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Poststraße
Europa, Gesundheitsgefahren, Lobby, Monopole, Partei-Einheitsbrei, Ressourcenplünderung, Weltweit

Kaufen, wegwerfen, neu kaufen

Kaufen, wegwerfen, neu kaufen

Wie wir unsere Welt zugrunde konsumieren

Dominic / photocase.com Foto: Dominic / photocase.com

von Cosima Dannoritzer und Jürgen Reuß

Alljährlich beschert das Weihnachtsgeschäft dem Einzelhandel den mit Abstand größten Umsatz des Jahres. So auch im vergangenen Dezember: Smartphones, Tablets und Spielkonsolen waren Ende 2013 die Verkaufsrenner. Sie dürften hierzulande unterm Weihnachtsbaum für Begeisterung gesorgt haben, die allerdings durch den enormen Ressourcenverbrauch und die damit verbundenen Folgen für Mensch und Natur getrübt wird.

Die Kehrseite des Neukaufens ist das Wegwerfen. Wohl ein jeder kennt die Situation: Der Drucker funktioniert nicht mehr, obwohl er noch nicht sehr alt ist. Der Kundendienst sagt sofort: „Die Reparatur lohnt sich nicht, die kostet rund 120 Euro. Neue Drucker gibt es ab 39 Euro. Mein Rat: Kaufen Sie einen neuen!“ Der neue Drucker wird gekauft. Zwei, drei Jahre später beginnt das gleiche Spiel von vorn, nur dass der Druckerbesitzer sich jetzt den Umweg über den Kundendienst spart, das kaputte Gerät gleich wegwirft und sich ein neues kauft. Ähnliches gilt für Scanner, Monitore, Digitalkameras, Spielkonsolen, DVD-Player. Reparieren? Lohnt nicht.

Kaufen, wegwerfen, neu kaufen. Kaufen, wegwerfen, neu kaufen. Wir haben uns an diesen Ablauf gewöhnt und kennen inzwischen die Lebenszyklen der Geräte: Alle zwei Jahre ein neues Handy, spätestens alle fünf ein neuer PC. Manchmal halten wir uns sogar daran, wenn die Geräte nicht kaputtgehen, und mustern sie trotzdem aus, sobald ein Nachfolgemodell auf den Markt kommt. Wir denken nicht groß darüber nach. Wir kaufen für die Müllhalde.

In jedem Produkt steckt die geplante Obsoleszenz

Hersteller schrauben nicht nur an der Lebensdauer ihrer Geräte, sondern haben darüber hinaus ein recht imposantes Arsenal an Strategien aufgebaut, um ihre Kundschaft immer wieder dazu zu bringen, Altes möglichst schnell durch Neues zu ersetzen – egal, ob es sich dabei um eine Zahnbürste, ein Bett oder ein Auto handelt.

Der Begriff „geplante Obsoleszenz“ wird in der Wirtschaft und im Industriedesign gebraucht und bezeichnet die einem Produkt innewohnende oder eingebaute Eigenschaft, die es vorzeitig altern lässt oder gar unbenutzbar macht. Vorzeitig heißt dabei, dass der eintretende Verschleiß nicht notwendigerweise im Material selber bedingt ist, sondern vom Hersteller bewusst für einen vorbestimmten Zeitpunkt eingeplant und entsprechend implementiert wurde. Geplante Obsoleszenz steckt praktisch in jedem Produkt – mal in der Sollbruchstelle der zu schwachen Plastikummantelung für die Waschtrommel, mal in der Anschlussschnittstelle der erst vier Jahre alten externen Speicherplatte, für deren Form es leider keine passenden Netzkabel mehr gibt, was das ganze Gerät wertlos macht.

Für die Hersteller von Konsumgütern ist das Nachdenken über Obsoleszenz eine Selbstverständlichkeit. Allein schon, um ihre Produktionsabläufe und -zeiten planen zu können, müssen sie die Lebensdauer ihrer Produkte kalkulieren. Dabei können sie ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Wenn ihnen die Zufriedenheit der Kunden wichtig ist, werden sie einerseits abwägen, wie schnell Dinge im Verhältnis zu ihren Anschaffungskosten kaputtgehen dürfen. Andererseits müssen sie im Blick behalten, dass ihr unternehmerisches Bestehen möglicherweise davon abhängt, auch dann noch verkaufen zu können, wenn der Bedarf an ihren Produkten eigentlich bereits gedeckt ist.

Obsoleszenz markiert darüber hinaus aber auch die Schnittstelle eines großen Dilemmas, das das Leben in einer Konsumgesellschaft mit sich bringt. Auf der einen Seite steht die Wirtschaft, für die sich jede Abweichung von ständigem Wachstum als Katastrophe darstellt. Ständig muss mehr produziert werden, und das, was mehr produziert wird, muss auch ständig jemand kaufen. Auf der anderen Seite werden die Müllberge immer größer und die Ressourcen schwinden.

Wachsende Müllberge und Ressourcenknappheit

Im Jahr 2009 fielen in Deutschland pro Einwohner 29 Kilogramm Sperrmüll an.[1] Klingt nicht sehr beeindruckend? Bei einer Bevölkerung von rund 82 Millionen kommen dabei beinahe 2,4 Mrd. Kilogramm oder 2,4 Mio. Tonnen Müll zusammen, der irgendwie zu entsorgen ist. Der täglich entstehende, „normale“ Abfall ist dabei ebenso wenig eingerechnet wie Elektroaltgeräte. Von denen verschrottet jeder Europäer pro Jahr im Schnitt 20 Kilogramm zusätzlich.[2]

Sperrmüll und Elektroschrott kommen zustande, weil wir so gerne kaufen. Laut Bundesumweltministerium besitzt jeder Bundesbürger durchschnittlich 10 000 Gegenstände.[3] Allerdings haben wir weder genug Platz, um die vielen schönen Gegenstände aufzubewahren, noch genug Zeit, um sie alle zu benutzen. Und so wollen wir sie irgendwann wieder loswerden.

Am Beispiel Mobiltelefon lässt sich die immer schneller werdende Abfolge von Anschaffen und Ausmustern gut verfolgen: Sobald eine neue Modellgeneration auf den Markt gekommen bzw. der nächste Handyvertrag abgeschlossen ist, gilt die vorhergehende als veraltet. Wird das zwei Jahre alte Handy dann nicht – was die Ausnahme ist – an einer Sammelstelle abgegeben, liegt es zusammen mit der inzwischen haushaltsüblichen Sammlung inkompatibler Ladekabel und anderem Elektroschrott eine Weile in einer Kiste oder Schublade. In einem Jahr fallen auf diese Weise in Europa bis zu 20 Mio. Tonnen Elektroschrott an, bis zu 50 Mio. Tonnen sind es weltweit.[4] Der Großteil davon wird nicht recycelt, sondern landet irgendwann im normalen Müll. Nach Angaben der EU werden dadurch Ressourcen im Wert von zwei Mrd. Euro jährlich vernichtet.[5]

Es ist eines der wesentlichen Probleme, die sich aus strategischen Varianten von Obsoleszenz ergeben: Wo permanent neu produziert, gekauft, weggeworfen und neu gekauft werden muss, wachsen die Müllberge und schwinden irgendwann die Ressourcen. Die 1,5 Mrd. Handys, die 2010 weltweit verkauft wurden, enthalten zusammen rund 14 Tonnen Palladium, 36 Tonnen Gold und 375 Tonnen Silber.[6] In den letzten 50 Jahren haben wir mehr Ressourcen verbraucht als sämtliche Generationen zuvor zusammen.[7]

Nur ein Prozent der Handys landet bei Recyclingfirmen

Langsam sickern diese Tatsachen ins Bewusstsein. In Deutschland gibt es immer mehr Aktionen, die sich auf das Einsammeln von sogenannten Schubladenhandys konzentrieren. Schulkinder werden aufgefordert, mitzubringen, was zu Hause ungenutzt herumliegt; oft kommen sie am nächsten Tag mit einer ganzen Tüte Handys wieder, die Eltern und Geschwister in ihren Zimmern verstaut und vergessen haben. Online-Ankaufportale schalten Werbespots im Fernsehen, in denen wir ermuntert werden, alte Mobiltelefone, Digitalkameras und Computer gegen (bescheidenes) Geld einzuschicken. Lernen wir langsam, das verstaubte Sammelsurium in Kisten und Schränken mit anderen Augen zu betrachten?

Realistisch gesehen: nein. Nur ein Prozent der Handys kommt überhaupt bei Recyclingfirmen an. Der Rest bleibt in heimischen Schubladen liegen, landet irgendwann im Hausmüll oder bei der Wertstoffsammlung und am Schluss über undurchsichtige Kanäle dann doch zu einem hohen Prozentsatz illegal auf Müllkippen in Asien und Afrika.[8] Und das, obwohl laut UN-Experten in 41 Mobiltelefonen genauso viel Gold wie in einer Tonne Golderz steckt. Von den Kriegen, die im Kongo um das seltene Metall Coltan für die Herstellung neuer Handys geführt werden, ganz zu schweigen.

Das hat interessante Effekte. Auf der einen Seite werden in der sogenannten Dritten Welt für Gold, Silber, Coltan und andere wertvolle Stoffe ganze Berge abgetragen, um sie auf den auslaufenden Schiffen in Fabriken zu transportieren, wo sie in Elektrogeräte eingebaut und in den Handel gebracht werden. Und auf der anderen Seite kommt ein Großteil davon mit den einlaufenden Schiffen in Bergen von Zivilisationsmüll wieder zurück, um auf illegalen Müllkippen abgeladen zu werden. Kreislaufwirtschaft bekommt unter diesem Aspekt eine neue Bedeutung.

Kreative Müllverklappung

Der in Accra aufgewachsene Umweltjournalist und Aktivist Mike Anane beschreibt die Entwicklung aus der Perspektive seiner Heimat Ghana: „Vor etwa zehn Jahren bemerkte ich, dass hier ganze Containerladungen mit Elektroschrott ankamen. Alte Computer und Fernsehgeräte, die in den Industrieländern keiner mehr haben will.“ Die Basler Konvention, die den grenzüberschreitenden Transport gefährlicher Abfälle regelt und nur von Afghanistan, Haiti und den USA nicht ratifiziert wurde, verbietet zwar die Ausfuhr von Elektroschrott in Dritte-Welt-Länder. Doch diese Verbote werden im großen Stil umgangen, zum Beispiel indem der Schrott als „Gebrauchtwaren“ deklariert wird. Dann ist der Export legal. Um den Schein zu wahren, wird nach vorn gepackt, was noch gut ist. „In der Regel sind es vielleicht zehn brauchbare Geräte je 12-Meter-Container. Der ganze Rest ist Schrott. Wenn die Zollbeamten den Container öffnen, denken sie jedoch, das ist alles gut und funktionsfähig“, sagt Anane.

Ein anderer Trick besteht darin, einer Hilfsorganisation funktionstüchtige Computer zu spenden. Da kann es durchaus passieren, dass die Empfänger in einem Container zwar wirklich die versprochenen, funktionierenden Geräte vorfinden. Als Beigabe und Großteil der Gesamtlieferung bekommen sie allerdings kaputte Geräte dazu, auf denen sie dann sitzen bleiben, ohne die finanziellen Mittel oder technischen Möglichkeiten zu haben, sie sachgemäß zu recyceln oder umweltverträglich zu entsorgen.

Neu ankommender Schrott wird gewöhnlich direkt im Hafenbereich ausgeladen und begutachtet. Die wenigen Elektrogeräte, die noch funktionsfähig oder reparabel sind, sind sehr geschätzt. In Ghana wird nichts weggeworfen, was noch repariert werden kann. Örtliche Händler kaufen alles, was aussieht, als sei es noch zu gebrauchen, und nehmen es mit nach Accra. Wie zum Beispiel Quittungsdrucker: Ob an der Tankstelle, im Einzelhandel oder im Restaurant – auch in Ghana werden Quittungen in der Regel längst nicht mehr von Hand ausgestellt, sondern laufen aus einem anderswo ausgemusterten Apparat, der seine Zwecke noch prima erfüllt.

Händler mit Bastlergeschick wie Andrew Owusu kaufen gebrauchte Computer aus Europa und machen sie für ihre Kunden flott. In Owusus Laden gibt es darum etwas, für das es in Europa kaum einen Markt gibt – gebrauchte Rechner. „Hier ein Computer aus Spanien. Die Festplatte war defekt. Ich habe sie ausgetauscht, nun läuft er wieder“, führt Owusu durch sein Reich, das nicht einmal halb so groß ist wie ein Überseecontainer und außer Rechnern auch noch solche Schätze enthält wie in Europa längst als veraltet geltende Videokameras im Hi-8- und Mini-DV-Format. Beim Eingang steht eine Auswahl an verkaufsbereiten Geräten, darunter auch ein Tintenstrahldrucker, den Owusu wieder in Schwung gebracht hat.

Andrew Owusu verkauft die Rechner an Studenten, Schulen und kleine Betriebe. Für die Wegwerfmentalität der Industrieländer hat er kein Verständnis. „Hier in Afrika sind Computer schwer zu bekommen. Darum werfen wir sie nicht einfach weg, wir reparieren sie. Wenn ich den Fehler gefunden habe, dauert die Reparatur zwischen zehn und dreißig Minuten. Bei dem da liegt es an der Grafikkarte. Mit einer anderen funktioniert er wieder.“

Eine interessante Erkenntnis: Ein Gerät, das ein europäischer Kundendienst nach einem kurzen Blick mit den Worten „zu teuer, den zu reparieren“ zur Müllhalde verdammt, kann von einem jungen Hobbybastler mit rudimentären Werkzeugen in wenigen Minuten wieder funktionstüchtig gemacht werden. Wie wahrscheinlich ist es da, dass ein Kundendienst in Europa die gleichen Handgriffe nicht zu einem möglicherweise höheren, aber doch nicht unbezahlbaren Preis ausführen könnte?

Kinder ruinieren ihre Gesundheit

Aus mehr als 80 Prozent des Elektroschrotts, der in Ghana ankommt, ist jedoch auch mit gutem Willen und Improvisationsvermögen nichts Brauchbares mehr zu machen. Da hilft es den Ghanaern wenig, wenn sie selber nicht in einer Wegwerfgesellschaft leben. Es landen trotzdem ganze Containerladungen Müll auf illegalen Halden. Eine dieser Müllhalden ist die von Agbogbloshie, einem der Armenviertel von Accra. „Früher floss hier ein schöner Fluss durch, der Odaw River“, erinnert sich Mike Anane. Wenn er heute am Ufer entlangläuft, muss er die ganze Zeit aufpassen, nicht über Plastikteile oder Tastaturen zu stolpern. Rechnermonitore schwimmen auf dem Fluss, als hätte jemand eine Flotte großer Papierschiffchen zu Wasser gelassen. „Früher wimmelte es hier von Fischen, wir kamen zum Fußballspielen her oder hingen am Fluss rum. Aber das ist nun alles vorbei.“

Heute spielt hier keiner mehr. Stattdessen suchen Kinder aus armen Familien nach Altmetall. Sie verbrennen kunststoffummantelte Kabel, um das Metall herauszulösen. „Wir holen sie aus Computern, Fernsehern und Maschinen. Manchmal werden wir krank, wir husten“, sagt Kojo, der eigentlich zur Schule gehen sollte, dessen Familie es sich aber nicht leisten kann, auf seinen Zusatzverdienst zu verzichten. „Manchmal schneiden wir uns an Glas. Nachts können wir nicht schlafen vor Husten“, bestätigt sein Kumpel Abdul Rahim. Schnittwunden bergen ein hohes Vergiftungsrisiko, denn Glasscherben aus Hightech-Schrott enthalten oft giftiges Blei und Kadmium. Dazu sind die Kinder und Jugendlichen den ganzen Tag den giftigen Dämpfen der schmorenden Kunststoffe ausgesetzt. Selbst die Jüngsten sind dabei. Sie durchwühlen die Reste auf der Suche nach kleinsten Metallteilen, die die Älteren vielleicht übersehen haben.

Was die Kinder an Metall zusammengetragen haben, wird wiederum von Händlern dorthin weiterverkauft, wo eine neue Wachstumswirtschaft entsteht. Ihre Hauptabnehmer sind zurzeit Dubai und China. Sind die recycelnden Kinderarbeiter womöglich Teil des Kalküls, um immer auf die günstigste Weise an Rohstoffe zu kommen? Das Argument einiger Schrottlieferanten, sie wollten die digitale Kluft zwischen Europa und den USA auf der einen und Afrika auf der anderen Seite verringern, findet Mike Anane jedenfalls zynisch. Nach seinen Recherchen sind es vor allem private Recyclingfirmen, die Altgeräte einfach in Afrika abladen, anstatt sie sachgerecht zu recyceln. Sie tun es aus einem einzigen Grund – es ist billiger.

Immerhin: Auch in den Verursacherländern gibt es Ansätze, gegen diese Art der „Entsorgung“ vorzugehen. Umweltschutzregelungen wie der Clean Air Act und der Clean Water Act in den USA, Gesetze zur Luft- bzw. Wasserreinhaltung, ließen sich leicht auf Elektronik und deren Produktion übertragen. Auf diese Weise könnten Hersteller verpflichtet werden, eine umweltfreundliche Entsorgung ihrer Produkte zu gewährleisten – wobei der Begriff „umweltfreundlich“ sich dann auf die internationale Umwelt beziehen sollte. In der Europäischen Union sind die Rücknahme und das professionelle Recycling eines Geräts seit 2005 per Gesetz schon in seinem Preis enthalten, auch wenn es nicht ausdrücklich auf dem Kassenzettel ausgewiesen ist. Die Verbraucher sollen ihre ausrangierten Elektro- und Elektronikgeräte kostenlos bei Sammelstellen abgeben oder einem Rücknahmesystem seitens der Hersteller oder Vertreiber zuführen. Was ab da mit den Altgeräten zu passieren hat, ist nicht so genau definiert.[9] Jedenfalls darf offiziell kein EU-Mitglied seinen Müll einfach in Entwicklungsländern abladen. Aber wohin damit? Der Elektroschrottberg wächst in Europa dreimal schneller als der gesamte kommunale Hausmüll.[10] So landet ein Großteil davon trotz aller Verbote in Ländern wie Ghana.

Gefahr für die Ozeane: Abgewrackte Frachter

Doch nicht nur obsolet gewordene Geräte stellen ein gewaltiges Müllproblem dar. Auch die Frachter, in denen die illegalen Müllcontainer nach Afrika und Asien transportiert werden, sorgen für ganz eigene Schwierigkeiten. So meldete die Presseagentur dpa am 13. September 2012 ein Auslaufverbot für das im Tiefwasserhafen Wilhelmshaven liegende Containerschiff „Northern Vitality“. Die Sprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums, Inka Burow, begründete das Verbot so: „Es besteht der Verdacht der illegalen Abfallentsorgung.“ Und dabei ging es nicht um die Ladung des Schiffs. Das Ministerium wurde tätig, nachdem die Organisation Shipbreaking Platform, ein Zusammenschluss von Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltschutzorganisationen in Brüssel, Alarm geschlagen hatte: Sie hatte den Tipp bekommen, dass der Käufer des Schiffes auf Abwracken spezialisiert sei.

Schiffe gelten wegen der vielen an Bord befindlichen gefährlichen Stoffe wie Asbest, Kühlmitteln, Ölrückständen und -schlämmen sowie Schwermetallen als Sondermüll. Der darf nach dem Basler Abkommen von 1992 nicht einfach in der indischen Küstenstadt Alang, dem Zentrum der weltweiten Schiffsverschrottungsindustrie, entsorgt werden, wie das allem Anschein nach auch mit der „Northern Vitality“ geplant war. Umweltstandards spielen in den dortigen „Abwrackwerften“ keine Rolle: Die Schiffe werden einfach bei voller Fahrt in den Schlick gerammt, das Schweröl sickert nach und nach in das empfindliche Küstengewässer, und viele Schadstoffe laufen mit der Flut ins Meer. „Seit 1982 wurden rund 6000 Schiffe hierher gebracht und ohne Rücksicht auf das fragile Ökosystem an der Küste zerlegt“, so Gopal Krishna von der Umweltorganisation Toxic Watch gegenüber der „tageszeitung“. „Schiffseigner und Abwrackunternehmen umgehen Gesetze auch mithilfe gefälschter Dokumente.“[11] Statt teure Entsorgungskosten zahlen zu müssen, bekommen die Schiffseigner von den illegalen Verschrottern mehrere Millionen Euro Schrottwert – Stahl ist ein begehrter Rohstoff. Ein Schiff wie der 1989 vor Alaska havarierte Öltanker „Exxon Valdez“ war auf diese Weise nach der Ölpest, die er verursacht hatte, gleich noch an der nächsten Ökokatastrophe mitbeteiligt, als er in Alang illegal abgewrackt wurde. Dem Eigner brachte das rund zwölf Mio. Euro ein. Die Arbeiter, die das Verschrotten ohne jede Sicherheitsvorkehrung durchführen, sind billig.[12]

Auch bei Schiffen begegnen wir dem Phänomen der Obsoleszenz. Die „Northern Vitality“, die im Herbst 2012 den Weg zu ihrer Verschrottung hätte antreten sollen, war für ein Schiff noch nicht alt: 1997 gebaut, hätte sie gut noch ein paar Jahre länger die Weltmeere befahren können. „Doch der Boom ist vorbei. 2012 wurden so viele Containerschiffe verschrottet wie noch nie“ schreibt Eiken Bruhn in der „tageszeitung“. Ihren Recherchen zufolge ist es eher die Ausnahme, dass illegale Entsorgung verhindert wird. „Bis geklärt ist, wer zuständig ist, ist das Schiff in der Regel längst weg“, so Delphine Reuter von der NGO Shipbreaking Platform.[13]

Computer enthalten Unmengen giftiger Schwermetalle

Vertrauter als die Lebensdauer von Containerschiffen ist den Konsumenten die ihrer PCs – weil sie oft erschreckend kurz ist. Während elektrische Werkzeuge und Haushaltshelfer jedoch meist erst ausgemustert werden, wenn sie nicht mehr funktionieren, führt bei elektronischen Geräten der technologische Fortschritt bei Speicherkapazität, Auflösung, Prozessorgeschwindigkeit etc. viel schneller dazu, dass sie veraltet sind oder so erscheinen.

Allein ein Desktopcomputer besteht aus rund sieben Kilo Plastik, das in der Regel nicht recycelt wird. Das Isoliermaterial um die Drähte und andere elektronische Bauteile setzt bei der Verbrennung krebserzeugende Dioxine und Furane frei. Die für die Schaltkreise verwendeten, halogenierten Flammschutzmittel wirken wie Neurotoxine und greifen die Schilddrüse an. Elektronische Geräte enthalten mehr als fünfzig giftige Schwermetalle. Ein Bericht der amerikanischen Umweltbehörde schätzte 2004, dass verschrottete Elektronik für rund siebzig Prozent der Schwermetalle und vierzig Prozent des Bleis auf den amerikanischen Müllhalden verantwortlich ist.[14]

Achtzig Prozent des Elektroschrotts landen in China, Pakistan, Indien oder Westafrika. Das UN-Umweltprogramm Unep rechnet mit deutlichen Zuwachsraten: Bis 2020 werde sich der Elektroschrott in China und Südafrika im Vergleich zu 2007 vervierfachen, in Indien verfünffachen. In afrikanischen Ländern wie dem Senegal oder Uganda könne der Zuwachs sogar das Achtfache betragen.[15] „Seit der großen technologischen Beschleunigung in den 60er Jahren haben wir uns darauf konzentriert, was die Gigabytes uns bringen würden, und haben die Berge von Plastik, Metall, Bleiglas und Chemikalien ignoriert, die mit jedem Upgrade unserer Hardware weiterwuchsen“, schreibt die Journalistin Elizabeth Grossman, die in ihrem Buch „High Tech Trash“ den Weg der Mikroelektronik von der Rohstoffgewinnung über die Produktion bis zur Verschrottung nachverfolgt hat.[16] Gerade was diese Umweltaspekte angeht, ist sie dabei in der Computerwelt auf ein massives Wahrnehmungsproblem gestoßen: „Hightech-Elektronik hat ‚virtuelle Welten’ geschaffen und die Illusion genährt, wir hätten die materielle Welt hinter uns gelassen.“ Sie möchte mit diesem weit verbreiteten Denkfehler aufräumen: „Miniaturisierung ist keine Entmaterialisierung.“ So war zum Beispiel das IBM-Werk in Endicott, New York im Jahr 1987 der größte Einzelverursacher von die Ozonschicht schädigendem FCKW in den USA – für die Herstellung eines Mikrochips wird das 630fache seines Gewichts an fossilen Brennstoffen verbraucht. Zum Vergleich: Für jedes Gramm Auto sind es zwei Gramm fossile Brennstoffe. Dagegen verbraucht ein zwei Gramm schwerer Mikrochip schon mehr als 1,1 Liter Erdöl.[17]

Mobiltelefone verursachen mehr CO2 als der Flugverkehr

Man sieht einem Gerät nicht an, wie viel Energie hineingesteckt wurde, wenn es auf dem Ladentisch liegt. „Handys haben als Teil des Informationszeitalters eine Aura von Leichtigkeit“, sagt der Designexperte John Thackara, „aber sie tragen einen unsichtbaren Rucksack mit sich, in dem die Grabarbeiten für die Rohstoffe, Materialtransport, Sendestationen und vieles mehr stecken. Wenn man sich das veranschaulicht, wiegt so ein Smartphone nicht 200 Gramm, sondern eher eine halbe Tonne. Es wirkt klein und harmlos, aber seine Auswirkung auf den Planeten ist beachtlich.“ In Deutschland verursachten Mobilfunkgeräte im Jahr 2007 so bereits mehr CO2-Emissionen als der gesamte deutsche Flugverkehr.

Für 0,034 Gramm Gold im Handy werden 100 Kilogramm Erde bewegt und mit giftigen Substanzen wie Quecksilber oder Zyanid malträtiert, um das Gold aus dem Erz herauszulösen. Dadurch werden Böden und Wasser vergiftet und die Arbeiter, darunter viele Kinder, unmenschlich behandelt.[18] Diese Fakten hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung zusammentragen lassen, um über die Folgen unserer Technologisierung aufzuklären. Die Prospekte dazu sehen toll aus. Aber werden auch politische Maßnahmen ergriffen?

„Bei jeder Konferenz und öffentlichen Versammlung zu Elektronik und Umwelt, an der ich teilgenommen habe, und in den meisten Gesprächen, die ich mit Hightech-Herstellern geführt habe, fiel früher oder später das Wort ‚Chancengleichheit‘, ohne die gar nichts ginge“, stellt Grossman ernüchtert fest. Wie ein Mantra würde es immer dann heruntergebetet, wenn die Sprache auf Regulationsvorschläge hinsichtlich der Recyclingvorschriften und Herstellerverantwortung kam. „‚Chancengleichheit’ war so eine Art Codewort für ‚keine ungerechten Wettbewerbsvorteile’. Kein Unternehmer wollte mehr Verpflichtungen eingehen, als er selbst für sich an Mitverantwortung für angemessen hielt. An dieser Grundhaltung war nicht zu rütteln.“[19]

Wie weit diese freiwillige Mitverantwortung reicht, kann sich bei Betrachtung seines eigenen heimischen Elektronikparks jeder selbst überlegen. Denn, wie Grossman bemerkt, „die Hightech-Industrie hat die Realität der globalen Wertschöpfungskette in jedes Zuhause mit Zugang zu Computer und Internet gebracht.“[20] Man hat von den Schrotttransporten in ärmere Länder vielleicht gehört. Aber was würde es bringen, wenn man genauer nachfragte? Wie beim Hausmüll, der außer Sichtweite transportiert wird, sobald wir ihn in die Tonne oder einen Wertstoffsack befördert haben, gilt: Wir müssen uns anschließend nicht weiter darum kümmern. Daran haben wir uns gewöhnt – aus den Augen, aus dem Sinn. Und Hauptsache, die neue Müllverbrennungsanlage oder -deponie wird nicht direkt neben der eigenen Wohnsiedlung eingerichtet.

Der Wandel hängt auch an den Verbrauchern

Wenn wir ausnahmsweise trotzdem einmal darüber nachdenken, was mit dem DVD-Player passiert, wenn der Blu-ray-Player im Haus ist, und wohin dieser wandert, wenn die nächste Bildwiedergabetechnologie entwickelt ist, können wir im trauten Kreis der eigenen Geräte auch trefflich noch über etwas anderes meditieren: nämlich über die Umstände, unter denen die in immer kürzeren Intervallen vorgestellten Neuheiten produziert werden.

Wir können uns zum Beispiel fragen, ob die Massenschlägerei von 2000 Arbeitern im September 2012 in der chinesischen Fabrikstadt des Apple-Zulieferers Foxconn möglicherweise etwas mit dem kurz zuvor auf den Markt gebrachten iPhone 5 zu tun hatte.[21] In dieser Stadt arbeiten 79 000 in Wohnheimen zusammengepferchte Menschen für einen Minilohn, der zu einem Gutteil für die eigene, mit „unkomfortabel“ noch euphemistisch bezeichnete Unterbringung draufgeht. Sie arbeiten sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. Denkt man bei solchen Meldungen, dass man gern fünfzig Euro mehr fürs Handy zahlen würde, wenn dafür in China der Achtstundentag eingeführt wird? Überlegt man, wieso man das iPhone 3 eigentlich ausrangiert hat? Ob es zusammen mit dem kürzlich entsorgten Röhrenmonitor nun von Kindern auf der Müllhalde von Agbogbloshie in Ghana oder auf einem chinesischen Parkplatz unter noch elenderen Bedingungen auseinandergenommen wird, als es einst zusammengebaut wurde? Oder hat man sich vorsichtshalber bereits am Dienstag den ersten Platz in der Warteschlange vor einem Hamburger Apple Store gesichert, die bis zum Freitag, dem Tag der Auslieferung des ersten neuen iPhones, auf 2500 Menschen angewachsen ist?[22]

Dabei kann es sogar Spaß machen, aus dem Verein des Kaufens für die Müllhalde auszutreten. Das Auto länger zu fahren als die fünf Jahre, nach denen es von der Steuer abgeschrieben ist. Die Nachbarin zu fragen, ob sie einem ihre Nudelmaschine ausleiht, die sie selber vielleicht auch nur einmal in zwei Jahren benutzt. Und die billige kleine Reisetasche, deren Reißverschluss man jetzt schon ansieht, dass er ungefähr zwei Wochenendausflüge lang halten wird, einfach auf dem Sonderangebotstisch liegen lassen, wo wir sie gesehen haben. Wir können selbst die Weichen stellen und mitentscheiden, in welcher Zukunft wir leben wollen.


[1] Vgl. Statistisches Bundesamt, Leichter Anstieg an Haushaltsabfällen je Einwohner 2011, Pressemitteilung vom 18.1.2013, http://www.destatis.de.

[2] Vgl. Verena Kemna, Wertvoller Elektroschrott. Umsetzung der neuen EU-Richtlinie ist in Deutschland unklar, in: „Deutschlandfunk“, 13.8.2012.

[3] Vgl. Des Guten zu viel. Überfordert uns der Überfluss? In: „Deutschlandfunk“, 8.6.2012.

[4] Vgl. Portal Bildung für nachhaltige Entwicklung, Elektroschrott ist Gold wert, http://www.bne-portal.de.

[5] Vgl. Kemna, a.a.O.

[6] Vgl. Die Rohstoff-Expedition, Rohstoffe und der Lebenszyklus eines Handys, http://www.die-rohstoffexpedition.de.

[7] Vgl. Des Guten zu viel, a.a.O.

[8] Vgl. z. B. Steven Geyer, Goldsucher im Hightech-Schrott, in: „Frankfurter Rundschau“, 11.6.2011.

[9] Vgl. Umweltbundesamt, Elektro- und Elektronikgerätegesetz – ElektroG, http://www.umweltbundesamt.de.

[10] Vgl. Bette K. Fishbein, Waste in the Wireless World, New York 2002.

[11] Vgl. Stefan Mentschel, Endstation für maritimen Schrott, in: „die tageszeitung“, 19.9.2012, S. 4.

[12] Der Dokumentarfilm „Working Man’s Death“ von Michael Glawogger vermittelt einen Eindruck von den skandalösen Arbeitsbedingungen, unter denen dieses „Recycling“ vonstattengeht.

[13] Eiken Bruhn, Das Wrack aus Wilhelmshaven, in: „die tageszeitung“, 19.9.2012, S. 4.

[14] Vgl. United States Environmental Protection Agency, Multiple Actions Taken to Address Electronic Waste, But EPA Needs to Provide Clear National Direction, Report No. 2004-P-00028, Washington, D.C., 1.9.2004, http://www.epa.gov.

[15] Vgl. Axel Bojanowski, Uno-Berechnungen zu Elektroschrott: Gold-Berge auf Müllhalden, spiegelmagazin, 22.2.2010.

[16] Für dieses und die folgenden Zitate: Elizabeth Grossman, High Tech Trash: Digital Devices, Hidden Toxics, and Human Health, Washington 2006, S. 264, 262, 9, 108.

[17] Vgl. Environmental Literacy Council, Computer Chip Life Cycle, http://www.enviroliteracy.org.

[18] Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Die Rohstoffexpedition. Entdecke, was in (d)einem Handy steckt!, S.15.

[19] Grossman, High Tech Trash, a.a.O., S. 263.

[20] Ebd., S. 264.

[21] Die Presseagentur AP meldete dazu: „Auslöser war laut Augenzeugen ein Streit zwischen einem Mitarbeiter und einem Wachmann. Ein Angestellter sagte, die Beschäftigten seien bereits seit längerem wütend über ihre Behandlung durch Manager und Wachpersonal“, vgl. AP-Ticker, 25.9.2012; vgl. zu den Zuständen bei Foxconn auch: Jordan Pouille, Im Profithimmel von Sichuan. Schuften bei Foxconn, einem der größten Unternehmen in China, in: „Le Monde diplomatique“, 8.6.2012, S. 12 f.

[22] Vgl. Schlangen vor Apple Stores: Weltweites Warten auf das iPhone 5, spiegelmagazin, 21.9.2012.

(aus: »Blätter« 1/2014, Seite 93-102)

Über monopoli

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Diskussionen

5 Gedanken zu “Kaufen, wegwerfen, neu kaufen

  1. Hat dies auf Walter Friedmann rebloggt und kommentierte:
    Wie wir unsere Welt zugrunde konsumieren

    Verfasst von walterfriedmann | 31 Dezember, 2013, 4:16 am
  2. Reblogged this on Haunebu7's Blog .

    Verfasst von haunebu7 | 29 Dezember, 2013, 7:54 pm
  3. Reblogged this on Treue und Ehre.

    Verfasst von Runenkrieger11 | 29 Dezember, 2013, 6:53 pm

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  1. Pingback: kaufen, wegwerfen, neu kaufen | einsiedlerblog - 12 Januar, 2016

  2. Pingback: kaufen, wegwerfen, neu kaufen | campogeno - 13 Januar, 2014

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