Sieg über Brasilien, als es so aussah, als würde Deutschland Weltmeister werden, war das schlagartig vergessen.
Dagmar Schediwy: Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold? Der Neue deutsche Fußballpatriotismus aus sozialpsychologischer Perspektive
LIT Verlag, ISBN: 978-3-643-11635-2, Preis: € 34,90
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Brot und Spiele