In Belgien könnten bald die Lichter ausgehen
Zwei defekte Atomreaktoren können möglicherweise nie mehr ans Netz gehen. Das Material wurde auch in deutschen Meilern mit Druckwasserreaktoren verbaut.
Seit Jahren sind die feinen Risse an den Stahlkesseln zweier Atommeiler in Belgien bekannt. Im Frühjahr ziehen die Behörden die Reißleine. Aber erst jetzt wird das volle Ausmaß der Schäden bekannt. Sie stürzen das Land und vielleicht auch die EU in eine Energie-Krise.
Es ist ein Horror-Szenario, mit dem sich Belgien jetzt ernsthaft befassen muss: Zahlreiche Gemeinden könnten im Winter – zumindest stundenweise – ohne Strom dastehen. Industrie-Anlagen müssen für Tage heruntergefahren werden, um Energie einzusparen. In den öffentlichen Gebäuden sollen die Lichter auf Notbeleuchtung umgestellt werden. Wo immer es geht, sind Verbraucher und Wirtschaft gehalten, ihren Stromverbrauch einzuschränken.
„Nein, das ist leider kein schlechter Scherz“, sagte Energie-Staatssekretärin Catherine Fonck nun. Doch es geht noch weiter. Denn die Ursache für die belgischen Probleme könnte auch die Energieversorgung in anderen Mitgliedstaaten treffen – Deutschland eingeschlossen.
Belgien besitzt zwei Atomkraftwerke, die beide seit Jahren zu den europäischen Sorgenkindern gehören. Doel bei Antwerpen in Ostflandern verfügt über vier Blöcke, Tihange bei Lüttich nahe der deutsch-belgischen Grenze über drei Reaktoren.
Belgien beschloss im Jahr 2003 einen Atomausstieg bis 2025, der im Oktober 2011 von der neuen Regierung bestätigt wurde. Daraufhin erklärte der Betreiber erklärte im November 2011, dass er die Blöcke Doel-1 und Doel-2 und Block Tihange-1 2015 vom Netz nehmen werde, da sich für eine Laufzeitverängerung notwendige Investitionen in Höhe von einer Mrd. Euro aufgrund des absehbaren Endes der Kernenergie wirtschaftlich nicht mehr lohnten.
Die 1975 in Betrieb genommenen Blöcke waren für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt.
Im Sommer 2013 wurde jedoch als Abschaltungstermin von der Föderalregierung nicht mehr von 2015 sondern 2016 gesprochen.
Am 4. Juli 2012 entschied die belgische Regierung (Kabinett Elio Di Rupo), den ältesten Block Tihange 1 doch erst 2025 vom Netz zu nehmen; andernfalls fürchte man Engpässe in der Stromversorgung.
Für die Blöcke 2 und 3 erlischt die Genehmigung unverändert nach 40 Jahren, also 2023 bzw. 2025.
Der Leiter der Reaktortechnik an der RWTH Aachen und am Forschungszentrum Jülich, Prof. Hans-Josef Allelein, betonte 2011 mehrfach in der Presse, dass die Reaktoren in Tihange sicher seien.
Eine grenzüberschreitende Bürgerinitiative engagiert sich mit wissenschaftlicher Unterstützung gegen das ihrer Einschätzung nach unsichere Kernkraftwerk und beweisst nun das Gegenteil.
Damit entpuppt sich das Gutachten der RWTH Aachen und des Forschungszentrum Jülich als Gefälligkeitsgutachten der Atomlobby.
Am 11. März 2011 ereignete sich in Japan das Tōhoku-Erdbeben. Das Beben und der nachfolgende Tsunami verursachten schwere Schäden an mehreren japanischen Atomkraftwerken. Im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi kam es zu einer Reihe von Nuklearunfällen, wodurch große Mengen an radioaktivem Material freigesetzt wurde.
Das verursachte in Beglien und Deutschland die Debatte über Kernenergie und Laufzeitverlängerung aufs Neue.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bezeichnete die Diskussion zunächst als deplatziert. Unter dem Druck wurde die Laufzeitverlängerung deutscher AKWs erstmal für 3 Monate ausgesetzt. Am 23. März 2011 wurde bekannt, dass der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle (FDP) vor Industrievertretern (BDI) zugegeben hätte, dass das Moratorium nach dem Tōhoku-Erdbeben 2011 nicht aus Sachgründen erfolgte, sondern Wahlkampf-Taktik sei.
Angesichts der Katastrophe von Fukushima kamen am 26. März 2011 insgesamt 250.000 Menschen zu Großdemonstrationen in Hamburg, Köln, München und Berlin zusammen und forderten den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie.
Nach Umfrageergebnissen im Sommer 2010 sind 77 Prozent der Deutschen gegen eine Laufzeitverlängerung von 15 Jahren oder mehr, 48 Prozent sind gegen jegliche Laufzeitverlängerung
Im März 2014 wurden nun doch Doel 3 und Tihange 2 heruntergefahren, weil man Tausende von Haarrissen in Reaktordruckbehältern entdeckt hatte. Mit neuartigen Ultraschall-Testgeräten habe man im Frühjahr das ganze Ausmaß des Schadens aufgedeckt und die sofortige Abschaltung veranlasst. Erste Untersuchungsergebnisse des Forschungszentrum Mol sickerten durch Indiskretion durch und machen deutlich, wie gravierend die Probleme sind. Beide Reaktionen können vermutlich nie wieder ans Netz gehen. Beide Druckwasserreaktoren sind mit Blöcke vom Hersteller Framatome ausgestattet. Insgesamt sind 22 AKW´s in Europa mit den selben Blöcken ausgestattet, darunter auch deutsche Anlagen.
Im März wurden Doel 3 (Typ Framatome) und Tihange 2 (Typ Framatome) heruntergefahren, weil man Tausende von Haarrissen in Reaktordruckbehältern entdeckt hatte. Die Risse waren von der hiesigen Aufsichtsbehörde FANC zwar schon öfters kritisiert worden und sollen bereits seit 1979 existieren.
- Tihange-1: 962 MWe, (Baujahr 1975), Reaktor ACECOWEN (Creusot-Loire-Framatome), geplant 2015
- Tihange-2: 1008 MWe, (Baujahr 1983), Reaktor FRAMACECO (Framatome-ACEC-Cockerill), geplant 2023, zwangsweise abgeschaltet 2014
- Tihange-3: 1015 MWe, (Baujahr 1985), Reakor ACECOWEN (ACEC-Cockerill-Westinghouse), geplant 2025
- Doel 1 : 412 MWe, (Baujahr 1974), Reakor ACECOWEN (ACEC-Cockerill-Westinghouse), geplant 2015
- Doel 2 : 454 MWe, (Baujahr 1975), Reakor ACECOWEN (ACEC-Cockerill-Westinghouse), geplant 2015
- Doel 3 : 1056 MWe, (Baujahr 1982), Realtor FRAMACECO (Framatome-ACEC-Cockerill), geplant 2023, zwangsweise abgeschaltet 2014
- Doel 4 : 1041 MWe, (Baujahr 1985), Reakor FRAMACECO (Framatome-ACEC-Cockerill), geplant 2025, zwangsweise abgeschaltet 2014 aufgrund von Sabotage?
Framatome Im Jahr 2001 wurde durch den Zusammenschluss von Siemens Nuclear Power (SNP), der Nuklearabteilung der Siemens AG, und der Nuklearabteilung der französischen Firma Framatome die Firma Framatome ANP (Advanced Nuclear Power) mit Sitz in Paris gegründet. Am 26. Januar 2009 teilte der Vorstand der Siemens AG den beabsichtigten Ausstieg aus dem Joint-Venture mit. Dieser Ausstieg erfolgte im März 2011 nach den Nuklearunfällen von Fukushima. Am 18. März 2011 verkaufte Siemens seinen Anteil von 34 % an den Mutterkonzern Areva. Dadurch sind wieder 100 % der Anteile von Areva NP im Besitz von Areva.
Doch mit neuartigen Ultraschall-Testgeräten habe man im Frühjahr 2014 das ganze Ausmaß des Schadens aufgedeckt und die sofortige Abschaltung veranlasst, hieß es bei den zuständigen Regierung.
Daraufhin wurde das Forschungszentrum Mol beauftragt, die Beschaffenheit der Stahlkessel sowie das Risiko der Risse zu untersuchen. Dort setzten die Experten in den vergangenen Wochen das Material einer extremen nuklearen Strahlung aus. Gestern sickerten erste Untersuchungsergebnisse durch, die deutlich machen, wie gravierend die Probleme sind: Möglicherweise können die beiden Reaktoren nie wieder ans Netz gehen.
Damit nicht genug: Weitere 22 Kessel in anderen europäischen Meilern wurden aus dem gleichen Material in der gleichen Weise gefertigt, darunter auch deutsche Anlagen, da Siemens als Teilhaber von Framatome bevorzugt wurde. Hier würde das ausser Gundremmingen B (2017) und C (2021) alle anderen Meiler betreffen und käme fast einem sofortigem Ausstieg gleich.
„Sollte Belgien die Reaktoren nicht wieder anfahren können, ist es schwer vorstellbar, dass die Meiler gleicher Bauart einfach weiterbetrieben werden“, hieß es gestern in Brüssel.
Doch wie reagiert Deutschland darauf? Die Antwort: Garnicht. Es scheint der Regierung völlig egal zu sein das in Deutschland 7 AKW´s deren Laufzeit bis 2022 geplant ist, mit tausenden Haarrissen noch Jahrelang weiter laufen.
Dabei produzieren wir viel mehr Strom als nötig und könnten daher auch problemlos weitere AKW´s abschalten ohne das dies irgendwelchen Einfluss auf die Energieversorgung hätte.
Doch im Koalitionsvertrag dieser Verbrecherregierung kommt weder das Wort „sozial“ noch „Atomausstieg“ vor. Dafür investieren wir massiv in Aufrüstung, finanzieren die Ukraine und erneuern amerikanische Atombomben. Toll.
Kernkraftwerk | Bundesland | Typ | Betreiber | Brutto | Betrieb seit | techn. Ende | gesetzl. Ende |
Grafenrheinfeld | BY | DWR | E.ON | 1345 | Jun. 1982 | 20. Mai 2015 | 31. Dez. 2015 |
Gundremmingen B | BY | SWR | RWE | 1344 | Jul. 1984 | 3. Jan. 2016 | 31. Dez. 2017 |
Philippsburg 2 | BW | DWR | EnBW | 1468 | Apr. 1985 | 20. Aug. 2018 | 31. Dez. 2019 |
Brokdorf | SH | DWR | E.ON | 1480 | Dez. 1986 | 22. Aug. 2019 | 31. Dez. 2021 |
Grohnde | NI | DWR | E.ON | 1430 | Feb. 1985 | 28. Jul. 2018 | 31. Dez. 2021 |
Gundremmingen C | BY | SWR | RWE | 1344 | Jan. 1985 | 14. Nov. 2016 | 31. Dez. 2021 |
Isar/Ohu 2 | BY | DWR | E.ON | 1485 | Apr. 1988 | 8. Feb. 2020 | 31. Dez. 2022 |
Emsland | NI | DWR | RWE | 1400 | Jun. 1988 | 27. Dez. 2020 | 31. Dez. 2022 |
Neckarwestheim 2 | BW | DWR | EnBW | 1400 | Apr. 1989 | 19. Apr. 2022 | 31. Dez. 2022 |
Die Krise in dem Benelux-Land wird noch dadurch verschärft, dass erst vor Kurzem auch der Block Doel 4 vermutlich nach einem Sabotage-Akt abgeschaltet werden musste. Von 90 000 Litern Schmieröl einer Hochdruckturbine waren 65 000 Liter ausgelaufen, was zur Überhitzung führte.
„Die Situation ist angespannt und wird nach und nach komplizierter werden, wenn der Winter kommt und die Temperaturen fallen“, meint Energie-Staatssekretärin Fonck.
Wirtschafts- und Verbraucherminister Johan Vande Lanotte kündigte inzwischen an, auf Notstromaggregate und Energieeinsparungen zu setzen sowie Zukäufe aus dem Ausland tätigen zu wollen. Ein stillgelegtes Gaskraftwerk könne eventuell reaktiviert werden. Doch er räumte auch ein, dass die Lage derart „brenzlig“ sei, dass in Belgien wohl durchaus „ein paar Lichter ausgehen“ könnten.
Zudem ist die Ankündigung, sich auf dem europäischen Markt mit Ersatzstrom einzudecken, möglicherweise nur eine trügerische Hoffnung. Denn immer mehr EU-Länder, die auf Kernkraft setzen, ringen mit gravierenden Schwierigkeiten an ihren Meilern.

AKW´s in Deutschland
Wenn die Mängel an den belgischen Stahlkesseln nun alle Reaktoren mit dieser Konstruktion betreffen sollten, müssten europaweit weitere 22 Meiler weitere Druckwasserreaktoren (DWR) des selben Typs stillgelegt werden – neben Deutschland auch in den Niederlanden, Schweden, der Schweiz und Spanien. Sogar die USA und Argentinien wären betroffen.
Mit anderen Worten: Der europäische Strom-Binnenmarkt gibt längst nicht mehr die Überschüsse her, die freies Einkaufen für Belgien oder andere möglich machen.
„Glauben Sie mir: Wir sind gerade ziemlich ratlos“, sagte gestern ein hochrangiges Regierungsmitglied in Brüssel. „Aber wir müssen einen Weg finden – und ich gäbe viel dafür zu wissen, wie der aussehen könnte.“
Was ist ein europäischer Stresstest für Atommeiler wert, wenn er Reaktoren, die Wochen später vom Netz genommen werden müssen, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellt? Wenig.
Aber genau das ist passiert und es zeigt die miserable Überprüfung, die die EU-Kommission mit großem Tamtam vorgenommen hatte.
Jetzt droht Belgien ein Energie-Desaster, wenn nicht noch ein Ausweg gefunden wird. Andere Länder könnten in den Sog dieser Vorfälle hineingezogen werden. Dringender als je zuvor muss Europa seine Energiezukunft klären. Und zwar ehrlich, ohne beschönigende oder unsinnige Tests, die mehr vorgaukeln als sie entlarven. Es gibt bisher nur wenige Staaten, die einen Kurswechsel eingeleitet haben. Deutschland gehört dazu, doch auch hier versucht die Atomlobby die Gefahren herunter zu spielen. Noch ist die Energiewende nicht so weit vollzogen, dass man beruhigt sein könnte.
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Energiewende
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Das Atomkraftwerke auf Dauer nicht sicher sind, haben Experten schon vor 30 Jahren gewußt und angekündigt. Nach Deutschland sollten endlich auch die Länder begreifen, welche Gefahr von ihnen ausgeht!
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